Lange Wege, viel Papierkram
Mit gerade einmal 2,5 Mitarbeitern stemmt das Arbeitslosenzentrum rund 2500 Beratungsgespräche im Jahr. Dazu kommen noch 10 000 Menschen, die die Veranstaltungsangebote des ALZ nutzen. Doch seine Existenz steht auf dem Spiel, das Land will die Förderung streichen und die Aufgaben des ALZ direkt bei der JobCenter ARGE angliedern.
RN-Redakteurin Bettina Kiwitt sprach mit der Diplom-Pädagogin Gisela Tripp (52), die seit 1992 das ALZ leitet.
Ich unterstelle jetzt mal, dass Sie kein gutes Haar an Hartz IV lassen...
Tripp: - Da unterstellen Sie völlig richtig. Damit wurde ein völlig unausgegorenes Gesetz durchgepeitscht, und die Mitarbeiter in den ARGEN, die Arbeitslosengeld II-Bezieher und wir müssen es ausbaden. Man muss auch die Masse von Menschen sehen, die in Dortmund direkt oder indirekt vom Arbeitslosengeld II (ALG II) abhängig sind: 80 000.
Hartz IV hat Hilfe aus einer Hand versprochen...
Tripp: - Schön wär's. Die Menschen müssen nach wie vor zu allen Ämtern laufen.
Warum eigentlich?
Tripp: - Ich kann nicht nachvollziehen, dass die ARGEN mit den beteiligten Ämtern wie z. B. Agentur, Familienkassen, Bafög-Amt, GEZ oder Krankenkasse nicht koordiniert und zeitnah zusammenarbeiten. Die Menschen müssen unzumutbare Wege zurücklegen, um die eine Bescheinigung nach der anderen vorzulegen.
Liegt es auch an den Mitarbeitern in den Ämtern?
Tripp: - Die Menschen suchen uns auf, weil sie Informationen und Aufklärung, Beratung und persönliche Hilfen suchen. Diese Unterstützung erfordert eine hohe fachliche und soziale Kompetenz. Sie beklagen häufig, dass sie mit ihren Anliegen nicht weiterkommen. Die ARGE-Mitarbeiter sind genauso überlastet wie wir hier. Bei der ARGE arbeiten viele befristet Beschäftigte. Sie sollen sich in einem absolut komplizierten Sozialrecht auskennen, das ständig geändert wird. Die Belastung ist auch psychisch groß. Nicht nur bei uns dürften die Menschen mit Tränen in den Augen vorsprechen.
Aus Ihrer Sicht hat sich die Lage für die Arbeitslosen also klar weiter verschlechtert?
Tripp - : Auf jeden Fall. Die finanziellen Leistungen reichen zum Leben nicht aus. Es werden viel mehr und härtere Sanktionen ausgesprochen, die nicht verständlich sind. Z.B. sollte jemand 21 Bewerbungen schreiben, es wurden nur 19. Schon gab es eine Kürzung. Auch ich möchte nicht nach einem Jahr Arbeitslosigkeit einen Ein-Euro-Job annehmen müssen. Ich wundere mich schon, mit welcher Kraft und Disziplin sich die Leute abstrampeln.
Was ist denn aus Ihrer Sicht zumutbare Arbeit?
Tripp: - Die Frage stellt ein Grundproblem dar. Die Leute sind sich nicht zu schade, unter ihren Qualifikationen zu arbeiten. Aber die Arbeitsrechte müssen eingehalten werden und es dürfen keine Hungerlöhne gezahlt werden. Dem leisten die Hartz-Gesetze Vorschub. Von 4,88 Euro Stundenlohn bei einer Zeitarbeitsfirma kann niemand leben.
Wo hapert es noch bei dem Gesetz?
Tripp - : Ach, an allen Ecken und Enden. Es hat aus arbeitslosen Arbeitnehmern hilfebedürftige Fürsorgeempfänger gemacht. Ihr Leben wird bestimmt durch Vorschriften und Verwaltung. Man zieht um, wer zahlt dann die Kosten dafür und wer kommt für die Renovierung auf? Dafür kann es ein Darlehen geben, das ist wiederum Ermessenssache. Wie auch in vielen anderen Bereichen, etwa wenn die Waschmaschine kaputt ist oder das Kind Schulbücher braucht. Immer wieder müssen die Betroffenen neue Anträge stellen, haben mit einer Papierflut zu kämpfen, die kaum zu bewältigen ist.
Wie sieht es mit dem Fördern und Fordern aus?
Tripp: - Gefordert wird viel, aber Hilfen werden nicht ausreichend angeboten. Ich kenne Eingliederungsvereinbarungen, die den Menschen mit der Post nach Hause geschickt werden, in denen steht, nehmen Sie sich die Gelben Seiten zur Hand, um Bewerbungsadressen zu finden. Das kann ja wohl nicht sein.
Mit welchen Problemen kommen die Leute im Moment hauptsächlich zu Ihnen?
Tripp: - Mit Rückforderungen. Die resultieren aus Fehlern der Vergangenheit, die in der Bearbeitung der Anträge begründet liegen. Es werden zum Teil hohe Summen zurückgefordert. Wer nur 345 Euro zur Verfügung hat, der kann 100 Euro kaum aufbringen. Die Bescheide sind im übrigen bis heute nicht verständlich und klar und ausreichend erläutert.
Was würde es bedeuten, wenn das ALZ an die ARGE angegliedert würde?
Tripp: - Die Menschen verlieren eine wichtige unabhängige Hilfeeinrichtung, die sie unterstützt und Menschen, die ihre Arbeit auch nach so vielen Jahren mit viel Einsatz und Herz tun. Es hieße aber auch, Beratung und Leistung aus einer Hand. Das finde nicht nur ich ausgesprochen unglücklich.
Jetzt sind wir gar nicht zu den anderen Angeboten gekommen, die das ALZ neben der ALG-II-Beratung anbietet.
Tripp: - Das geht uns leider genauso. 80% unserer Arbeit hat mittlerweile mit ALG II zu tun. >> www.alz-dortmund.de
Quelle: Ruhr Nachrichten vom 06. Juni 2007