Trend 2009 : Jung, männlich, arbeitslos
Dank Kurzarbeit trotzt der Arbeitsmarkt der Wirtschaftskrise. Die Zahl der Arbeitslosen stagniert. Noch.
36 143 Dortmunder (nach wie vor 12,7 Prozent) suchten Ende Dezember einen Job – abgesehen vom letzten Jahr der niedrigste Dezember-Wert seit 1992. Im Jahresdurchschnitt sank die Quote gar von 13,1 auf 12,8 Prozent. In absoluten Zahlen: 2009 gab es in der Stadt rund 1100 Arbeitslose weniger als 2008. Da staunt selbst der Chef der Arbeitsagentur. „In der Krise besser als im Vorjahr” abzuschneiden – das sei „überraschend gut”, sagt Stefan Kulozik.
Er reibt sich leicht die Augen, verschließt sie aber nicht. Das angebrochene Jahr werde härter. „Starker Druck” sei vorhersehbar. Ein großer Belastungstest stehe den vier Säulen bevor, die das wackelige Gebilde Arbeitsmarkt noch stabil halten: „1) der gute Dortmunder Branchenmix, 2) Mittelstand und Handwerk, 3) die Kurzarbeit und 4) die Nutzung der Mittel aus dem Konjunkturpaket 2” – diese Pfeiler trugen den Dortmunder Arbeitsmarkt bisher durchs Tal. „Der bedeutendste Faktor”, perspektivisch der größte Unsicherheitsfaktor: die derzeit 11 700 Kurzarbeiter. Was aus denen wird, besorgt Kulozik weit mehr als die vom Bund forcierte Trennung von Kommunen und Arbeitsagenturen in der JobCenter ARGE. „Wir werden unter einem Dach bleiben”, beruhigt der Agenturchef. Die Folgen der Aufspaltung würden überschätzt. Zwar werde es künftig wohl zwei Bewilligungsbescheide – einen für Unterkunftskosten, einen für Transferleistungen – geben, aber das sei „nicht dramatisch”. Denn: „Besser zwei verständliche als einen unverständlichen Bescheid.”
Verlierer der Krise sind unter 25
Die Kurzarbeit beschert das wenige Licht am Arbeitsmarkt. Rundum gibt es viel Schatten. Vor allem für die Generation U 25. „Die Verlierer der Krise sind jung und männlich”, sagt Arbeitsagentur-Chef Kulozik. Ende 2009 standen 3500 Dortmunder unter 25 Jahren mehr auf der Straße als 2008 – weil sie nach der Ausbildung nicht übernommen wurden, befristet angestellt waren oder die Kündigung bekamen. Ein Zuwachs von 4,8 Prozent.
Die Geschlechter-Schere geht auseinander. Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt besser dran. Die Zahl der arbeitslos gemeldeten Männer stieg 2009 um 2 Prozent, die der Frauen sank um 6,3 Prozent. Nach einer Kündigung meldeten sich im vorigen Jahr 11,5 Prozent mehr Menschen erwerbslos als 2008.
Zehn Prozent mehr Insolvenzen
Grundsätzlich gilt: desto jünger, desto dünner die Luft. Ein Beleg: die gesunkene Einstellungsbereitschaft. 5338 Unter-25-Jährige kamen aus der Arbeitslosigkeit in eine Beschäftigung – 12,7 Prozent oder 780 Personen weniger als 2008. Umgekehrt haben Ältere bessere Chancen. Bei den Über-50-Jährigen meldeten sich 4072 in Arbeit ab – 1,1 Prozent oder 43 mehr als im Vorjahr.
Vor allem die Aussichten für jüngere Männer werden nicht besser, „da sie häufiger in den kritischen Branchen beschäftigt sind”, so Kulozik. Ihre bevorzugten Metiers sind die größten Quellen der Arbeitslosigkeit: verarbeitendes Gewerbe (40 Prozent), Baugewerbe (20 Prozent), Verkehr und Logistik (18 Prozent), Kfz-Handel, Instandhaltung und Reparatur (7,5 Prozent) sowie so genannte Arbeitnehmerüberlassungen durch Zeitarbeitsfirmen (5 Prozent).
Wenig ermutigend: Die Insolvenzen stiegen um runde 10 Prozent. Warfen 2008 noch 455 Betriebe das Handtuch, 2009 waren es 500 – das Aus f´ür 2300 Beschäftigte. Die Kurzarbeit stieg im vorigen Jahr sprunghaft – von 2350 im Januar auf 12 750 im Juli – an, pendelte sich danach auf hohem Niveau ein. Aktuell fahren 11 700 Beschäftigte in 435 Betrieben kurze Schichten. „Wie lange sich diese Unternehmen halten können”, das ist für Kulozik die Schlüsselfrage. „Entlassungen aus der Kurzarbeit sind nicht auszuschließen”, weiß der Agenturchef. Das wären Einschläge, die den Arbeitsmarkt schwer erschüttern könnten.
Mehr Geld für die ARGE
Grund genug, dagegenzuhalten. Die dazu erforderlichen Mittel fließen im laufenden Jahr üppiger. Zehn Prozent mehr Geld stünde der ARGE 2010 ins Haus, freut sich Kulozik – rund 22,5 Millionen Euro für die direkte Ausbildung. 4000 Bildungsgutscheine sollen damit ausgestellt werden, vornehmlich für das Handwerk, den kaufmännischen und sozialen Bereich (Pflege) sowie die IT- und Medienbranche.
Quelle: WR vom 05.01.09
Die Arbeitslosigkeit steigt stärker, als zugegeben wird.
Es heißt, die Rezession sei beendet, es gehe wieder voran, kurz: Optimismus vielerorts. Wirtschaftsforscher, Bundesbanker und Regierung verkünden ein Wirtschaftswachstums von rund 1,5 Prozent für dieses Jahr. Für die Industrieproduktion erwartet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sogar einen Anstieg um fünf Prozent.
Selbst wenn es so käme, wären wir nicht aus der Krise heraus. Um 115 Milliarden Euro ist die Wirtschaft letztes Jahr in den Keller gerauscht. Auch wenn es mit jährlichen Steigerungen von 1,5 Prozent wieder aufwärts gehen sollte, müsste das Land erst mühsam die Stufen der Kellertreppe hochkrabbeln. Frühestens 2013 könnte der Wert von Produktion und Dienstleistungen des Jahres 2008 wieder erreicht werden. Sollte es schlechter laufen, droht ein verlorenes Jahrzehnt.
In den Betrieben wird jahrelang weniger zu tun sein als vor der Krise und weniger Arbeit bedeutet weniger Arbeitsplätze. Die Arbeitslosigkeit wird wachsen. Ein Anstieg um eine Million wird für das nächste Jahr befürchtet. Der DIHK erwartet, dass allein in der Industrie 300 000 Jobs abgebaut werden. Die Arbeitslosigkeit liegt heute schon deutlich höher als die gemeldeten 3,3 Millionen. Denn mehr als eine Million Arbeitslose werden einfach nicht mitgezählt.
Der neueste Trick: Arbeitslose, die von privaten Vermittlern betreut werden, fallen aus der Statistik raus. So sind im letzten Halbjahr 200 000 Arbeitslose „verschwunden“. Deshalb behauptet die Bundesagentur für Arbeit zu Unrecht, die Arbeitslosigkeit gehe zurück. Ein tatsächlicher Puffer für den Arbeitsmarkt ist hingegen die Kurzarbeit. Sie hat bislang 500 000 Vollzeitstellen gesichert, denn die Unternehmer hielten bis zur Bundestagswahl bewusst still.
Reinhold Würth, der mit seinem gleichnamigen Schrauben- Konzern Milliardär geworden ist, bekräftigt, dass Personal abgebaut wird: „Mit Kurzarbeit lässt sich den Überkapazitäten nicht beikommen.“
Die Brücke Kurzarbeit, die über das Tal der Krise führen sollte, hängt oft in der Luft. Viele, die heute kurzarbeiten, werden im Laufe des Jahres zur Arbeitsagentur gehen müssen.
Zudem nutzen Unternehmer die Krise und Ängste der Menschen aus: Die Drogeriekette Schlecker schließt immer mehr kleine Geschäfte und entlässt die Beschäftigten. Die können sich dann in den neuen „XL-Märkten“ bewerben, mitunter für ein geringeres Gehalt als zuvor.
Dabei werden sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen vernichtet und unsichere Minijobs geschaffen, von denen man nicht leben kann. Von Sommer 2008 bis 2009 wurden rund 300 000 sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen abgebaut. Gleichzeitig schufen Unternehmer ebenso viele Teilzeitstellen und Minijobs. Wer so eine Arbeit hat, erscheint in der Statistik weiterhin als Beschäftigter. Doch er arbeitet weniger, verdient weniger Geld und hat weniger soziale Sicherheit.
Steigende Arbeitslosigkeit, das Senken der Löhne und die Verunsicherung der Menschen werden den privaten Konsum weiter nach unten ziehen. Wachstumsimpulse wird es so nicht geben, eher die Gefahr, dass die konjunkturelle Entwicklung wieder kippt.
Damit es den Menschen besser geht und die Wirtschaft angeschoben wird, müssten die Löhne stattdessen steigen. Eine besondere Chance bietet ab 13. Januar die Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Die Regierung muss gezwungen werden, ihre Verantwortung wahrzunehmen: Für höhere Löhne müssen im Notfall Schulden gemacht oder noch besser, Reiche stärker besteuert werden. Zusätzlich muss der Staat dem verhängnisvollen Lohndumping mit einem gesetzlichen Mindestlohn den Riegel vorschieben. Und mit einem 100-Milliarden-Zukunftsprogramm kann er viel für Erziehung, Bildung und bessere Infrastruktur tun, sowie der Binnennachfrage einen massiven Schub verpassen. Damit unser Land möglichst schnell aus dem Keller kommt.
Quelle: Tagesspiegel vom 06.01.10