Wohlfahrtsverbände fordern Kürzung bei Hartz IV
Im Streit um die Höhe des Arbeitslosengeldes II haben sich die Wohlfahrtsverbände zu Wort gemeldet - und stärken überraschend den Haushaltspolitikern der großen Koalition den Rücken: Die Sozialverbände fordern, Leistungen an Langzeitarbeitslose zu senken.
In einem Brief an Spitzenpolitiker der großen Koalition forderten Arbeiterwohlfahrt, Diakonie und Deutsches Rotes Kreuz passive Leistungen für Langzeitarbeitslose zu kürzen, berichtet die "Financial Times Deutschland" (FTD). Passive Leistungen sind neben dem Arbeitslosengeld II der Mietzuschuss, individuelle Zuschläge und Freibeträge.
"Die Unterzeichner stimmen darin überein, dass (...) eine Senkung passiver Leistungen notwendig ist, um ein dauerhaft tragfähiges und finanzierbares Leistungssystem zu erhalten", zitiert die "FTD" aus der Erklärung, die neben den Wohlfahrtsverbänden auch von Vertretern der kommunalen Spitzenverbände unterzeichnet wurde und gestern an die Bundestagsfraktionschefs der Koalitionsparteien sowie an Finanzminister Peer Steinbrück und Arbeitsminister Franz Müntefering (beide SPD) ging.
Mit der Erklärung unterstützen die Sozialverbände überraschend die Linie der Haushalts- und Wirtschaftspolitiker in der großen Koalition. Diese wollen die Leistungen der Arbeitsmarktreform Hartz IV an Langzeitarbeitslose weiter kürzen als es der Koalitionsvertrag vorsieht. So soll vermieden werden, dass die Ausgaben für Langzeitarbeitslose noch stärker steigen als bisher.
Schon länger hatten die Kommunen gewarnt, dass eine mögliche Kostenexplosion bei Hartz IV die Finanzierung anderer Sozialmaßnahmen wie Kinder- und Jugendarbeit gefährde. Mit ihrer Erklärung haben sich die Wohlfahrtsverbände den Warnungen jetzt angeschlossen.
Den Verbänden geht es dem Bericht der "FTD" zufolge jedoch nicht um eine Kürzung des Arbeitslosengeldes II selbst, das momentan 345 Euro monatlich beträgt. Vielmehr sollten Freibeträge bei Einkommen und Vermögen überprüft werden. Diese hätten dazu beigetragen, dass die Zahl der Empfänger des Arbeitslosengeldes II stark gestiegen sei.
Unterdessen setzt sich der Streit auch in der großen Koalition fort. Der CSU-Arbeitsmarktexperte Max Straubinger forderte Einschnitte beim Arbeitslosengeld II. "Es ist darüber nachzudenken, ob Arbeitslose auf Grund ihrer Hinzuverdienstmöglichkeiten wirklich denselben Satz haben müssen", sagte er der "Berliner Zeitung".
Der SPD-Arbeitsmarktexperte Klaus Brandner wies den Vorstoß zurück. "Die 345 Euro als Regelsatz und die Referenzgröße für das Sozialhilfesystem bleibt", sagte er im ARD-"Morgenmagazin". Die Länder könnten bei der Sozialhilfe abweichen, "aber im Kern wollen wir bei dieser Regelung bleiben".
Der Aufbau-Ost-Minister Wolfgang
Tiefensee (SPD) sprach sich gegen ALG-II-Kürzungen in
Ostdeutschland aus. Es bleibe bei der Anhebung der Regelleistung in
Ostdeutschland auf das Westniveau von 345 Euro monatlich zum 1. Juli,
sagte er der "Sächsischen Zeitung". "Viele
Menschen haben den Ost-West-Unterschied als zutiefst ungerecht
empfunden. Kürzen zu wollen, bevor die Angleichung überhaupt
stattgefunden hat, wäre paradox und würde diesem
Unrechtsgefühl neue Nahrung geben", sagte Tiefensee.
Quelle: Spiegel.de vom 18.05.06