Strafanzeigenaktion gegen Minister Clement wegen Volksverhetzung
Aufruf und Musterschreiben
Liebe
MitstreiterInnen gegen Hartz-IV!
Am
heutigen Mittwoch hat bundesweit eine Strafanzeigenaktion
gegen den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Wolfgang
Clement begonnen - so unter anderem in Höxter, Dortmund,
Berlin und Göttingen.
Grund
für diese Gemeinschaftsaktion: die Kampagne, die vor einigen
Tagen Wolfgang Clement gegen angebliche "Betrüger",
"Abzocker" und "Parasiten" unter uns
ALG-II-BezieherInnen in Gang gesetzt hat. Viele von Euch kennen
bereits die Äußerungen des Bundesministers zu seiner
Kampagne aus der "Bild am Sonntag" (2. Oktober), "Berliner
Zeitung" (8. Oktober) und der "Bildzeitung" von
vorgestern (17. Oktober).
Diese
Beschuldigungen erfüllen unseres Erachtens in Wortwahl und
Inhalt unter anderem die Straftatbestände der Beleidigung, üblen
Nachrede und Verleumdung sowie der Volksverhetzung. Die ausführliche
Begründung dazu könnt Ihr nachlesen in dem angefügten
Mustertext für eine Strafanzeige.
Wir
rufen Euch hiermit auf, auch Eurerseits wegen der genannten Delikte
Strafanzeige gegen Wolfgang Clement zu erstatten.
Ihr
könnt das bei jeder Polizeidienststelle tun oder bei jeder
Staatsanwaltschaft. Die Anzeige kann persönlich erstattet werden
- mündlich also bei den genannten Dienststellen - oder auch
schriftlich, wie wir das heute mit dem beigefügten Schreiben
getan haben.
Gern
könnt Ihr unseren Schriftsatz ganz oder teilweise als Vorlage
benutzen. Lediglich Absender- und Datumsangabe, Anschrift des
Adressaten und Unterschriftszeile sind dann zu ändern. Die von
uns in unserem Schriftsatz erwähnten Anlagen braucht Ihr Euren
Strafanzeigen nicht beizufügen - oder Ihr holt sie Euch selber
aus dem Internet (Zeitungsnamen "angoogeln", dann dort auf
den Startseiten die angegebenen Datumsangaben anklicken, zum Teil
unter "Archiv").
Wichtig
ist eine breite Beteiligung an dieser Anzeigenaktion, um eine
Einstellung des beantragten Strafverfahrens gegen den
Wirtschaftsminister wegen angeblicher "Geringfügigkeit"
oder wegen angeblichen "Mangels an öffentlichem Interesse
an einer Strafverfolgung" dieser Delikte zu verhindern (was
sonst theoretisch nach § 153 Strafprozeßordnung (STPO) 90
nicht auszuschließen wäre).
Wichtig
ist ferner, daß keiner und keinem, die oder der diese
Strafanzeige erstattet, irgendwelche Nachteile dadurch entstehen
können. Wir haben das Recht dazu, und wir sollten es im
Interesse des Rechtsfriedens und des sozialen Friedens in unserem
Lande auf jeden Fall nutzen.
Wichtig
ist schließlich, daß bei Strafanzeigen wie im
vorliegenden Fall die Staatsanwaltschaften verpflichtet sind, den
angezeigten Delikten nachzugehen. Es handelt sich um sogenannte
"Offizialdelikte", das heißt, die genannten Behörden
müssen im öffentlichen Interesse diesen Delikten nachgehen
- heißt: zusätzlich auch noch eigene Ermittlungen
anstellen, juristische Begründungen gegebenenfalls auch
ihrerseits noch vertiefen undsoweiter. Was auch bedeutet:
Jeder
Bürger und jede Bürgerin kann diese Strafanzeigen
erstatten, nicht nur die betroffenen ALG-II-BezieherInnen. Deshalb
bitten wir Euch , diesen Aufruf auch weiterzuleiten an Freunde und
Bekannte, die nicht BezieherInnen von Arbeitslosengeld II
sind!
Außerdem
bitten wir Euch, von dieser Anzeigenaktion auch die Medien - zum
Beispiel die Presse vor Ort - zu unterrichten. Wir wissen, daß
sich das Zutrauen in die Justiz bei manchen unter uns bereits in
Grenzen hält, da ist es um so wichtiger, daß diese
Anzeigenaktion durch ein breites Echo in der Öffentlichkeit zu
der dringend erforderlichen Sensibilisierung beiträgt gegenüber
der Ungeheuerlichkeit der Kampagne, die Wolfgang Clement mit seinen
unsäglichen Beschuldigungen losgetreten hat.
Unserer
Auffassung nach handelt es sich bei diesem medienöffentlichen
Feldzug des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit um nichts
anderes als um eine großangelegte Kampagne zur moralischen
Stigmatisierung potentiell aller ALG-BezieherInnen in der
Bundesrepublik. Auch das haben wir in der Begründung zu unserer
Strafanzeige detailliert erläutert.
Letzter
Punkt: Informiert uns, die InitiatorInnen, von Euren Aktionen! Auch -
dies eine herzliche Bitte - durch Zusendung Eurer Anzeigentexte (wenn
sie von unserer Vorlage erheblich abweichen sollten) und durch
Zusendung der Berichte aus der Presse bei Euch vor Ort!
Bitte
schickt diese Informationen entweder uns - Sybille Marggraf und
Holdger Platta - per Post zu (= per Post, weil wir als
ALG-II-BezieherInnen, aus Kostengründen also, nicht mehr alle
eingehenden umfangreichen Mails nebst Anhängen von unserem PC
ausdrucken lassen können) oder per Mail an Edgar Schu, Göttingen
(E.Schu1(ät)mx.de)! Wir sammeln Eure Mitteilungen und machen das
Ergebnis unserer Aktion nach deren Abschluß allen
TeilnehmerInnen zugänglich. Unsere Postadresse findet Ihr
unten.
Mit herzlich-solidarischen Grüßen
Sybille
Marggraf und Holdger Platta
Füllegraben 3, 37176
Sudershausen
Strafanzeige gegen Wolfgang Clement
Sybille
Marggraf/Holdger Platta * Füllegraben 3 * 37176 Sudershausen,
den 19.10.05
An die
Staatsanwaltschaft
Berliner
Straße 8
37073 Göttingen
Sehr
geehrte Damen und Herren,
wir erstatten hiermit
S t r a f a n z e i g e
gegen
den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Herrn Wolfgang
Clement, Scharnhorstplatz 34-37, 10115 Berlin
(Dienstadresse)
wegen
des Verdachts des Verstoßes
gegen das Grundgesetz (Artikel 5, Abs. 2, „Schutz der persönlichen
Ehre“) und des Verdachts der Volksverhetzung (§ 130 StGB)
sowie wegen Beleidigung (§ 185 StGB), übler Nachrede (§
186 StGB), Verleumdung (§ 187 StGB) und aller anderen hier ggf.
in Frage kommenden Gesetzesverstöße.
Vorweg:
Die
Tatsache, daß von uns ein Bundesminister wegen Verdachts auf
Volksverhetzung und wegen anderer Delikte angezeigt wird, muß
darauf hin überprüft werden, ob dies nicht selber im hohen
Maße fragwürdig ist. Zwar ist wichtig, daß sich
Bürgerinnen und Bürger sensibel und engagiert für
unseren demokratischen Rechtsstaat einsetzen, und von eminenter
Bedeutung ist selbstverständlich auch, daß führende
Politiker eines demokratischen Rechtsstaates nicht im genannten
Sinne straffällig werden, in dieser Hinsicht über jeden
Zweifel erhaben sind und nicht durch eigene Entgleisungen den
Rechtsfrieden und sozialen Frieden in der Bundesrepublik stören.
Schließlich dürfte unstrittig sein: wenn ein Minister in
Ausübung seines Amtes entgleist, entgleist nicht einfach nur
eine Einzelperson, sondern eben auch ein hoher Repräsentant
dieses Staates mit Macht und Einfluß. Woraus folgt – nicht
zuletzt unter Beachtung des Amtseides, den jeder Minister bei seiner
Verpflichtung vor dem Bundestag abzulegen hat - , daß er wegen
dieses Einflusses und wegen dieser Macht auch besondere Verantwortung
dafür trägt, daß der soziale Friede und die
öffentliche Ordnung in diesem Lande gewahrt bleiben. Er hat sich
in besonderem Maße bewußt zu sein und bewußt zu
bleiben, daß man gerade ihm in seiner herausgehobenen Position
nicht durchgehen lassen kann, was noch jeden „einfachen“
Staatsbürger zur Recht vors Gericht bringen würde – auch
dann, wenn dieser „einfache“ Staatsbürger sich
möglicherweise sogar das entsprechend verwerfliche Verhalten
eines Ministers zum Vorbild genommen hat. Trotzdem dürfen
Vorwürfe der vorliegenden Art nicht leichtfertig erhoben werden,
es müssen gravierende Anlässe für sie gegeben sein,
Belege und ernstzunehmende Gründe für diese Besorgnisse.
Sehr sorgfältig sind also in jedem Einzelfall die Dinge zu
prüfen.
Freilich muß andererseits auch
berücksichtigt werden, daß eine Anzeige, die den Verdacht
auf die Möglichkeit erheblicher Straftaten bei einem
hochrangigen Politiker untersucht wissen will, auch auf gewichtige
Gegen-Vorurteile stoßen kann : dem Vor-Urteil etwa,
„Volksverhetzung“ könne ein Bundesminister schon deshalb
nicht begangen haben, weil er eben Bundesminister ist – hoher
Repräsentant eines demokratischen Rechtsstaates mithin. Die
Frage, die dahintersteckt und Abwehr ebenso wie Antwort gleich
mitenthält, könnte man also wie folgt formulieren: wie kann
allen Ernstes angenommen werden, daß eine derartig hochrangige
Persönlichkeit eine solche Position habe erringen können,
wenn sie zu dermaßen schlimmen Entgleisungen fähig ist?
Das bedeutet: auch Befangenheiten, die sich gegen Besorgnisse
stellen, wie sie in dieser Strafanzeige formuliert worden sind,
können das Urteil trüben – unbewußte
Identifikation mit Machtpersonen also, allzu grenzenlos-blindes
Vertrauen in die Kontrollmechanismen unserer Demokratie sowie politische Voreingenommenheit oder ein sehr menschliches
Harmoniebedürfnis ganz generell.
Insofern erfordert jede
Strafanzeige nicht nur eine rechtlich einwandfreie objektive
Überprüfung des angezeigten Sachverhalts, sondern auch
Selbstüberprüfung der damit Befaßten im Blick auf
eigenen subjektive Hindernisse oder Bedingungen. Übrigens
schließt das nach unserer Auffassung auch uns selber mit ein.
Zumindest mit subjektiver Berechtigung hoffen wir sagen zu können,
daß wir alle Aspekte bei unserer Anzeige äußerst
gründlich und umfassend überprüft haben. Dieses
mehrfache Bedenken hat unsere Besorgnisse freilich nicht mindern
können, ganz im Gegenteil. Doch damit zum Sachverhalt selbst.
Wir begründen unsere Strafanzeige wie folgt (zunächst
der Sachverhalt):
Der genannte Herr Wolfgang Clement,
Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, hat mindestens
zweimal
- einmal in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ für die Ausgabe vom 2. Oktober 2005 (siehe Anlage 1 !) und
- einmal in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“ für die Ausgabe vom 8. Oktober 2005 (siehe Anlage 2 !)
öffentlich die folgenden Tatsachenbehauptungen
aufgestellt:
1. „Die Hemmschwellen für die
Abzocke bei Arbeitslosengeld II und weiteren Unterstützungsleistungen
sind offenkundig gesunken“;
2. „Das zeige sich bei der
Zunahme von Korruption, Schwarzarbeit und beim Sozialmißbrauch“;
3.
Dieser Mißbrauch geschähe „im großen Stil“;
4.
es gälte, dem mit einer „Kampagne“ zu „antworten“. Ihr
Titel sei: „Vorrang für die Anständigen – gegen
Mißbrauch, Abzocke und Selbstbedienung im Sozialstaat.“
(Alle
vorangegangenen Zitate: siehe Anlage 1 !)
5.
Nach „Stichproben und Anrufaktionen der Bundesagentur für
Arbeit kann vermutet werden, daß die Arbeitslosigkeit derzeit
um mindestens zehn Prozent überschätzt wird.“;
6.
„Wir wollen keine Gesellschaft sein, in der die Ehrlichen sich als
Dumme fühlen.“;
7. „Jeder Euro, der am
Arbeitsmarkt ‚abgezockt’ wird, steht für eine sinnvolle
Unterstützung nicht mehr zur Verfügung“;
8.
„Leistungsmißbrauch ist also kein Kavaliersdelikt, sondern
ein Betrug an all denen, die Hilfe wirklich brauchen, und an
Millionen Menschen, die ihre Steuern und Sozialabgaben ehrlich
entrichten und die sich auf diesen Staat verlassen können
müssen.“;
9. deshalb solle ein „Maßnahmenpaket“
mit „sieben Stufen“ realisiert werden, zu denen unter anderem
„bei Verdacht auf Leistungsmißbrauch“ auch „Hausbesuche“
zählten: „Dabei soll vor allem kontrolliert werden, ob
Leistungsbezieher in eheähnlichen Verhältnissen wohnen und
daher von ihrem Partner unterstützt werden müßten.“;
10.
dieses „Maßnahmenpaket“ sei „auch eine Reaktion auf die
ausufernden Hartz-IV-Kosten. Statt eingeplanter 14,6 Milliarden Euro
muß der Bund im laufenden Jahr 26 Milliarden Euro für das
neue Arbeitslosengeld II (ALG II) zahlen.“
(Alle
Zitate unter den Punkten 5 bis 11: siehe Anlage 2 !)
11.
Die Sozialbetrüger und Abzocker seien „Parasiten“ (so in der
„Bildzeitung“ vom 17.
Oktober 2005, siehe
bild.t-online.de!).
Wolfgang Clement hat damit in seiner
amtlichen Eigenschaft als Bundesminister für Wirtschaft und
Arbeit – als sehr hoher Repräsentant und verantwortlicher
Politiker dieses Staates also – zumindest bei zwei verschiedenen
Gelegenheiten zehn Prozent der ALG-II-BezieherInnen – das sind rund
280.000 Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik –
öffentlich beschuldigt, durch Betrug, auf kriminelle Weise also
(§ 85 StGB), ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben zu
haben, zumindest in der von ihnen reklamierten Höhe, und/oder
durch fortwährenden Betrug – auch hier: zumindest, was die
Höhe des beanspruchten Arbeitslosengeldes betrifft –
aufrechtzuerhalten. Öffentlich hat der Bundesminister mithin
eine ganze Bevölkerungsgruppe als Kriminelle hingestellt. Allein
dieses erfüllt unseres Erachtens den Tatbestand der
Volksverhetzung und die anderen genannten Tatbestände der
Beleidigung, üblen Nachrede und Verleumdung.
Wenn man
diese Vorwürfe - zu Substantiven zusammenfaßt –
auflistet, hat der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit die
betreffenden ALG-II-BezieherInnen mit den folgenden Begriffen
diffamiert:
Betrüger (mehrfach)
Abzocker
(mehrfach)
Ungehemmte/Hemmungslose (Betrüger
usw...)
Korrupte
Schwarzarbeiter
Sozialmißbraucher
(auch: im großen Stil)
Mißbraucher
Selbstbediener
Unehrliche
(mehrfach)
Unanständige
Leistungsmißbraucher
(mehrfach)
Parasiten
Dieser
Beleidigungen usw. werden nicht relativiert oder gerechtfertigt
dadurch, daß sich der Bundesminister zum Beleg seiner
Bezichtigungen auf sogenannte „Stichproben“ und eine
„telefonische Umfrageaktion der Bundesagentur für Arbeit“
beruft. Ganz im Gegenteil: dieser Begründungversuch belegt die
ungeheure Leichtfertigkeit, mit der Wolfgang Clement mindestens diese
280.000 Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik auf
volksverhetzende Weise der Öffentlichkeit gegenüber als
Kriminelle hingestellt hat:
1. „Stichproben“ lassen,
bereits dem Wortsinn nach, höchstenfalls Vermutungen mit
äusserst begrenztem Wahrscheinlichkeitscharakter und
Aussagewert für die Gesamtheit der jeweils durch sie betroffenen
Gruppe zu. Schon insofern hat der Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit auf bloße Spekulationen hin über 280.000
Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik gegenüber
der Öffentlichkeit als Kriminelle hingestellt. Allein dieses
zeigt den im hohen Maße leichtfertigen und bösartigen
Charakter dieser Beschuldigungen. Es zeigt außerdem, daß
der Minister mit dieser Äußerung auf rechtswidrige Weise
gegen die für unseren Rechtsstaat zentrale Unschuldsvermutung
verstoßen hat. Die Härte seines Vorwurfs an die Adresse
von 280.000 Arbeitslose in der Bundesrepublik – sie seien
Verbrecher – und die ungeheuerliche Leichtfertigkeit, mit der
diese Beschuldigung gleich zweimal von dem Minister öffentlich
erhoben worden ist, zeigen, daß hier auf strafrechtsrelevante
Weise der öffentliche Frieden in der Bundesrepublik gestört
worden ist. Ohne tatsächlichen und seriösen Beleg hat der
Minister damit – in seinen eigenen Worten gesagt – eine
„Kampagne“ gestartet, die eine ganze Bevölkerungsgruppierung
mit den ihr angehörigen Menschen beleidigt, verleumdet, ihnen
die Ehre nimmt und ihre Würde mit Füßen tritt.
Kriminalisierungskampagnen wie die des Bundesministers Wolfgang
Clement stacheln zum Haß der Gesamtbevölkerung gegen die
Arbeitslosen auf, sie müssen, nach der sozialen Ausgrenzung,
die für die meisten ALG-II-BezieherInnen eh schon aus
materiellen Gründen eingetreten ist, als moralische
Stigmatisierung wirken, deren Folgen für das Gemeinwohl in
diesem Lande noch gar nicht abzusehen ist. Wer, wie der Minister es
im Kern tut, 280.000 Menschen in diesem Land als „Sozialschmarotzer“
diffamiert, darf sich nicht wundern, wenn es womöglich zu einer
tiefgehenden feindseligen Entfremdung zwischen den verschiedenen
Bevölkerungsteilen kommt und nicht zuletzt sogar zu bedrohlichen
aggressiven Entgleisungen tätlicher Art.
2. Zu
rechtfertigen und zu belegen sind diese beleidigenden Unterstellungen
des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gegenüber
280.000 Arbeitslosen in diesem Lande aber auch nicht durch die von
ihm erwähnte „telefonische Umfrageaktion der Bundesagentur für
Arbeit“.
Erstens war diese Umfrageaktion nach Aussage
des Bundesbeauftragten für Datenschutz, Peter Schaar, illegal:
die Aussagen der befragten ALG-II-BezieherInnen wurden zum Teil mit
der Drohung erzwungen, sie verlören sonst ihren Anspruch auf das
Arbeitslosengeld II. Außerdem wurde diese Umfrageaktion – die
insgesamt völlig lückenhaft blieb (und sich insofern nicht
von einer „Stichprobe“ unterschied, siehe oben, Punkt 1) – von
einem privat-kommerziellen Call-Center durchgeführt, das nicht
befugt war, diese Befragung durchzuführen (Verstoß gegen
das Verbot der Weitergabe von Sozialdaten an Privatpersonen und
kommerzielle Stellen). Illegal erhobene Daten können aber schon
grundsätzlich nicht als Beleg und zur Rechtfertigung der hier
inkriminierten Anschuldigungen dienen – sie sind von vornherein in
rechtlicher Hinsicht irrelevant. Freilich wirft auch dieser Vorgang
ein Licht auf den eigentlichen Charakter der Aktionen gegen die
Arbeitslosen: sie sind von einer bestürzenden Gleichgültigkeit
gegenüber den Grundprinzipien unseres Rechtsstaates geprägt
– wofür an oberster Spitze der Bundesminister für
Wirtschaft und Arbeit, Herr Wolfgang Clement, verantwortlich
ist.
Zweitens: Aber auch, was die sachliche Richtigkeit
der auf diesem illegalen Wege erhobenen Auskünfte betrifft,
können diese Daten nicht die beleidigenden, ehrabschneidenden,
verleumderischen Behauptungen des Bundesministers belegen.
Zahlreiche Sozialwissenschaftler haben dies bereits öffentlich
festgestellt. Hier genügt der Hinweis, daß „ehe- oder
nicht-eheliche Partnerschaftsverhältnisse“ (siehe Punkt 9 der
Anschuldigungen des Ministers, S. 4 dieser Anzeige hier!) innerhalb
einer Wohngemeinschaft nicht per Telefon gerichtsfest eruiert werden
können – um so weniger, wenn die telefonischen Auskünfte
zum Teil mithilfe der genannten haltlosen Androhungen erzwungen
worden sind. Aber nur gerichtsfeste empirische Beweise hätten
zumindest sachlich, wenn auch nicht juristisch, dem Bundesminister
gegebenenfalls das „Recht“ geben können, 280.000 Menschen
der Öffentlichkeit gegenüber als Kriminelle hinzustellen.
Es ist dabei von besonderer Verwerflichkeit, daß sich ein hoher
Amtsträger unseres Rechtsstaates zu derart schlimmen und
fahrlässigen Verurteilungen hat hinreißen lassen, zu
Verurteilungen, die jeder Unschuldsvermutung Hohn sprechen und
geeignet sind, den öffentlichen Frieden – der auch ein
Rechtsfrieden ist – aufs nachhaltigste zu stören.
Wie
gefährlich diese Äußerungen des Bundesministers für
den sozialen Frieden in der Bundesrepublik sind, geht aber nicht
zuletzt aus dem folgenden Tatbestand hervor:
Diese
Stigmatisierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe als „Abzocker“,
„Betrüger“ und „Parasiten“ betrifft nicht nur die –
angeblich! - davon betroffenen 280.000 ALG-II-BezieherInnen, von
denen der Minister spricht; nein, wenn man genauer hinsieht und auf
die realen Auswirkungen im sozialen Alltag schaut, trifft diese
Stigmatisierung alle Erwerbslosen in der Bundesrepublik, die
Arbeitslosengeld beziehen. Die volksverhetzenden Äußerungen
des Bundesministers lassen nämlich in der Lebenswirklichkeit gar
keine Unterscheidungsmöglichkeit zwischen den angeblichen
BetrügerInnen und den NichtbetrügerInnen unter den
ALG-II-Beziehern zu. Alle rund 2,8 Millionen Arbeitslosen in der
Bundesrepublik, die ALG-II beziehen, haben unter diesen
Verurteilungen zu leiden, nicht nur die angeblich 280.000
„Abzocker“, „Betrüger“ und „Parasiten“ unter ihnen!
Die volksverhetzenden Tatsachenbehauptungen des Bundesministers sind
also geeignet, das gesamte Klima in unserem Gemeinwesen, soweit es
das Verhältnis von Erwerbstätigen und Erwerbslosen
betrifft, zu vergiften und den Frieden und die öffentliche
Ordnung zu stören. Noch jeden Arbeitslosen, der ALG-II bezieht,
bringen diese bösartigen Unterstellungen daher in eine rechtlich
unzumutbare und zudem schier ausweglose Situation.
- Rechtlich unzumutbar ist diese Situation, weil die von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen bei Angriffen aus der Bevölkerung, die sich auf diese ministeriellen Äusserungen berufen, dazu genötigt sind, in Umkehrung der Beweislast und wegen der Aufhebung der Unschuldsvermutung - wie sie der Minister der Öffentlichkeit vorgemacht hat - jeweils in der Alltagssituation den Beweis antreten zu sollen, daß sie nicht zu den „Betrügern“ und „Abzockern“ zählen. Was noch vor jedem Gericht gilt und zu den zentralen Rechtsprinzipien unseres Rechtsstaats zählt, hat für diese Arbeitslosen aufgrund der Beschuldigungen des Ministers in ihrem Alltag zu existieren aufgehört.
- Schier ausweglos ist diese Situation, weil dies – den Unschuldsbeweis anzutreten - den betroffenen Arbeitslosen in der jeweiligen konkreten Alltagssituation schlichtweg unmöglich ist: selbst bei größter Anstrengung wird es ihnen praktisch immer verwehrt sein, die eigene Ehre durch Gegenbeweis zu den volksverhetzenden Äußerungen des Bundesministers wiederherzustellen. Zur Wiederherstellung des sozialen Friedens und der öffentlichen Ordnung in der Bundesrepublik sowie zur Wiederherstellung der individuellen Ehre eines jeden einzelnen Arbeitslosen in unserem Lande ist also zwingend erforderlich, daß dieser Bundesminister für seine haltlosen Unterstellungen rechtlich zur Rechenschaft gezogen wird. Einen anderen Weg, der den genannten Rechtsschutz – die Unschuldsvermutung – und die Befreiung von dem Zwang, die eigene Unschuld beweisen zu sollen, für die ALG-II-BezieherInnen wieder in Kraft setzt, als diese Rechtssicherheit über die §§ 130, 185, 186 und 187 StGB sowie Artikel 5, Abs. 2 des Grundgesetzes auf dem Gerichtsweg wiederherzustellen, gibt es nicht.
Abschließend
weisen wir noch auf die folgenden Fakten hin:
Der mehrfach vom
Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit gebrauchte Begriff des
„Abzockens“ wird vom DUDEN („Die deutsche Rechtschreibung“,
Mannheim 2001, siehe Anlage 3 !) folgendermaßen definiert:
- „(ugs) jmdn (auf betrügerische Art) um sein Geld bringen“
Das
bedeutet aber im Zusammenhang mit „Sozialmißbrauch“ –
eine Verbindung, die der Bundesminister selber hergestellt hat, siehe
oben, Punkt 2 seiner Behauptungen (hier auf Seite 3): der
Bundesminister hat in der Substanz gegenüber den 280.000
ALG-II-BezieherInnen, die angeblich in dieser Hinsicht straffällig
geworden sind, nicht ‚nur’ allgemein von „Betrug“ oder
„Abzocke“ gesprochen, von kriminellen Delikten also, die es auch
in anderen Zusammenhängen als im Zusammenhang von
Sozialzahlungen gibt. Er hat damit vor allem in prononcierter Weise
die Denkfigur des „Sozialschmarotzers“ oder des „Sozialparasiten“
wiederbelebt und gegen die betreffenden (in Wirklichkeit - siehe oben
die Seiten 7ff.! – gegen alle) ALG-II-BezieherInnen gerichtet, er
hat also eine Behauptung aufgestellt, wie sie bereits vom OLG
Frankfurt am Main am 15. August 2000 in seinem Urteil 2 Ss 147/00 als
Volksverhetzung rechtkräftig verurteilt worden ist. Und
inzwischen, am Montag dieser Woche (17.10.2005), hat der
Bundesminister in der „Bildzeitung“ die ALG-II-BezieherInnen, die
sich angeblich strafbar gemacht hätten, auch expressis verbis
als „Parasiten“ bezeichnet, wie oben auf Seite 4 bereits
erwähnt. Durch diesen Vergleich von Menschen mit Ungeziefer ist
Wolfgang Clement endgültig im Vokabular der Nationalsozialisten
angekommen (hier genügt der Hinweis auf entsprechende
Untersuchungen der Nazi-Sprache durch Victor Klemperer – „LTI“
(= „Lingua Tertiae Imperii“: „Die Sprache des Dritten Reiches“)
- , Dolf Sternberger – „Das Wörterbuch des Unmenschen“ –
und Theodor W. Adorno et alii – „Der autoritäre Charakter“).
Diese neuerliche Entgleisung des Bundesministers zeigt:
- daß er seine „Kampagne“ – so er selbst - gegen die „Abzocker“ und „Betrüger“ fortsetzt;
- daß er diese Kampagne sogar eskaliert;
- daß er nicht mehr zurückschreckt vor Begriffen, die vom OLG Frankfurt am Main mit dem o.g. Urteil rechtskräftig als volksverhetzend gewertet worden sind.
(Der Umstand, daß sich der Eindruck
aufdrängen kann, der Bundesminister leide inzwischen unter
Kontrollverlust gegenüber seinen aggressiven Impulsen, kann hier
wohl unbeachtet bleiben). Entscheidend ist:
Gemäß
Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 90/241 liegt damit eindeutig
eine Störung des öffentlichen Friedens vor. Der
Bundesminister hat dabei die Erwerbslosen zu einem Gutteil zu
Sündenböcken seines eigenen Versagens gemacht – zum
Beispiel bei der Fehleinschätzung des Kostenvolumens für
Hartz IV -, genau so, wie bereits 1972 der renommierte
Sozialpsychologe und Psychoanalytiker Professor Dr. Dr. Horst
Eberhard Richter in seiner Publikation „Die Gruppe“ (Reinbek) in
einem ganzen Kapitel unter der Überschrift „Die
Sündenbockrolle der ‚neuen Armen’“ auf den Seiten 197ff.
diesen Sündenbockmechanismus detailliert erläutert hat. Zu
den eigenen Fehleinschätzungen des Bundesministers siehe dabei
Anlage 4!
Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß
diese strafrechtsrelevanten Unterstellungen des Bundesministers
offenkundig dazu dienen sollen, weitere schwerste Rechtsverstöße
zu „rechtfertigen“, zum Beispiel, in der Gestalt sogenannter
„Hausbesuche“ (siehe oben, Punkt 9 auf Seite 4!), das Recht auf
„Unverletzlichkeit der Wohnung“ (Artikel 13 unseres
Grundgesetzes) aufzuheben. Und zuallerletzt:
Wir weisen
ausdrücklich darauf hin, daß der Bundesminister für
Wirtschaft und Arbeit nicht ‚nur’ bestimmte Verdächtigungen
gegenüber den ALG-II-BezieherInnen ausgesprochen hat,
dahingehend nämlich, daß ein Teil von ihnen – über
280.000 Bürgerinnen und Bürger – sich möglicherweise
straffällig gemacht hätten. Verdächtigungen tragen
negative Vermutungen vor – sie stellen sozusagen „Delikte im
Konjunktiv“ dar (= „Es könnte sein, daß der und der
das und das begangen hat.“). Der Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit hat seine Beschuldigungen ausnahmslos in der Form von
Tatsachenbehauptungen vorgebracht: seinen Äußerungen
zufolge ist nicht nur möglich, sondern gewiß, daß
mindestens 280.000 ALG-II-BezieherInnen Kriminelle sind. Lediglich im
Zusammenhang mit der Anzahl der Arbeitslosen insgesamt hat der
Bundesminister einmal von „Vermutung“ gesprochen! Selbst wenn
man also einräumte, daß ein verantwortlicher Minister
befugt sein könnte, zur Warnung und zur Information der
Bevölkerung öffentlich irgendwelche Befürchtungen
mitzuteilen, die sich auch auf das möglicherweise kriminelle
Verhalten von Bevölkerungsteilen erstreckt, so hat er diese
Grenze in Form und Inhalt seiner tatsächlichen Äußerungen
weit überschritten – von der fehlenden rechtlichen und
sachlichen Grundlage für diese kriminalisierenden
Beschuldigungen an dieser Stelle einmal ganz abgesehen (siehe Seite
6f. dieses Schriftsatzes!).
Dieser fatalen Entwicklung muß
der Rechtsstaat Bundesrepublik Einhalt gebieten durch die Einleitung
eines Ermittlungsverfahrens gegen den Bundesminister für
Wirtschaft und Arbeit, Herrn Wolfgang Clement, zumindest wegen der in
dieser Strafanzeige angesprochenen Delikte. Es darf nicht sein, daß
nach der sozialen Ausgrenzung der Arbeitslosen in der Bundesrepublik,
die eh schon aufgrund der für sie eingetretenen materiellen
Auswirkungen eingetreten ist, nunmehr auch noch die moralische
Stigmatisierung der Arbeitslosen betrieben werden kann – nicht
einmal durch höchste Amtsträger dieser
Bundesrepublik!
Deshalb erstatten wir in unserer Eigenschaft als Staatsbürgerin und Staatsbürger unseres Landes Strafanzeige wegen des Verdachts der Volksverhetzung und als selber betroffene ALG-II-Bezieher Anzeige wegen Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung.
Quelle: www.berlin-unzensiert.de