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Ins Aus gestellt

Gutachten: Langzeitarbeitslose werden bei Arbeitsvermittlung gezielt diskriminiert. Profiteur ist Bundesagentur für Arbeit

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) saniert sich offenbar zu Lasten von Langzeitarbeitslosen. So lautet das Ergebnis eines aktuellen Gutachtens der Firma Jobcenter Consulting, die sogenannte Optionskommunen und Arbeitsgemeinschaften (ARGE) bei der »Verbesserung der Arbeitsmarktintegration« berät. Der Studie zufolge sind die von der Nürnberger Behörde in jüngerer Vergangenheit erzielten Milliardenüberschüsse maßgeblich auf die erfolgreiche Vermittlung von Kurzzeitarbeitslosen bei gleichzeitig vernachlässigter Betreuung von Empfängern des Arbeitslosengeldes II (ALG II) zurückzuführen. Leidtragende sind die als »schwer vermittelbar« klassifizierten geringqualifizierten und älteren Arbeitslosen sowie die Steuerzahler. Während das ALG I von der BA aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung beglichen wird, müssen der Bund und die Kommunen mit Steuermitteln für die Kosten der Langzeitarbeitslosen geradestehen.

»Jeder abgebaute ALG-I-Bezieher wird teuer mit zwei ALG-II-Beziehern erkauft, und das sind die wesentlich teureren Arbeitslosen – nur eben nicht für die BA«, heißt es in der Untersuchung. Datengrundlage sind die Statistiken zu Vermittlungsleistungen in insgesamt zwölf Städten. Danach konnte beispielsweise in Berlin die Zahl der Bezieher des ALG I innerhalb eines Jahres um stattliche 27,3 Prozent reduziert werden, während die der ALG-II-Empfänger um 24,4 Prozent in die Höhe geschossen ist. »Die BA hat kein Interesse daran, solche Menschen zu vermitteln«, kritisierte Friedrich Schreibert, Deutschland-Direktor bei Jobcenter Consulting, am Montag gegenüber jW. Jeder vermittelte Kurzzeitarbeitslose aber gehe für die BA mit der Einsparung von Unterstützungsleistungen einher und bedeute zugleich ein Plus bei den Beiträgen.

Hintergrund ist laut Schreibert ferner der sogenannte Aussteuerungsbetrag, der für die BA im Falle erfolgloser Vermittlungstätigkeit fällig wird. Nach geltendem Regelwerk muß Nürnberg für jeden nach zwölf Monaten vom ALG I zum ALG II wechselnden Erwerbslosen eine Art Strafgebühr an den Bund entrichten. Erst Ende vergangener Woche wurde publik, daß von der BA statt der ursprünglich kalkulierten 5,3 Milliarden lediglich vier Milliarden Euro in den Bundesetat 2006 fließen werden. Wegen der gut laufenden Konjunktur seien unerwartet viele Kurzzeitarbeitslose vermittelt worden, lautete die Begründung. Dagegen haben sich die Kosten für das ALG II abermals exorbitant erhöht. Sie werden voraussichtlich um vier Milliarden über den im Bundeshaushalt veranschlagten 24,4 Milliarden Euro liegen. Kaum waren die Zahlen öffentlich, machten in Berlin neue Vorschläge zur Kostenreduzierung die Runde. Diskutiert werden härtere »Sanktionen« und weitere Drangsalierungen von Langzeitarbeitslosen und die Kürzung des ALG-II-Regelsatzes.

Ausgerechnet an diesem Wochenende vermeldete die BA einen Überschuß von 1,7 Milliarden Euro für das erste Quartal. Während eine Behördensprecherin ihre Zuversicht äußerte, in diesem Jahr das geplante Plus von 1,8 Milliarden zu toppen, spekulierte Die Welt sogar auf einen Jahresüberschuß von fast sieben Milliarden Euro. Wolfgang Lieb, ehemaliger Wissenschaftsstaatssekretär in Nordrhein-Westfalen und heute Betreiber des medien- und zeitkritischen Internetportals www.NachDenkSeiten.de, kommentierte am Montag: »Träfe es zu, daß sich die BA saniert, um die Arbeitslosenbeiträge senken zu können, und den Überschuß damit erkauft, daß sie ALG-II-Bezieher abschreibt und sie in ihrer Arbeitslosigkeit geradezu einmauert, dann wäre das ein Skandal«.

Glaubt man den Gutachtern, dann wurde die »Abschreibung« der Betroffenen von langer Hand geplant. »Die Software der BA verhindert, daß Langzeitarbeitslose vermittelt werden«, behauptet Firmendirektor Schreibert. Laut Studie führt das Computerprogramm lediglich eine Liste von 100 Bewerberprofilen für »sehr qualifizierte Berufe« auf. »Technisch gibt es dafür keinen Grund, jede Stellenbörse der Welt kann mehr Treffer anzeigen«, heißt es im Gutachten. Entsprechend stellten »angeblich nicht lösbare Probleme« auf dem virtuellen Arbeitsmarkt ein »grandioses Ablenkungsmanöver« dar.


Quelle: Junge Welt vom 25.04.06 - Von Ralf Wurzbacher
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