Strafen und sparen
In den Jobcentern wird immer öfter sanktioniert. Die Sanktionen dienen nicht nur zur Disziplinierung der Erwerbslosen, sondern helfen den Jobcentern auch, Sparvorgaben zu erfüllen.
Ein kurzer Blick zurück in die Anfangstage der Hartz-Gesetze: In einer kahlen Berliner Fabrikhalle fädeln die Beschäftigten, auf Plastikstühlen sitzend, Ketten aus billigen Glasperlen. Abends, wenn alle gegangen sind, werden die Ketten vom Vorarbeiter zerschnitten. Am nächsten Morgen geht das von vorne los. Um diese besondere Form der Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen, hatte der Unternehmer Arnd R. im Frühjahr 2004 rund 130 Erwerbslose an sich selbst vermittelt – und für ihre Beschäftigung üppige Provisionen von der örtlichen Arge kassiert. Die versprochenen Löhne wurden den Arbeiterinnen und Arbeitern nie ausgezahlt, der Unternehmer war, wie sich später herausstellte, ein Hochstapler, der Fall landete vor Gericht. Das Bemerkenswerte war jedoch: Bis den Ämtern etwas merkwürdig vorkam, vergingen damals mehrere Monate.
Zwischen all den Fortbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen, den verpflichtenden, aber nicht selten sinnlosen Ein-Euro-Jobs und dem neu verschärften Zwang für Erwerbslose, jede »zumutbare« Arbeit anzunehmen, war das absurde Theater des Arnd R. überhaupt nicht weiter aufgefallen. So viel gilt freilich bis heute unverändert: Auch wenn die Tätigkeit so produktiv wie Fingernägelkauen ist und allenfalls auf stumpfe Gefügigkeit vorbereitet, haben sich die Erwerbslosen dies, so das Konzept der Hartz-Gesetze, gefallen zu lassen, so lange den Erwerbstätigen, die für ihren Lebensunterhalt sorgen, noch nichts Besseres eingefallen ist. Auf eine in materieller Hinsicht würdige Existenz gibt es kein Recht. Man hat sich ihrer durch Wohlverhalten würdig zu erweisen. Und schließlich: Wie motiviert man Erwerbslose dazu, pünktlich parat zu stehen, wenn es um Tätigkeiten geht, die nicht nur wie Strafarbeit aussehen, sondern sich auch so anfühlen? Klar: mit der Androhung von noch mehr Strafe.
Die Härte allerdings, mit der diesem absurden Anspruchshaltung gegenüber Erwerbslosen Nachdruck verliehen wird, war in dieser Legislaturperiode neu. Die Zahl der Sanktionen gegen Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II (ALG II) hat, wie die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigt, vor allem seit 2007 stark zugenommen. Das gesetzliche Straf-Instrumentarium wurde 2007 verschärft, die Zahl der verhängten Sanktionen stieg im folgenden Jahr um ganze 58 Prozent an. Seither weist die Kurve, mit Ausnahme einer Stagnation im Frühjahr 2008, weiter nach oben.
Auch auf institutioneller Ebene ist das Sanktionssystem weiter perfektioniert worden. In manchen Argen würden Sanktionen gezielt eingesetzt, um die Kosten zu drücken, so wird auf den Führungsebenen der Argen hinter vorgehaltener Hand bestätigt. Um die Sanktionsquoten sei ein informeller Wettbewerb entstanden, angefeuert durch Statistiken der Bundesagentur für Arbeit, die die örtlichen Sanktionsquoten für andere Jobcenter bundesweit transparent machten. Niedrige Sanktionsquoten würden von oben beargwöhnt, neue Stellen dann nur zögerlich bewilligt. Vor allem junge Arge-Leiter, die noch etwas werden wollten, profilierten sich deshalb mitunter durch hohe Sanktionsquoten, kritisiert etwa auch Markus Kurth, der sozialpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, im Gespräch mit der Jungle World.
Formale Vorgaben für die Sanktionspraxis von oben braucht es da nicht. Für 2009 hat die Bundesregierung den Argen lediglich unspezifisch vorgegeben, 6,7 Prozent weniger Geld für ALG II-Leistungen auszugeben als im vergangenen Jahr. Wie das erreicht werden soll, ist jeder Arge selbst überlassen. Die Zahl sei ein »bundesweiter Orientierungswert« und selbstverständlich »sehr ehrgeizig«, heißt es erklärend im »Planungsbrief 2009«, der im vergangenen Herbst intern an alle Argen verschickt wurde. Die BA in Nürnberg hat die Vorgabe inzwischen, wie jedes Jahr, fleißig aufgefächert und jeder der rund 370 Argen vorgerechnet, ob sie im Hinblick auf die örtliche wirtschaftliche Lage eine Einsparung über oder unter jenem »Orientierungswert« beizutragen habe.
Nun kennt das geltende Sozialrecht zur Disziplinierung ein eher grobschlächtiges, aus Sicht der Argen aber wirtschaftlich nicht uninteressantes System von Strafen: Beim ersten Vorwurf mangelnder »Mitwirkung« wird dem Erwerbslosen die Grundsicherung um 30 Prozent gekürzt, beim zweiten Mal um 60 Prozent, beim dritten Mal vollständig, einschließlich des Geldes für die Unterkunft. Versäumt ein »Kunde« es lediglich, auf einen Brief der Arge zu antworten, werden bereits zehn Prozent fällig.
Die Sozialausgaben zu reduzieren, indem man Erwerbslose in Arbeit vermittelt, ist bekanntlich nicht minder eine Sisyphusarbeit als das Perlenfädeln bei Arnd R., insbesondere in einer Zeit, in der dank steigender Produktivität eigentlich immer mehr Menschen morgens ausschlafen könnten, weil die strukturelle Arbeitslosigkeit ansteigt. Aber Sanktionen verhängen? Nichts leichter als das. Die Betroffenen tragen die Beweislast für ihre Unschuld selbst. Die Höhe der gesetzlich garantierten »Beratungshilfe«, so etwas wie die Pflichtverteidigung für ALG-II-Empfänger gegenüber den Argen, wurde erst im vergangenen Herbst vom Bundestag weiter abgesenkt.
Indem die Jobcenter Ein-Euro-Jobs anbieten, kann auf einfache Weise Geld gespart werden. Sie anzubieten, kostet fast nichts. Und zu Fehlverhalten des einen oder der anderen kommt es fast zwangsläufig – und damit zu Sanktionen, die den Argen Einsparungs-Prozente bringen. Finanziell betrachtet sind solche »Tests der Arbeitsbereitschaft« sogar umso einträglicher, je unbeliebter die angebotenen Tätigkeiten sind.
Mit einigem Erstaunen registrierte das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) im Juni in einer Studie, dass die Sanktionsquote in diesem Jahr ausgerechnet bei Erwerbslosen unter 25 Jahren am höchsten liege, nämlich im Bundesdurchschnitt bei zehn Prozent. An mangelnder »Arbeitsbereitschaft«, so das IWH, könne das nicht liegen. Schließlich wiesen die jungen Leute durchschnittlich eine vergleichsweise hohe »Arbeitsbereitschaft« auf, eine höhere jedenfalls als ältere Erwerbslose. Eher seien daher Ursachen zu vermuten, »die außerhalb der Person liegen«.
Auffallend ist insofern etwa, dass bei den unter 25jährigen die einschneidende »100-Prozent-Sanktion« nicht erst beim dritten, sondern bereits beim ersten Verstoß verhängt werden darf – eine besondere Schärfe des Gesetzes gegenüber jungen Erwerbslosen, die dazu führt, dass sich Sanktionen gegen Heranwachsende im knappen Argen-Haushalt besonders deutlich bemerkbar machen. Gleichzeitig wird gerade bei den unter 25jährigen von Seiten der BA eine besonders hohe Einsparung verlangt.
Unter dem Kostendruck leidet selbst mancher im Apparat. In einem offenen Brief, den der Vorsitzende des BA-Hauptpersonalrats, Eberhard Einsiedler, im Juni an seinen Chef adressierte, beklagt er: »Es gilt nur, auf Gedeih und Verderb ein zahlenmäßig vorgegebenes Agenturergebnis zu erreichen, damit ein ordentlicher Rangplatz in der Hitliste der Agenturen erreicht wird.« Andere finden sich mit der neuen Situation offenbar besser zurecht und entdecken neue Wege, sich zu helfen.
Dass die Androhung von Strafen allein nur wenig diszipliniert und ihre Wirkung erst durch Überwachung potenziert wird, ist keine neue Erkenntnis. In dieser Legislaturperiode wurde sie jedoch mit der Einführung von »Hartz-IV-Kontrolleuren« und der Offenlegung aller Konten in die Sozialpolitik übertragen. Der Generalverdacht schreckt viele ohnehin verunsicherte Erwerbslose davon ab, ihre Ansprüche geltend zu machen. Würden sämtliche verschämte Arme plötzlich ihre Scham verlieren und ihre Rechte einfordern, wäre das für 2009 ausgegebene Sparziel der Bundesagentur schnell dahin.
Schon zuvor wurde mit den Sanktionen ein Element des Strafrechts ins Sozialrecht importiert. Während Leistungskürzungen im System der alten Sozialhilfe nur so lange als Druckmittel wirken sollten, bis die Betroffenen der Anordnung des Arbeitsamts nachkamen, sind sie heute als echte Strafen ausgestaltet, deren Dauer in jedem Fall abgesessen werden muss.
Während gerichtliche Geldstrafen jedoch spätestens beim Existenzminimum Halt machen müssen, weshalb sich mancher Strafrichter darüber ärgert, dass er Empfängerinnen und Empfängern von Grundsicherung bei leichteren Delikten kaum etwas anzuhaben vermag, können die Sanktionen der Argen das Existenzminimum beschneiden, und das radikal. Wer ALG II bezieht, kommt deshalb mit der Begehung einer mittelschweren Körperverletzung letztlich günstiger davon, als wenn er nicht pünktlich zum Laubharken antritt – und hat den »Fallmanager« deshalb entsprechend zu fürchten. Da können die Betroffenen letztlich nur hoffen, dass ihr »persönlicher Ansprechpartner« seine Sparvorgabe für den betreffenden Monat schon erfüllt hat.
Quelle: Jungle World vom 23.07.09