Missbrauch nicht dramatisch
Es gibt arge Probleme mit den drei JobCentern ARGE. Warteschlangen, schlecht informierte Mitarbeiter, verschwundene Unterlagen, unverständliche Alg II-Bescheide und, und und...
Dazu kommt jetzt noch der Verdacht des potenziellen Missbrauchs bei Hartz IV.
Den kann ARGE-Chef Frank Neukirchen-Füsers so nicht erkennen. "Wir hatten in diesem Jahr 961 Verdachtsfälle", berichtet er. Die sechs Ermittler hätten herausgefunden, dass in 500 Fällen der Verdacht berechtigt war. Doch bei insgesamt rund 43700 Bedarfsgemeinschaften mit rund 75000 Betroffenen findet Neukirchen-Füsers das nicht dramatisch. In rund 250 Fällen konnte nachgewiesen werden, dass ein Paar tatsächlich in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt und nicht in einer Wohngemeinschaft, in der man sich nur die Miete teilt. In den anderen 250 Fällen ging es um Einmalzahlungen etwa für einen Umzug oder die Wohnungsausstattung. Da wurde z.B. festgestellt, dass jemand eine neue Waschmaschine hat, obwohl er Geld dafür beantragt hat.
Aber sind sechs Ermittler vielleicht einfach nicht ausreichend für eine Stadt wie Dortmund" "Natürlich würden sich auch mehr Ermittler rechnen. Nur die müssen wir aus unserem eigenen Personal rekrutieren, während der Bund dann von den möglichen Einsparungen profitiert. Für mehr Ermittler müsste der Bund daher stärker in die Finanzierung einsteigen.
Für den Experten sind die Zahlen von 10 bis 20% Missbrauch, die in den Raum gestellt werden, wenig nachvollziehbar. Die Schätzungen resultierten zum großen Teil aus einer Telefonaktion, bei der man viele Arbeitslose nicht erreicht habe. "Ich kann nicht jeden aus der Arbeitslosenstatistik rauswerfen, nur weil er nicht ans Telefon geht." Die Schätzungen sind aus seiner Sicht zum Teil politisch motiviert um zu belegen, dass es in Wirklichkeit viel weniger Arbeitslose gebe. "Es sind aber nicht viel weniger", ist für Neukirchen-Füsers hingegen sonnenklar.
Er beschönigt auch sonst nichts. "Wir haben Probleme, schon allein durch die ständigen Umstrukturierungen und die Umzüge. Wir mussten eine komplett neue Behörde im laufenden Prozess aufbauen." - kiwi
Quelle: RN vom 26. Oktober 2005, Lokalseite 1 Dortmund
Warteschlangen „unhaltbare Zustände"
JobCenter ARGE arbeitet an Lösungen / EDV ist ein Hauptübel von Hartz IV
Ein Hauptübel von Hartz IV liegt in der EDV. „Wir haben zwei parallel laufende EDV-Syteme", erläutert Frank Neukirchen-Füsers, Geschäftsführer der JobCenter ARGE. Eines für die Sachbearbeitung, eines für die Vermittlung. Änderungen werden nicht automatisch von einem ins andere System übertragen. Ist etwa bei einem Kunden eine Neuerung beim Leistungsbezug eingetreten, kann das sein Vermittler nicht feststellen. Auch der Verlauf, wie es zu der Änderung gekommen ist, ist nicht nachvollziehbar dokumentiert. „Es gibt letztlich kein EDV-System, das für alle einsehbar ist". Klar, dass es da zu Fehlern kommt.
Im nächsten Jahr wird eine neue Vermittlungs-EDV eingeführt. Die bringt Vorteile, doch das heißt auch: Mitarbeiter müssen geschult werden. Bisher zählt die ARGE 37000 (!) Schulungsstunden. Neukirchen-Füsers: „Der gigantische Schulungsbedarf ist hoffnungslos unterschätzt worden."
Von 495 Mitarbeitern, die 28000 Bedarfsgemeinschaften betreuen sollten, war man mal ausgegangen. Doch Neukirchen-Füsers war bereits im letzten Jahr klar, dass „wir mit völlig falschen Prognosen der Fallzahlen gestartet sind".
Daten von 2002/2003 habe man für die Planungsprozesse zugrunde gelegt, „doch seit 2003 sind die Arbeitslosen und Sozialhilfezahlen angestiegen." Darauf hätten die ARGEn hingewiesen. „Wir haben richtig Rabatz gemacht." Doch erst Ende April 2005 wurden von der Bundesanstalt für Arbeit die neuen Berechnungsgrundlagen angewandt. Anfang Mai habe man damit beginnen können, das Personal auf 650 Mitarbeiter für die nun 43 700 zu betreuenden Bedarfsgemeinschaften aufzustocken.
Hier lauert das nächste Problem. „Früher haben Vermittler und Sachbearbeiter eine dreijährige Fachhochschulausbildung absolviert", so der 46-Jährige. Wer im Bereich Qualifikation und Weiterbildung tätig war, machte noch eine einjährige Zusatzqualifizierung. „Heute dauert die Grundschulung drei Monate, dazu kommen drei Monate Coaching durch einen erfahrenen Mitarbeiter." Wenn man mehr neue als erfahrene Mitarbeiter habe, klappe es allerdings auch mit dem Coaching nicht mehr so recht.
Weiterer Knackpunkt: Die derzeitigen Warteschlangen sind für den ARGE-Chef „unhaltbare Zustände." Die Kunden bekämen zwar einen Termin für ihre verschiedenen Anliegen, „doch bis sie den kriegen, dauert es zu lange". Man habe die Verweildauer im Empfangsbereich unterschätzt. Nach 30 Sekunden sollte jeder Kunde eigentlich weitergeleitet werden, doch bei vielen dauert es viel länger. Zurzeit entwickelt die ARGE Modelle, um die Kundensteuerung effektiver zu gestalten. Kundenbefragungen sind geplant.
• Bettina Kiwitt
Quelle: Ruhr Nachrichten vom 27.10.05, Lokalseite 6 Dortmund