Jeder Dritte in Plötzensee sitzt wegen Schwarzfahrens
Jedes Jahr müssen Hunderte ins Gefängnis, weil sie BVG-Strafen nicht zahlten. Und das trotz der chronischen Überbelegung der Berliner Haftanstalten.
Notorisches Schwarzfahren endet jedes Jahr für Hunderte Berliner in einer Gefängniszelle. So sitzt derzeit fast jeder dritte Gefangene in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee nur deshalb ein, weil er immer wieder öffentliche Verkehrsmittel ohne Fahrschein benutzte und auch die daraufhin von Gerichten verhängten Geldstrafen nicht bezahlen konnte oder wollte.
„Mindestens 155 unserer 480 Gefangenen wurden wegen Schwarzfahrens zu Ersatzfreiheitsstrafen verurteilt“, sagt JVA- Leiter Udo Plessow: „Erschleichen von Leistungen heißt der Straftatbestand. Eigentlich haben wir hier noch mehr Schwarzfahrer, aber wenn die Männer auch für andere Delikte verurteilt wurden, wird die Schwarzfahrer-Strafe damit verknüpft und nicht eigens erfasst.“ Wer Geldstrafen nicht bezahlt, kommt in Berlin nach Plötzensee oder ins Frauengefängnis Lichtenberg, wo derzeit sieben Frauen eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen.
„Wir weisen immer wieder darauf hin, dass das Nichtbezahlen der Strafgebühren für Schwarzfahren zur Verurteilung führt“, sagt Friederike Flacke von der Schuldnerberatung Neukölln. „Aber viele ignorieren die Urteile. Oder sie haben einfach das Geld nicht. Dann müssen sie eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten.“
Das bestätigt der Sprecher der Justizverwaltung, Daniel Abbou. Allerdings würde den Betroffenen angeboten, die Ersatzfreiheitsstrafen durch Arbeitsstunden abzubauen. „Schwitzen statt sitzen heißt das Projekt“, sagt Abbou, „aber auch dazu sind leider nicht alle bereit und willens.“
Das liege daran, dass viele, die wegen Schwarzfahrens im Gefängnis landen, durch Alkohol- oder Drogenprobleme gar nicht arbeiten könnten, sagt JVA-Chef Plessow. „Die anderen sind renitente Totalverweigerer. Die meinen, dass der Staat ihnen ermöglichen muss, von A nach B zu kommen. Die lehnen deshalb auch ab, die Strafe abzuarbeiten. So müssen sie diese eben irgendwann absitzen.“
„Müssen Sie das wirklich?“ fragt der grüne Rechtspolitiker Benedikt Lux. „Meine Partei kämpft schon lange dafür, dass bei geringen Vergehen wie Schwarzfahren eine Bagatellklausel gilt und man auf die Ersatzfreiheitsstrafe verzichtet.“ Lux findet Gefängnisstrafen für Schwarzfahrer absurd. Zum einen, weil die Berliner Gefängnisse seit Jahren überbelegt sind und man für rund 118,5 Millionen Euro eine neue Haftanstalt im brandenburgischen Großbeeren baut. Zum anderen, weil die Tagessätze bei vielen Verurteilten, die von Hartz IV leben, oft nur 10 Euro betragen. Ein Haftplatz in Berlin kostet aber mehr als 80 Euro am Tag.
Tatsächlich zahle der Staat drauf, wenn Leute 150 Tagessätze zu 10 Euro abzusitzen hätten, sagt Justizsprecher Abbou: „Aber wenn jemand weder zahlen noch abarbeiten will, muss der Staat irgendwann konsequent sein, um das Gesetz durchzusetzen.“ Das finden auch die Rechtspolitiker Sven Rissmann (CDU) und Sebastian Kluckert (FDP). Benedikt Lux hingegen meint: „Hartz-IV-Empfänger und Leute mit geringem Einkommen sollten kostenlos BVG fahren dürfen.“
Quelle: Tagesspiegel vom 15.12.2008