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Verschärfter Druck auf Arbeitslose soll Kosten senken (WAZ, 09.04.03)

Druck auf Arbeitslose und Druck auf Arbeitsamtsbeschäftigte: "Das Einsparzauberwort heißt Sperrzeit. Den Arbeitslosen droht die Verfolgungsbetreuung", heißt es in einem Protestschreiben von Arbeitsamt-Mitarbeitern.


aus: WAZ vom 09.04.2003 (Politik / Mantel)

Arbeitsaemter unter Sparzwang: Druck auf Arbeitslose waechst
Haeufige Vorladungen - Viele Strafen - Zahlungen werden gestoppt

Von Peter Szymaniak

WAZ Ruhrgebiet. Die Arbeitsämter nehmen Arbeitslose so stark wie nie zuvor in die Mangel: Häufigere Vorladungen, Belehrungen, Bewerbungsnachweise - wer nicht folgt, erhält kein Arbeitslosengeld mehr.

Im Januar und Februar haben die Arbeitsämter als Strafe bundesweit fast 20% mehr Arbeitslosen das Geld gestoppt ("Sperrzeit") als vor einem Jahr.

Den starken Druck auf Arbeitslose kritisieren selbst Beschäftigte der Ämter. Sperrzeiten würden vor allem aus Kostengründen eingesetzt - schließlich sollen allein beim Arbeitslosengeld fast 3 Mrd Euro gespart werden. "Jede mögliche und unmögliche Gelegenheit wird zur Verhängung der Sperrzeit genutzt", heißt es in einem Protestbrief. Es kursierten Hitlisten, wer wie oft Sperrzeiten verhängt und wieviel Arbeitslosengeld gespart hat. "Bei den Beschäftigten herrscht großer Unmut", sagte Verdi-Expertin Lowien. "Viele sagen: Wir wollen doch Arbeitslose in Arbeit vermitteln und nicht die Menschen kontrollieren."

Landesarbeitsamts-Sprecher Marquis verteidigte die neue Richtung. "Wir krempeln die Behörde um - das war nötig." Arbeitslose würden intensiver betreut, ihnen werde nun klar gemacht, dass sie eine Mitwirkungspflicht hätten. "Oberstes Ziel ist die Vermittlung in Jobs, nicht die Zahlung von Geld."

aus: WAZ vom 09.04.2003 (Wirtschaft / Mantel)

Selbst um 20 Uhr laedt das Arbeitsamt vor
Verschaerfter Druck auf Arbeitslose soll Kosten senken

Von Peter Szymaniak

WAZ Ruhrgebiet. Die Beschäftigten der Arbeitsämter stehen unter massivem Druck: Sie sollen so viel Kosten einsparen wie nur irgendwie möglich - und das bei steigender Zahl von Arbeitslosen. Arbeitslose sehen sich drangsaliert, aber auch die Arbeitsamtsbeschäftigten sind wütend.

Harald Thomé weiß, was an der Basis los ist: Der Vorsitzende des Wuppertaler Sozialberatungsvereins Tacheles (http://www.tacheles-sozialhilfe.de) hilft Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen, mit den Tücken des Sozialstaates zurecht zu kommen. Doch in der letzten Zeit ist der Andrang Arbeitsloser, die sich vom Arbeitsamt schikaniert und gedemütigt fühlen, so groß wie nie zuvor.

Thomé macht das an der politischen Wende der SPD fest, die Bundeskanzler Schröder vor zwei Jahren eingeläutet habe. Damals sagte der Kanzler: "Es gibt kein Recht auf Faulheit! Wer arbeitsfähig ist, aber einen zumutbaren Job ablehnt, dem kann die Unterstützung gekürzt werden. Das ist richtig so. Ich glaube aber, dass die Arbeitsämter ihre Möglichkeiten noch konsequenter nutzen können."

Mit dieser "Faulenzer-Debatte" seien alle Arbeitslosen gebrandmarkt worden - sodass die sozialen Einschnitte durchsetzbar geworden seien. "Dabei haben weder Alleinerziehende noch Ältere über 45 Jahre eine echte Chance auf einen Arbeitsplatz", meint Thomé.

Nun ist die Kehrtwende in der Sozialpolitik auch an der Basis angekommen. So verlangt der Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster, aufgrund politischer Vorgaben Einsparungen beim Arbeitslosengeld von 2,9 Mrd Euro - der Druck wurde an die Arbeitsamtsdirektoren weitergereicht.

Arbeitsamts-Mitarbeiter berichten von Aufforderungen ihrer Chefs, Geld bei Arbeitslosen mittels "Sperrzeiten" (Strafen bei Fehlverhalten) einzuholen. Schon bei kleinsten Versäumnissen soll das Arbeitslosengeld gestoppt werden. Dabei sollen Versäumnisse der Arbeitslosen vom Amt provoziert werden. "Das Einsparzauberwort heißt Sperrzeit. Den Arbeitslosen droht die Verfolgungsbetreuung", heißt es in einem Protestschreiben von Mitarbeitern.

Die Arbeitslosenzeitung "quer" warnt Arbeitslose vor den neuen Fallen der Ämter:

Die Vermittler laden gruppenweise Arbeitslose ein, um sie über Pflichten zu belehren - in der Hoffnung, dass Einzelne nicht kommen und Sperrzeiten verhängt werden können. Besonders rund um Ostern und Brückentage, wie Freitag, 2. Mai, seien als Termine ausgesucht worden. Einzelne Ämter hätten auch zu untypischen Tageszeiten um 7 Uhr morgens und 20 Uhr abends eingeladen.

Der Arbeitslose wird viel häufiger vorgeladen als früher. Während Arbeitsamtsvermittler dies oft für sinnlos halten ("Ich habe doch sowieso keine offene Stelle und für Weiterbildung fehlt das Geld"), spricht Landesarbeitsamtssprecher Werner Marquis davon, dass die Meldetermine dazu dienen, konkrete Lösungen für Arbeitslose zu finden - "und wenn es der Lagerhallenjob in Iserlohn ist". Jedenfalls: Wer einen Termin versäumt, dem droht der Stopp des Arbeitslosengeldes.

Bei den Meldeterminen muss der Arbeitslose nun exakt nachweisen, wie er sich selbst um eine Stelle bemüht hat. Wer ein zu geringes Bemühen zeigt, erhält keine Leistung mehr.

Mütter, die sich nach der Erziehungszeit arbeitslos melden, sollen nach Darstellung von "quer" nun sofort wochenweise "Trainingskurse" erhalten - in der Annahme, dass viele nicht täglich von ihrer Familie abwesend sein können und sich daher aus dem Arbeitslosengeldbezug abmelden müssen.

Die Beschäftigten der Arbeitsämter berichten, dass jeden Monat die Sparerfolge der einzelnen Vermittlerteams und die Zahl der Sperrzeiten überprüft werden - und dann Nachbesserungen verlangt werden.

Die Behördenmitarbeiter befürchten, dass der Druck auf Arbeitslose zu Aggressionen führt - schließlich gehe es bei vielen Arbeitslosen um ihre finanzielle Existenz. Neulich in Duisburg war es schon soweit: Ein Arbeitsloser schoss wütend mit einer Pistole um sich.

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