Wo die Not anklopft
Die Frau " so um die 50 " fühlt sich am Ende. Die psychisch labile ALG II-Empfängerin hat ihre Angelegenheiten schleifen lassen. Daraufhin wurde ihr Konto gepfändet. Gleich zu Anfang des Monats. Wie soll sie sich nun etwas zu essen kaufen, woher warme Kleidung gegen die Kälte bekommen"
"Wenn sie nicht mehr weiter wissen, kommen sie gegebenenfalls hierher", sagt Christoph Gehrmann, Leiter der Sozialen Fachberatung bei der Caritas. Hierher " das ist das Bernhard-März-Haus in der Osterlandwehr. Seit 1997 Anlaufstelle für Menschen, die unbürokratisch Hilfe suchen: Migranten, Arbeitslose, Kranke, Rentner, von Obdachlosigkeit Bedrohte, hoch Verschuldete, Kontaktsuchende, oft Verzweifelte. Soziale Not hat viele Facetten. Und die Problemlagen mischen sich.
Ein sechsköpfiges Team kümmert sich, hilft beim Ausfüllen von Formularen, bietet Hausaufgabenhilfe an, sorgt für Übersetzungen und Sprachkurse. Man arbeitet nach dem Prinzip "Hilfe zur Selbsthilfe" - und vernetzt. Gegebenenfalls wird weiter an andere Fachdienste wie Schuldner- und Suchtberatung oder Gesundheitsamt vermittelt. Der Leiter des Hauses: "Keiner kann alles."
Migrationsarbeit ist zwar schon aus seiner Entstehungsgeschichte ein Schwerpunkt des Hauses " rund 80 Prozent der Hilfesuchenden sind Flüchtlinge und Migranten ", doch soziale Not, Arbeitslosigkeit und Hartz IV gibt"s genauso unter Einheimischen. Deshalb wurden der Migrationsfachdienst und die Soziale Fachberatung im Bernhard-März-Haus zusammengefasst. In der Nordstadt " dort wo die größte Zielgruppe sitzt. Gehrmann: "So ein Haus würde in Lücklemberg keinen Sinn machen."
Zu denen, die den Weg in die Osterlandwehr 18 finden, gehört eine allein erziehende Mutter mit zwei Kindern aus Afrika. Sie kommt aus einer Flüchtlingsunterkunft, hat eine befristete Aufenthaltsgenehmigung, bekommt eine eigene Wohnung und Arbeitslosengeld II sowie eine Einrichtungspauschale von 1.790 Euro. Das reicht nicht. Gehrmann versucht, über die Stiftung Lichtblicke zu helfen und vermittelt der Frau günstige gebrauchte Möbel.
6.000 bis 7.000 Beratungsgespräche führt das Team pro Jahr. Dafür setzt die Caritas beträchtliche Eigenmittel ein. Die Menschen kommen durch Mund-zu-Mund-Propaganda, auf Empfehlung der Kirchengemeinden vor Ort oder der Netzwerke unter den Zuwanderern. "Wenn zum Beispiel Portugiesen neu nach Dortmund kommen, wissen sie spätestens am ersten Tag, dass es hier eine portugiesische Sozialarbeiterin gibt," erzählt Gehrmann. Das Beratungsangebot ist vertraulich und unabhängig von Nationalität und Religion.
Das Land, das in den letzten zwei, drei Jahren nach gesunkenen Spätaussiedler- und Flüchtlingszahlen die Mittel gekürzt hat, möchte weg von der Einzelberatung hin zur Gemeinwesen orientierten Arbeit, sprich die interkulturelle Öffnung. Ziel sei, so der Teamleiter, sämtliche Dienste und Einrichtungen der Caritas so offen für alle zu machen, dass man einen Migrationsdienst gar nicht mehr braucht. Bisher gibt es nur Ansätze. So gehören z.B. Menschen mit Migrationshintergrund zum sechsköpfigen Team.
Mit dem Ziel, das Zusammenleben zu fördern, wirkt das Bernhard-März-Haus in den Stadtteil hinein, beteiligt sich an Projekten und Aktionen mit Gewerbeverein und Wohnungswirtschaft, ist Projektträger beim Quartiersmanagement Borsigplatz, koordiniert die Betreuung von 19 Offenen Ganztagsschulen mit 1.000 Kindern im Stadtgebiet. Für das relativ neue Arbeitsfeld wurden 70 Mitarbeiter, meist Erzieher und Erzieherinnen, fest angestellt.
Auch wenn die Einzelberatung zurückgefahren werden soll, die Not klopft immer wieder an beim Bernhard-März-Haus. Auch übers Telefon. Ein Ehrenamtlicher aus einer Kirchengemeinde ruft an. Eine Ehefrau und Mutter von vier Kindern, davon zwei Windelkinder, hat die Familie sitzen lassen. Der berufstätige Vater steht allein da. Was kann man tun"
Innerhalb von zwei Tagen ist Hilfe organisiert. Eine Familienpflegerin der Caritas kommt fürs Erste in den Haushalt. Dort konnte geholfen werden. Ebenso wie der Frau um die 50. Gehrmann klärte ihre Pfändungsgeschichte (als ALG II-Bezieherin liegt sie unter der Pfändungsgrenze). Damit sie etwas zu essen bekommt, vermittelte er den Kontakt zur Dortmunder Tafel, und im Kleiderladen des Bernhard-März-Hauses fand sie etwas Warmes zum Anziehen. Psychologische Ratschläge, seelische Unterstützung und Mitgefühl bekam sie auch. Christoph Gehrmann: "Ich glaube, da sind wir inzwischen wieder auf einem guten Weg." - Gaby Kolle
Das Bernhard-März-Haus ist für gut erhaltene Kleiderspenden und Hausrat dankbar, Telefon 86108022.
Quelle: RN vom 02. Februar 2006