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Beraten statt warten

Am Anfang war ein Abschlussbericht. 220 Seiten stark, verfasst von der Forschungsgesellschaft für Gerontologie am Institut für Gerontologie der Universität Dortmund. Das Gutachten zur "Reform der kommunalen Seniorenarbeit". Die Basis für alles.

Vom Dezember 2002 datiert die Expertise. Danach haben sie, mit dem wissenschaftlichen Werk in der Hand, zwei Jahre lang diskutiert: die Experten der Stadt Dortmund, der Freien Wohlfahrtsverbände und der ambulanten Pflegedienste, die Mitglieder von Senioren- und Ausländerbeirat.

Zwei Jahre " das klingt nach einer kleinen Ewigkeit, ist aber alles andere als das, wenn man erstens weiß, wie lange solche Abstimmungsprozesse in der Regel dauern und wenn man zweitens berücksichtigt, dass es im konkreten Fall darum ging, wie sich Dortmund für eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen überhaupt aufstellt: den demographischen Wandel.

"Unsere Kernüberlegung war von Anfang an, dass wir verstärkt zu den Menschen gehen müssen statt auf sie zu warten", sagt Reinhard Pohlmann, Fachbereichsleiter für Senioren- und Behindertenarbeit im Sozialamt. Und danach handelten sie dann auch.

Stadt und Wohlfahrtsverbände unterzeichneten eine in NRW einzigartige und beispielhafte "Vereinbarung über die Zusammenarbeit beim Aufbau kleinräumiger Netzwerke in der Altenarbeit durch Seniorenbüros in den Dortmunder Stadtbezirken". Klingt sperrig, dient aber dazu, die Welt der Senioren aufzusperren.

Individuelle Beratung

Anfang 2005 eröffneten die beiden ersten Seniorenbüros " in der Innenstadt-West und in Hörde. Ein Modellversuch mit so durchschlagendem Erfolg, dass in den nächsten Monaten die anderen zehn Stadtbezirke folgen (s. "Ein Modell macht Schule"). Und auch das kann nur eine erste Maßnahme sein.

Reinhard Pohlmann weiß: Die Menschen werden nicht nur immer älter, sie wollen auch immer länger in ihrer eigenen Wohnung leben. Eben das sei das Ziel: "So lange es verantwortbar ist."

Die Beratung in den Seniorenbüros setze daher bereits im vorpflegerischen Bereich ein. In einer Phase, in der Ratsuchenden noch mit Hilfestellungen etwa bei der Hausarbeit oder beim Einkaufen gedient sei. "Dafür haben wir seit 25 Jahren den ehrenamtlichen Sozialhelferdienst", sagt Pohlmann. Dafür gebe es aber auch bei Verbänden und Kirchengemeinden Angebote.

Ganz wichtig sei es, so Pohlmann, die Zielgruppe früh zu erreichen. "Viele ältere Menschen leben allein und zurückgezogen. Sie nehmen am öffentlichen Leben nicht mehr teil und fallen erst auf, wenn sie zum akuten Krankheits- oder gar zum Notfall werden."

Schlimm genug. Aber spätestens dann müssten sie, wenn schon als Fall, so doch wenigstens als Einzelfall behandelt, individuell beraten und ganzheitlich betreut werden. Deshalb sei das engmaschige Netzwerk so wichtig. Wenn ein älterer Mensch orientierungslos durch die Straßen irre und die Polizei sich seiner annehme, müssen die Automatismen greifen, so Pohlmann. Dann muss er an die richtige Anlaufstelle vermittelt werden. Dann müssen Experten ihm dabei helfen, sein Leben neu zu organisieren. So, dass er wieder und möglichst lange klarkommt.

"Sie glauben ja gar nicht, wie viel Unwissenheit noch immer herrscht, wenn es um die Pflegeversicherung geht, um das Verfahren, die Einstufung und das Leistungsspektrum", sagt Pohlmann.

Oder wenn es um Möglichkeiten gehe, vom Sozialamt ergänzende Hilfen zur Pflege zu erhalten. "Es ist nur redlich, die Menschen optimal zu beraten." Auch wenn der städtische Haushalt dadurch zusätzlich belastet wird. Immerhin 850 Dortmunder haben im vergangenen Jahr solche Leistungen erhalten. Gesamtvolumen: 6,8 Millionen Euro. - Frank Fligge

 

Ein Modell macht Schule

Der Modellversuch in der Innenstadt-West und in Hörde, wo die Stadt in Kooperation mit der AWO bzw. der Diakonie bereits Anfang 2005 die ersten Seniorenbüros eröffnete, ist erfolgreich verlaufen. Am Donnerstag (16.2.) soll und wird nun der Rat "die flächendeckende Einrichtung" solcher Anlaufstellen in allen zwölf Stadtbezirken beschließen.

380000 Euro wird das die Stadt im Haushaltszeitraum bis 2009 pro Jahr kosten. In der Summe gut 1,5 Mio. Euro mehr für die "Offene Seniorenarbeit", die an anderer Stelle des Sozialbudgets, bei den "Hilfen zum Lebensunterhalt" eingespart werden müssen. Die Leistungen fließen an Partner aus der Freien Wohlfahrtspflege, mit denen die Stadt die Büros im Tandem betreibt: neben AWO und Diakonie die Caritas, das DRK, der Paritätische Wohlfahrtsverband und die Städtische Seniorenheime gGmbH.

Argumente für die Einrichtung der Seniorenbüros liefert das Amt für Wahlen und Statistik. Danach ist schon jetzt gut ein Viertel der rund 590000 Dortmunder über 60 Jahre alt (151452/25,8%). Am höchsten ist die so genannte "Altenquote" mit 29,8% im Stadtbezirk Brackel, am niedrigsten in der Innenstadt-Nord (17,6%).

Vor allem die Gruppe der über 80-Jährigen, schon jetzt 26000 Bürger stark, wird im Prognosezeitraum bis 2020 drastisch wachsen " um 65% auf rund 43000. Diese demographische Entwicklung werde zwangsläufig einen "zusätzlichen Altenhilfebedarf auslösen", erklärt Reinhard Pohlmann, Fachbereichsleiter für Senioren- und Behindertenarbeit. "Kleinräumige Netzwerke für Altenhilfe" seien die logische Konsequenz und Seniorenbüros das geeignete Instrument, um die "Lotsenfunktion" zu übernehmen.

Voraussetzungen, Ausstattung und Leistungen der Seniorenbüros:

  • zentrale Lage, mit dem ÖPNV gut zu erreichen, barrierefreier Zugang;
  • separates Büro für Beratungsgespräche;
  • zwei hauptamtliche Fachkräfte " je eine von der Stadt und ihrem Tandempartner;
  • moderne technische Ausstattung;
  • verbindliche Öffnungszeiten;
  • Beratung nach Vereinbarung auch außerhalb der Sprechstunden;
  • Hausbesuche

  • Seniorenbüro Innenstadt-West
    Lange Straße 44
    Christine Gilbert, Sabine Schneithorst,
    Mo. - Fr. 10 - 12 Uhr und nach Vereinbarung,
    Tel. 8808810
  • Seniorenbüro Hörde,
    Hörder Bahnhofstraße 16 (Bezirksverwaltungsstelle), Zimmer 512:
    Carola Urban, Stella Schlichting,
    Mo. - Fr. 10 - 12 Uhr und nach Vereinbarung,
    Tel. 50-23311

eFeF

Quelle: RN vom 13. Februar 2006
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