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Forscher hält Hartz-IV-Satz für zu hoch

Essen. Die Studie sorgt für enormen Wirbel, Arbeitslosen- und Wohlfahrtsverbände laufen Sturm: Zwei Wissenschaftler der Uni Chemnitz kommen zu dem Ergebnis, dass der Hartz-IV-Regelsatz genau genommen zu hoch ausfällt. Gehe man vom absoluten Existenzminimum aus, reichten 132 Euro monatlich.

Derzeit beziehen Empfänger von Hartz IV im Monat 351 Euro. Chemnitzer Wissenschaftler unter Leitung des Finanzexperten Professor Dr. Friedrich Thießen haben die Debatte um die Höhe des Regelsatzes zum Anlass genommen, das Thema einmal durchzudeklinieren. Ihre Rechnung: 278 Euro würden reichen, wenn man den Warenkorb reduziert. Reduziert man die Bedürfnisse auf ein völliges Minimum – etwa durch den Verzicht auf Alkohol und Zigaretten, komme man mit 132 Euro aus. Für Kommunikation, Kino, Zeitung und Literatur sind dann nur noch drei Euro veranschlagt. Kurz gefasst lauten die Ergebnisse: Gemessen an den von der Gesellschaft festgelegten Zielen der sozialen Mindestsicherung seien die Hartz-IV-Gelder nicht zu niedrig, sondern eher zu hoch. Als gerecht werde das System dennoch von vielen nicht empfunden, weil es den Bedürftigen nur Geld gewährt und ihnen verwehrt, was sie wirklich wollen: Arbeit und Anerkennung.

Mindestsicherung vage formuliert

Die Sozialgesetzbücher II und XII legen in Deutschland fest, dass Bedürftigen "Leistungen der sozialen Mindestsicherung" zu gewähren sind. "Was sich hinter dieser sozialen Mindestsicherung verbirgt, ist leider nur sehr vage definiert. Im Sozialgesetzbuch XII findet sich die Konkretisierung, dass den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens ermöglicht werden soll, das der Würde des Menschen entspricht", so Thießen. Die Kosten der sozialen Mindestsicherung werden in der Regel durch einen Warenkorb ermittelt, der alle Güter enthält, die die Ziele der sozialen Mindestsicherung gerade erfüllen. Dann werden die Preise der Güter ermittelt und summiert. "Das Verfahren, mit dem dies in der Bundesrepublik geschieht, gilt als nicht in allen Teilen transparent. Es enthält teilweise pauschale Vorgehensweisen und nicht alle Teilschritte werden veröffentlicht", so Thießen zu dem Hintergrund seines Forschungsprojektes, in dem er die Mindestsicherung neu berechnete und analysierte.

Einkaufen bei Aldi

Thießen und sein Team gingen also erneut einkaufen: Gerechnet wurde für einen Mann zwischen 18 und 65 Jahren, der keine Kinder hat und in einem Ein-Personen-Haushalt lebt. Bei seinen Warenkörben hat der Finanzwissenschaftler die nur vage formulierten Ziele einmal eher eng und einmal eher weit ausgelegt. Die Preise wurden in einer mittelgroßen Stadt mit rund 250.000 Einwohnern ermittelt, größtenteils in Filialen von Kettenunternehmen, die nach eigenen Angaben keine regionalen Preisunterschiede haben. "Das bedeutet, dass die Ergebnisse der Studie insoweit für ganz Deutschland Gültigkeit haben", so Thießen. Also: Lebensmittel von Aldi, Kleidung und Schuhe aus dem Supersonderangebot, Möbel aus Ein-Euro-Ketten. Besonders in Frage stellen die Forscher das Ziel, ein „kulturelles Existenzminimum“ zu sichern. Es gebe öffentliche Leihbibliotheken und andere Einrichtungen, wo solche Bedürfnisse beinahe kostenfrei zu befriedigen seien.

Zudem gebe es wichtigere Faktoren als Geld: Anerkennung und ein intaktes soziales Umfeld etwa. Dies und sinnvolle Freizeitaktivitäten ließen sich jedoch mit ehrenamtlichen Tätigkeiten in Vereinen oder Parteien gut umsetzen – auch dies weitgehend kostenfrei. Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften, die seit Monaten für eine deutliche Erhöhung von Hartz IV auf mindestens 420 Euro trommeln, äußerten sich empört: Mit den von den Chemnitzer Forschern errechneten Summen sei kein menschenwürdiges Leben zu führen. Hartz-IV-Bezieher wiederum berichten regelmäßig – etwa im Forum von DerWesten, dass es am Monatsende regelmäßig knapp werde.

Quelle: der Westen vom 5.9.08

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