Schulbuch oder Zahnspange
Die RN berichtet über eine arbeitslose Mutter und deren Schwierigkeiten die Schulbücher zu bezahlen.
Franziska*, überdurchschnittlich begabt, hat die besten Noten in der Klasse. Trotzdem wird sie vielleicht kein Abitur machen. Ihrer Mutter wachsen die Kosten über den Kopf.
"Ich weiß nicht, ob ich meine Tochter bis zum Abitur durchkriege", sagt Martina H.*, langzeitarbeitslos. Noch geht die zwölfjährige Franziska in die 6. Klasse der Gesamtschule Brünninghausen. 82 Euro soll die ALG 2-Bezieherin nun für Schulbücher abzwacken " die Zuzahlung für das kommende Schuljahr. Dazu kommen Ausgaben für Hefte, Stifte, Mappen, Fahrkarte und Projekte auf sie zu. "Ich bekomme insgesamt 207 Euro im Monat für das Kind. Wie soll das gehen""
Ihren Antrag auf Lernmittelbefreiung musste die Schule ablehnen, denn diese steht " übergangsweise " nur noch solchen Kindern zu, deren Eltern im vergangenen Jahr Sozialhilfe bezogen haben. Martina H. aber bekam Arbeitslosenhilfe und geht leer aus.
Ab 2006 ist mit der Befreiung ohnehin Schluss, wie Reinhard Wojahn von der Agentur für Arbeit erklärt. Mit der neuen Sozialgesetzgebung fallen Beihilfen und Vergünstigungen weg. Die Regelsätze der ALG-Bezieher seien angehoben worden, damit die Betroffenen für Fälle wie den Schulbuchkauf Rücklagen schaffen können, erläutert Daniela Karlic, Sprecherin der Arbeitsagentur.
Für Martina H. klingt das zynisch. "Was ich alles aus den Rücklagen bezahlen soll " Zahnspange, Winterjacke, Turnschuhe mit heller Sohle für den Schulsport..." Sie versteht nicht, warum die Regelsätze für Erwachsene höher sind, als für Kinder. "Ich brauche nicht jedes Jahr neue Schuhe und eine neue Jacke." - rie
Nudeln mit Ketchup zum neuen Schuljahr
Die langzeitarbeitslose Martina H. ist froh, dass ihre Tochter nicht an der Mittagsverpflegung in der Schule teilnimmt. "Das würde auch wieder etwas kosten." So weit, ihrer Tochter Franziska die Kurse vorzuschreiben, für die sie am wenigsten Bücher benötigt, möchte sie allerdings nicht gehen. "Es kann doch nicht sein, dass sie kein Französisch lernen kann, weil für mich das Buch zu teuer ist."
Als langjährige Arbeitslose sei sie daran gewöhnt, kein Auto zu haben und nicht in Urlaub fahren zu können, erzählt Martina H. "Darüber kann ich mich nicht beschweren." Doch wenn es um die Bildung der Kinder geht, wird sie sauer. "Ich bin ja nicht die einzige, die davon betroffen ist. Gering Verdienenden geht es auch nicht anders."
Nach Auskunft des Schulverwaltungsamts wurde im vergangenen Jahr etwa für zehn Prozent der Schüler die Zuzahlungspflicht aufgehoben. Das betraf etwa 5000 Fälle, schätzt Gerd Kaminski .
Trotz allem wird Franziska weiter zur Schule gehen und auch Französisch lernen. "Dann gibt es eben wieder eine Zeit lang nur Nudeln mit Ketchup. Das kennen wir schon, im März ist meine Waschmaschine kaputt gegangen..." - Susanne Riese
Laut Schulgesetz müssen Eltern 49 Prozent der festgelegten Beträge für die Anschaffung von Schulbüchern übernehmen, die andere Hälfte (51 Prozent) trägt der Schulträger. Die Durchschnittsbeträge liegen bei 36 Euro pro Schuljahr für die Grundschulklassen, 78 Euro für die Sekundarstufe I (Kl. 5-10) und 71 Euro für Sek. II (Kl. 11-13).
Die Lernmittelfreiheit gilt für die Schüler bis zum Ablauf des Schuljahres 2005/2006 fort, die "im Schuljahr 2004/2005 wegen des Empfangs von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz von der Zahlung des Eigenanteils befreit waren und nun Leistungen nach Abschnitt 2 des SGB II erhalten".
*Die wirklichen Namen sind der Redaktion bekannt.
Quelle: RN vom 08. Juni 2005
Schulbücher: Viele wollen helfen
Not lässt Menschen enger zusammenrücken, vor allem wenn Not aufwühlt. Und genau das tat unser gestriger Bericht "Schulbuch oder Zahnspange"".
Wir berichteten anhand des konkreten Beispiels einer zwölfjährigen Schülerin über Lernmittelbefreiung, die für Arbeitslosengeld-Empfänger wegfällt. Berichteten über Bücher, die für ihre arbeitslose Mutter nicht bezahlbar sind.
Der betroffenen Mutter von Franziska wollen viele bestürzte Leser finanziell unter die Arme greifen, und auch in der Gesamtschule Brünninghausen blieben " trotz Namensänderung durch die Redaktion " die Reaktionen nicht aus, wie uns die Mutter gestern sagte.
Die Empfängerin von Arbeitslosengeld 2 kann den nötigen Eigenanteil für die Schulbücher der Zwölfjährigen kaum aufbringen und ist nun hin und her gerissen zwischen Bescheidenheit und tiefer Bewegtheit über so viel Mitgefühl: "Ich kann nicht gegen Ungerechtigkeit Sturm laufen und dann selbst alles einstecken. Ich wollte nur ein Beispiel geben für die Ungerechtigkeit in der Hartz-IV-Gesetzgebung. Es kann nicht sein, dass die öffentlichen Mittel immer weiter gekürzt werden und Bürger privat ausgleichen müssen, was in der Politik schief läuft." Dankbarkeit über die Anteilnahme empfindet die arbeitslose Frau natürlich dennoch.
Auch Monika Landgraf - (Foto), die Elternsprecherin aller Schulformen, stimmt der Betroffenen zu: "Als Elternvertreter bin ich dafür, dass es unbedingt einen Not-Topf für diese Fälle geben muss. Und zwar für alle Schulformen. Das müsste sich kurzfristig realisieren lassen." Aber, so Landgraf, ein solcher Spenden-Topf könne nur vorübergehend eingerichtet werden, denn hier sei auf Dauer die Politik gefordert.
Ähnlich sieht es auch Renate Tölle, die Leiterin des Schulverwaltungsamtes: "Hier besteht meiner Meinung nach eine Lücke im Gesetz, die noch niemand gesehen hat."
Die Behörde selbst könne keinen Spenden-Topf ins Leben rufen und: "Noch weiß keiner, wie mit dem neuen Schulgesetz verfahren wird", ergänzt die Amtsleiterin und erinnert daran, dass erst am gestrigen Donnerstag in Düsseldorf verhandelt wurde. - bö
Quelle: RN vom 09. Juni 2005