Stromklau: DEW wollte dem Opfer die Energie abstellen
Zuerst zapfte eine Nachbarin Hanna S. Strom ab. Dann forderte die DEW fast 1200 Euro von der Rentnerin und schickte Mahnungen. Da die 83-Jährige nicht zahlen konnte, wollte der Energieversorger ihr den Strom abstellen. Auf WAZ-Nachfrage entschuldigte sich die DEW.
Eine alte Dame wird bestohlen und soll dafür auch noch Geld bezahlen. Das klingt unglaublich, Hanna S. hat es erlebt. Die 83-Jährige ist leicht dement, gehbehindert und lebt mit einem Wellensittich nahe der Dorstfelder Brücke. Eine Nachbarin machte sich S. Zustand zunutze und zapfte ihr Strom ab: etwa 7000 Kilowattstunden im Wert von rund 1200 Euro.
30 Euro im Monat zahlt Hanna S. für Strom, berichtet ihr gesetzlicher Betreuer Thomas Sch. Im Herbst wollte ein Mitarbeiter der DEW den Zähler ablesen und entdeckte braune Kabel, wie sie sonst an Lautsprechern hängen, die vom Anschluss der Nachbarin zu S. Zähler führten. Der Nachbarin, damals 26, sei zuvor der Strom abgestellt worden, weil sie die Rechnungen nicht bezahlte, erklärt Oberstaatsanwältin Ina Holznagel. „Es deutet nichts darauf hin, dass Frau S. das gestattet hätte.” Zumal die 83-Jährige nicht in der Lage ist, in den Keller zu gehen.
Im November wurde die Stromdiebin verurteilt, im Dezember wurde das Urteil rechtskräftig - und Hanna S. bekam die Stromrechnung. Mehrfach habe die DEW versucht, über 1000 Euro abzubuchen, sagt Thomas Schwingeler, mehrmals habe sie Mahnungen geschickt. Dabei hätte doch ein DEW-Mitarbeiter selbst den Diebstahl entdeckt. Von mehreren Briefen berichtet der gesetzliche Vertreter, die er der DEW geschrieben habe. Und nie habe der Energieversorger reagiert.
Die letzte Mahnung bekam Hanna S. am 20. März. 1123,86 Euro forderte die DEW, inklusive Mahngebühren: „Sollten wir bis zum 17.04.2009 keinen Zahlungseingang feststellen, werden wir die Versorgung Ihrer Verbrauchsstelle nach dem 22.04.2009 einstellen. Die dadurch verursachten Kosten gehen ausnahmslos zu Ihren Lasten.” Jetzt musste die leicht demente Dame fürchten, dass ihr der Strom abgestellt würde.
Eine Sprecherin des Energieversorgers bestätigt der WAZ, dass dies „ein ganz normaler Prozess bei säumigen Zahlern” sei. „Ich finde es absolut kackfrech, wie da vorgegangen wird. Bei Verbrechensopfern sollten andere Regeln gelten”, schimpft Schwingeler. Er hat eine Anwältin eingeschaltet. Sie schlug bereits im November der DEW vor, das Geld von der verurteilten Stromdiebin selbst einzutreiben. Die Rentnerin würde ihre zivilrechtlichen Ansprüche auf den Ersatz des Schadens gerne abtreten. Vor zwei Wochen habe sie nochmals geschrieben - ohne Antwort.
Die Diebin ist strafrechtlich bereits verurteilt, wegen „Entziehung elektrischer Energie”, zu 80 Tagessätzen a 10 Euro. „Das ist der übliche Tagessatz für Leute, die kein Einkommen haben”, sagt Holznagel. Schadensersatz müsste Hanna S. sich in einem Zivilverfahren erstreiten. „Frau S. hat keine Mittel, zu prozessieren”, erklärt deren Rechtsanwältin. Sie könne Prozesskostenhilfe beantragen, aber die „muss zurückerstattet werden”. Und bis zum Urteil könne es ein dreiviertel Jahr dauern.
Auch die DEW glaubt nicht an einen Erfolg: „meist führt das zu nichts”, räumt eine Sprecherin ein. Allerdings sei das Schreiben der Anwältin gar nicht bei der zuständigen Sachbearbeiterin angekommen, sondern in einer anderen Abteilung gelandet. „Uns war nicht bewusst, dass es ein Sonderfall ist.”
Nach einem Anruf von der WAZ ging es dann gestern plötzlich sehr schnell: „Es wird an einer Lösung im Sinne der Kundin gearbeitet”, ließ die Abteilung Kundenservice ausrichten. Eine neue Rechnung soll Hanna S. bekommen, „die Mahngebühren sind sowieso hinfällig.” Und: „Es tut uns sehr leid, dass die Dame überhaupt Angst haben musste vor Schwierigkeiten.”
Quelle: WAZ vom 16.04.09