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Fiesta, Leben - wie Rolf in Florida?

Ein Bericht über das Leben in der angeblichen sozialen Hängematte von Susie Reinhardt.

Der Beitrag stammt von der Hamburger Journalistin und Psychologin Susie Reinhardt. Susie Rheinhardt ist freie Journalistin für die taz. Zusammen mit ehemaligen und aktuellen Autoren der "Szene" Hamburg legt sie für das Hamburger Publikum mehrmals im Jahr ein kostenloses Themenheft auf, dass auch im Internet (http://www.punktx.com) als Download zur Verfügung gestellt wird.

Inzwischen erschienen sind: "Gut angelegt", (für was gibt der Hamburger Senat Geld aus und wo wird er immer geiziger / natürlich bei den Armen !) und "Breit aufgestellt" (befasst sich mit der aktuellen Entwicklung der lokalen Medienlandschaft). Im Frühjahr wird es nun ein Heft zur Thematik "Arbeit" geben, in dem u.a. unten aufgeführter Artikel erscheint und das ebenfalls per Download zur Verfügung stehen soll.

Zu dem Beitrag sind mehrere Hamburger Erwerbslose hinsichtlich ihrer aktuellen Lebenssituation und dem Erleben der Situation Erwerbslosigkeit befragt worden.

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Unserer Gesellschaft geht die Arbeit aus. Trotzdem gilt Erwerbslosigkeit weiterhin als selbst verschuldetes Schicksal. Wer keinen Job hat, hat nicht nur wenig Geld. Er genießt dazu einen miserablen Ruf, gilt als zu blöde oder zu faul um Arbeit zu finden. Ein Bericht über das Leben in der angeblichen sozialen Hängematte von Susie Reinhardt

Die Medien berichten gerne über leichte Themen. Tiere, Sex und kleine Kinder gehen immer gut, lautet ein beliebter Spruch aus der Branche. Aber Arbeitslose? Leser wollen schließlich unterhalten werden und sich nicht mit dem Elend anderer Leute belasten, heißt es. Aber es geht gar nicht um die anderen. Die wenigsten Arbeitsplätze sind heute sicher. Und freie Stellen sind rar, heiß begehrt und hart umkämpft. In Hamburg lag die Arbeitslosenquote im Januar 2004 bei 10 Prozent, so das statistische Landesamt.

Anerkannte Wirtschaftswissenschaftler wie Ralf Dahrendorf von der London Scholl of Economics prophezeien längst, dass uns die Erwerbsarbeit ausgeht (Monitor vom 29. Januar 2004). Kein Wunder, dass Arbeitsplätze fehlen. Firmen fusionieren und sparen ganze Abteilungen ein. Konzerne bauen Personal ab um mehr Profit einzufahren, menschliche Arbeitskraft wird durch Maschinen ersetzt. Bezahlte Arbeit ist zum knappen Gut geworden, dass künftig nicht mehr für alle Menschen verfügbar sein wird. So sieht es auch der Soziologe Ulrich Beck. Schon vor Jahren stellte er seine Vision einer garantierten Grundsicherung, des „Bürgergeldes“, dagegen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Jedenfalls kann nicht mehr jeder arbeiten, der will. Trotzdem tun Politiker so, als sei es nur eine Frage der Zeit, bis wieder mehr Arbeitskräfte nachgefragt werden. Sie reden die Sache schön, vertrösten Bange und Betroffene mit dem Aufschwung, der quasi schon um die Ecke wartet und in Kürze sein mit Arbeitsplätzen gestopftes Füllhorn über unser Land ausschütten wird. Schön wär’s.

Längst trifft es nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen, wie Schule-Schmeißer, Diplombiologen und Geisteswissenschaftler. Inzwischen wissen auch Computerfachleute und Journalisten, dass Arbeitlosigkeit das eigene Leben radikal umkrempelt. Es beginnt beim Geld, weil Erwerbslosen sofort fast jeder zweite Euro im Portemonnaie fehlt. Das Arbeitslosengeld beträgt rund 60 Prozent (mit Kind 67 Prozent) des letzten Nettoeinkommens, bei Arbeitslosenhilfe sind es nur noch rund 53 Prozent (mit Kind 57 Prozent), informiert die Broschüre der Arbeitslosen-Telefonhilfe. Mit Sozialhilfe wird es noch enger.

Martina ist Diplomsozialpädagogin mit Zusatzausbildung als Suchttherapeutin. Sie ist seit zwei Jahren arbeitslos, möchte anonym bleiben. Weil ihr das Geld vom Amt nicht zu Leben reicht, ist ihr Dispo bei der Bank längst ausgereizt. Zusätzlich hat sie sich von Freunden Geld geliehen und dadurch das ungute Gefühl, „in jedermanns Schuld zu stehen“. Sie hofft, bald einen Job zu bekommen. Bis dahin spart sie auch am Essen, ernährt sich viel von „Nudeln mit Maggie“.

Neben finanziellen Sorgen fühlen sich viele vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Michael Lange ist gelernter Erzieher, Diplompsychologe und seit zwölf Jahren auf Arbeitssuche. Über die Jahre bekam er „rund 400 Absagen“. Er lebt in einer Altbauwohnung unterm Dach auf 36,5 Quadratmetern. Er hat „knapp über 600 Euro Arbeitslosenhilfe“. Davon zahlt er „290 Euro Miete und Betriebskosten, rund 25 Euro Strom, Wasser, Telefon- und Internetgebühr.“ Lange leidet vor allem darunter, dass er mangels Geld kaum am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann. „Wenn ich mir mal einen Film im Kino ansehen will, ist das nicht möglich“, sagt Lange. „Ich bin 52 Jahre und Single und das nicht von ungefähr. Man kann sich als Arbeitsloser eigentlich nur zuhause aufhalten, weil alles andere etwas kostet. Das Internet ist noch am besten zur Kontaktpflege geeignet, weil es relativ billig ist.“ Lange leistet sich, einen kleinen Hund zu halten. „Der ist für mich wichtig, ich brauche ihn für meine psychische Gesundheit.“

Wer keinen Job hat, kommt nicht nur weniger unter Menschen. Für die meisten ist der Beruf auch Teil der Identität, so der Soziologe Beck. Und wer seine Fähigkeiten nicht anwenden kann, büßt oft einen Teil des Selbstbewusstseins ein. „Unsere Leistungsgesellschaft definiert sich ja über Arbeit: Hast du keine, bist du nichts“, sagt Martina. „Wenn ich Leute kennen lerne hoffe ich immer, dass sie mich nicht gleich fragen, was ich beruflich mache. Ich finde es beschämend zu sagen, dass ich arbeitslos bin. Weil der andere entweder denkt, „die Arme!“ oder „die Faule!“, beides passt mir nicht.“

Dazu kommt, dass Erwerbslose sich von den Behörden wie Drückeberger behandelt fühlen, die sich auf Kosten der brav schuftenden Bürger einen Lenz machen. Die neuen Bundesgesetze (Hartz drei und vier) weisen in diese Richtung. Arbeitslose werden am immer kürzeren Amtszügel geführt, ihr Bemühen einen Job zu finden strenger kontrolliert. Neuerdings müssen sie auf Anfrage beweisen, dass sie sich regelmäßig bewerben. Wer Single ist, soll gefälligst von Kiel bis Konstanz Arbeit suchen, einen Berufsschutz gibt es nicht. Das heißt, „zumutbar ist jede Beschäftigung, die der Arbeitslose ausüben kann und darf“, so die Arbeitslosen-Telefonhilfe.

Zu den Schikanen der Arbeitsämter gehört es, Arbeitslose immer öfter zu Terminen zu bestellen. Wer nicht kommt, muss mit Leistungskürzungen rechnen. „Dieses Abhängigkeitsverhältnis gegenüber den Behörden“ findet Peter Sachau schlimm. Er ist 55 Jahre, gelernter Hotelfachmann, hat Betriebswirtschaft studiert und zuletzt als Prokurist gearbeitet. Er ist seit fünf Jahren arbeitslos und findet die Termine auf dem Amt demütigend. „Der Vermittler fragt dann, was ich getan habe. Er ist gar nicht unfreundlich, aber mich stört die Verlogenheit dieser Termine. Dass die Mitarbeiter nicht den Mut haben, klar zu sagen: ‚Wir haben nichts für Sie‘.“

Inzwischen waren schon viele Menschen mal arbeitslos. Jeder hat wohl Freunde oder Bekannte, die ihre Tage mit dem Schreiben von Bewerbungen statt im Büro verbringen. Müssten dann nicht allmählich die Vorurteile gegen Arbeitslose schrumpfen? „Im Gegenteil“, sagt Christine. Sie ist Kulturwissenschaftlerin, seit fünf Jahren arbeitslos und möchte nicht erkannt werden. „Ich habe den Eindruck, dass die Angst davor, selbst arbeitslos zu werden, immer größer wird. Wer Arbeit hat, sucht sich unbewusst einen Weg, mit dieser Angst umzugehen. Beispielsweise indem er Arbeitslose abwertet und als „Faulenzer" diffamiert. So wird eine innere Distanz geschaffen zwischen demjenigen, der Arbeit hat und dem Arbeitslosen – und die Ausgrenzung von Arbeitslosen in den Köpfen und in den Herzen nimmt ihren Lauf."

Obwohl alle wissen, dass es heute jeden treffen kann und Arbeitslosigkeit ein gesellschaftliches Problem ist, wird den Erwerbslosen weiter die Schuld an ihrer Lage zugeschoben. In den Medien wird Arbeitslosigkeit gerne mit dem Sulen in der Sozialen Hängematte gleichgesetzt. Genüßlich schlachtete die Presse den Fall eines Sozialhilfeempfängers aus, der sich die Stütze in den Süden Nordamerikas überweisen ließ. „Florida-Rolf“ erregte die Nation wochenlang. Der „Sozialschmarotzer“ soll in seinem Urlaubsdomizil ein ausschweifendes Leben geführt und sich halb zu Tode gefeiert haben – von ein paar hundert Euro Sozialhilfe, die auch Essen und Miete abdecken? Der Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann hat sich gerade seine Bezüge um 60 Prozent erhöht und kassiert jetzt 11 Millionen Euro jährlich, meldet die Süddeutsche Zeitung am 10.März. Hamburg gönnt sich den Bau der Hafen-City, Deutschland verkraftet es, dass der Daimler-Chrysler Konzern keine Steuern zahlt. Aber ein paar zu viel gezahlte Sozi-Schecks brechen uns das Genick? Wohl kaum. Und sollte sich der arbeitslose Rolf wirklich in den Sümpfen prächtig auf Staatskosten amüsiert haben – er ist die Ausnahme. In der Regel ist das Leben ohne Arbeit kein Zuckerschlecken. Oder möchte jemand tauschen?

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