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Unterkunftskosten in NRW: Ministerium trickst zu Lasten der Betroffenen

In ganz NRW gelten ab dem 01.01.2010 höhere Grenzwerte für die Kosten der Unterkunft. Grund dafür ist, dass aufgrund der Änderungen im Wohnungsförderungsrecht des Landes NRW höhere Flächenwerte in die Kalkulation der Angemessenheitsgrenzen eingestellt werden.

Rechtliche Bedeutung der Wohnfläche bei den Kosten der Unterkunft (SGB II/SGB XII)

§ 22 SGB II bestimmt, dass Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe gewährt werden. Begrenzt ist die Kostenhöhe auf im konkreten Einzelfall real angemessene Kosten. Nach allgemeiner Auffassung kommt es bei der Bestimmung der Angemessenheit - zur Entlastung des Steuerzahlers – nur auf die Kostenhöhe an, nicht auf die Angemessenheit einer Wohnung nach anderen Kriterien. Kriterien wie z.B. Größe, Lage, Ausstattung und Quadratmeterpreis der Wohnung unterliegen keiner gesonderten Angemessenheitsprüfung, bilden zwangsläufig allerdings Faktoren für den Wohnungspreis.

Nach allgemeiner Auffassung wird für den Regelfall der Grenzwert für die Angemessenheit je nach Haushaltsgröße so gebildet, dass zunächst eine Maximalwohnfläche abstrakt bestimmt wird, welche sodann mit einem konkret zu ermittelnden Quadratmeterpreis eines bestimmten Wohnungssegments multipliziert wird. Das Ergebnis bildet den Grenzwert für die fragliche Haushaltsgröße. Umstritten ist, wie die maximale Wohnfläche rechtlich zu bestimmen ist.

Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu Wohnflächen

Das Bundessozialgericht BSG) vertritt die Auffassung, dass zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen die Flächenwerte gemäß den Ausführungsbestimmungen der Bundesländer zum sozialen Wohnungsbau (Wohnungsförderungsrecht) heranzuziehen sind.

In NRW wurde bis Ende 2009 auf Ziff 5.7.1.b) der VV-WoBindG (Runderlass des Ministeriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport, Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8.3.2002, 396, 400) abgestellt1. Diese Ausführungsbestimmungen waren zum Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG), dem Vorläufer des Wohnungsförderungsgesetzes (WoFG) ergangen und bezogen sich auf die Erteilung von Wohnberechtigungsscheinen.

Neuregelung des Wohnungsförderungsrechts in NRW zum 01. Januar 2010

Aufgrund der Föderalismusreform gelten derartige Regelungen jedoch nur solange, bis das Land von seiner neuen Gesetzgebungskompetenz gebrauch macht und eigene Landesgesetze zur Wohnraumförderung schafft. Dieses ist nunmehr zum 01. Januar 2010 geschehen. Das Land NRW hat mit Inkrafttreten des neuen WFNG das bundesrechtliche WoFG außer Kraft gesetzt. Zum neuen Landesrecht wurden auch neue Verwaltungsvorschriften erlassen. Die für die Kosten der Unterkunft wichtigen Verwaltungsvorschriften zur Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins wurden geändert, die bisherigen Flächenwerte wurden abgeändert. Nach dieser Verwaltungsvorschrift gelten nunmehr für eine Person 50 m², für jede weitere Person 15 m² zusätzlich. Behinderte oder Alleinerziehende mit Kindern über sechs Jahren stehen weitere 15 m² oder ein weiteres Zimmer zu.

Erstaunlicherweise hat diese Neuregelung für Verwirrung gesorgt. Einzelne kommunale Träger, wie z.B. die Stadt Bochum haben diese Flächenregelungen bei den Kosten der Unterkunft (SGBII/SGB XII) kurzfristig umgesetzt, dann wieder zurückgezogen. Andere kommunale Träger haben zunächst abgewartet.

Rechtsauffassung des Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW

Zwischenzeitlich hat sich das Landesministerium für Arbeit Gesundheit und Soziales (MAGS) in NRW mit einer neuen Auflage der Arbeitshilfe zu Kosten der Unterkunft positioniert. Das MAGS ist der Auffassung, es würden nunmehr Flächengrenzen nach dem Muster 47 m² zzügl. 15 m² für jede weitere Person gelten2.

Diese Auffassung des MAGS, der z.B. inzwischen auch die Städte Dortmund und Bochum gefolgt sind, erstaunt sehr. Diese Auffassung ist offenkundig rechtswidrig. Die Rechtslage zu dieser Frage ist keineswegs ungeklärt3, ganz im Gegenteil abschließend entschieden. Das MAGS verweist selbst auf die Entscheidungen des LSG NRW v. 16.02.2009 - L 19 AS 62/08 - und des BSG v. 17.12.2009 - 4 AS 27/09 R -.

Es kann nur vermutet werden, dass das MAGS die Entscheidung des BSG nur dem Aktenzeichen nach zitiert hat. Die Entscheidung wurde im Volltext erst Anfang März 2010 veröffentlicht. In Anbetracht der unmissverständlichen Äußerungen des BSG zur Rechtslage in NRW wäre andernfalls die Haltung des MAGS nicht nachvollziehbar. Das MAGS würde mit derartigen Arbeitshilfen viel Autorität verspielen. Durch derartige Arbeitshilfen würden Sozialgerichtsprozesse provoziert, nicht vermieden.

Das Bundessozialgericht zur Rechtslage in NRW

Die bisherige Rechtslage im Wohnungsförderungsrecht richtete sich nach dem WoFG, zuvor dem WoBindG. Zu beiden Gesetzen existierten in NRW landesrechtliche Ausführungsbestimmungen. Zum einen in der Form allgemeiner Förderrichtlinien, zuletzt zu § 10 WoFG, des weiteren als Ausführungsbestimmungen zur Bestimmung der angemessenen Wohnungsgröße bei der Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins (§ § 27 IV WoFG).

In mehreren Entscheidungen hatte das BSG bisher ausgeführt, dass die Ausführungsbestim-mungen allgemeiner Art, d.h. zu § 10 WoFG , ausschlaggebend seien. In dem Urteil vom 17.12.2009 wird dieses vom BSG (4 AS 27/09 R) für NRW allerdings dahin gehend konkretisiert, dass die zu § 10 WoFG ergangenen, allgemeinen Förderbestimmungen, definitiv keine Relevanz haben. Diesen ist inhaltlich nichts zu angemessenen Wohnungsgrößen zu entnehmen. Deswegen muss auf die Ausführungsbestimmungen abgestellt werden, welche zur Bestimmung angemessener Wohnraumgrößen bei der Erteilung eines Wohnberechtigungsschein ergangen sind. Wortwörtlich formuliert das BSG:

   „ …16
       1. Die angemessene Größe der Wohnung eines Hilfebedürftigen nach dem SGB II in Nordrhein-Westfalen hat das LSG nach Ziff 5.7.1.
       2. der VV-WoBindG (Runderlass des Ministeriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport, Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8.3.2002, 396, 400) zutreffend mit 60 qm bestimmt. Soweit das LSG darauf hinweist, dass in dem Runderlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 26.01.2006 (IV A 2 - 2010 - 02/06 - Anlage 1 WFB: Städtebauliche und technische Fördervoraussetzungen, unter Ziff. 1.4.1) für „barrierefrei” zu errichtende Neubauwohnungen eine Wohnungsgröße von 62 qm für Zwei-Zimmer-Wohnungen angegeben wird, ändert dieses hieran nichts. Unabhängig davon, ob es sich insoweit, wie das LSG ausführt, lediglich um eine Bestimmung handelt, die bei der Neuschaffung von Mietwohnraum zu beachten ist, ist diese Vorschrift bereits deswegen außer Betracht zu lassen, weil sie die Größe der Wohnung lediglich mit der Anzahl der Zimmer verknüpft. Dieses ist jedoch nicht der für Leistungen nach dem SGB II zu Grunde zu legende Maßstab für die Wohnungsgröße (vgl BSG, Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R). Entscheidend kommt es insoweit vielmehr auf die Anzahl der Personen an, die die Wohnung bewohnen. Nur danach richtet sich die angemessene Wohnungsgröße.„. (BSG Urteil vom 17.12.2009 - 4 AS 27/09 R …    ”

Diese Beurteilung ist ohne Abstriche auf die neue Rechtslage zu übertragen. Das Bundesgesetz WoFG ist zwar außer Kraft getreten, wurde jedoch lediglich durch das fast identische landesrechtliche WFNG ersetzt4. Gerade in den hier relevanten Regelungen wurde die alte Rechtslage ungeändert übernommen.

Die zu § 8 WFNG ergangen Wohnraumförderungsbestimmungen sind hinsichtlich einer Angabe von Flächengrenzen identisch mit den Wohnraumförderungsbestimmungen zu § 10 WoFG. Nach unmissverständlicher Formulierung des BSG sind diese unbeachtlich, da hier Flächenwerte nur in Bezug auf eine Zimmerzahl festgelegt werden.

Eine Festlegung angemessener Wohnraumgrößen nach Bewohnerzahl erfolgt – wie bisher - in den Ausführungsbestimmungen zur gesetzlichen Regelung der Erteilung eines Wohn-berechtigungsscheins. Diese ab dem 01.01.2010 geltenden Regelungen sind enthalten in den Wohnraumnutzungsbestimmungen (WNB) RdErl. d. Ministeriums für Bauen und Vekehr – IV.5-619-1665/09 v. 12.12.2009.

Konkret heißt dieses:

1 Person 50 m²
2 Personen 65 m²
+ 15 m² für jede weitere Person des Haushalts.

Des weiteren gelten folgende Ausnahmeregelungen:

Ein zusätzlicher Raum oder eine zusätzliche Wohnfläche von 15 m² ist wegen besonderer persönlicher oder beruflicher Bedürfnisse einer haushaltsangehörigen Person oder eines nach der Lebenserfahrung in absehbarer Zeit zu erwartenden zusätzlichen Raumbedarfs zuzubilligen: z.B. jungen Ehepaaren (…), Blinden, rollstuhlfahrenden Schwerbehinderten, Alleinerziehenden mit einem oder mehreren Kindern ab vollendetem 6. Lebensjahr.

Dieses gilt sowohl für die Anmietung wie für bereits angemietete Wohnungen seit dem 01.01.2010. Gleichermaßen gilt dieses für Eigentümer, die ebenfalls der Angemessenheitskostengrenze unterliegen.

Von: Rechtsanwalt Holger Gautzsch, Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V., 23. März 2010

Anmerkung von Tacheles

Das Landesministerium (MAGS) versucht zu Lasten von hunderttausenden HARTZ IV/Sozialhilfehaushalten und zur Entlastung der kommunalen Haushalte eine eindeutig rechtwidrige Regelung durchzudrücken. Ergänzend zu der Stellungnahme des Mietervereins ist auf folgenden Sachverhalt hinzuweisen: Dem Gesetzentwurf zum WFNG NW ist zu entnehmen, dass § 18 Abs. 2 WFNG NW, in dem die Wohnraumnutzungsbestimmungen konkretisiert werden, gerade die Nachfolgeregelung des § 27 WoFG ist (vgl. LT-Drs. 14/9394, S. 96 zu § 18 Abs. 2 WFNG NW).

Somit sind in NRW für die Bestimmung der angemessenen Wohnraumgrößen für die Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II die Wohnraumnutzungsbestimmungen als Konkretisierung des § 18 Abs. 2 WFNG NW heranzuziehen.

Aufgrund dieser „rechtsverdrehten” Situation ist wieder einmal nur die Empfehlung herauszugeben, sich öffentlich gegen die „Kürzung der Erhöhung” zu wehren und ansonsten klagen, klagen, klagen…

…und uns Rückmeldung geben, wie die Gerichte in der Sache entscheiden.

Tacheles-Online-Redaktion Harald Thomé

Quelle mit weiterführenden Links: http://www.tacheles-sozialhilfe.de/

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