Zielgerade oder Spaltung?
Auch am dritten Adventswochenende soll in Dortmund gestreikt werden. Insbesondere die Beschäftigten im Lebensmitteleinzelhandel ruft verdi dazu auf. Über die derzeitige Tarifrunde sprach RN-Redakteurin Bettina Kiwitt mit den verdi-Einzelhandelssekretären Norbert Hüwel und Reiner Kajewski.
Streiks im umsatzstarken Weihnachtsgeschäft waren früher tabu. Warum ruft verdi in dieser Tarifrunde dazu auf?
Hüwel: - Weil wir der Stimmung unserer Mitglieder nachgespürt haben. Und die ist in diesem Jahr so, dass man auch im Weihnachtsgeschäft dazu bereit ist zu streiken.
Kajewski: - Es gibt sogar Überlegungen, Heiligabend in den Ausstand zu treten.
Im April startete die erste Tarifrunde, im Juli gab es den ersten Warnstreik. Doch erst in dieser Woche hat die Rewe-Gruppe Bewegung in die Verhandlungen gebracht.
Hüwel: - Genau. Die Rewe-Konzernspitze hat verdi am Arbeitgeberverband vorbei ein Angebot für einen Übergangstarifvertrag gemacht. Das ist ein positives Signal.
Wie sieht das Angebot aus?
Kajewski: - Im Dezember sollen die Beschäftigten eine Einmalzahlung zwischen 300 und 450 Euro erhalten. Die Löhne und Gehälter sollen ab Januar 2008 um 3% erhöht werden und die Spät-und Nachtarbeitszuschläge unangetastet bleiben. Strittig ist aus unserer Sicht die beabsichtigte Verschiebung der Samstagszuschläge von 14.30 auf 18.30 Uhr.
Im Großen und Ganzen könnten Sie also mit dem Angebot leben?
Hüwel: - Als Verhandlungsgrundlage, ja.
Das heißt, eine Einigung ist in Sicht?
Hüwel: - Das bleibt abzuwarten. Wir wissen noch nicht, ob wir uns auf der Zielgeraden befinden oder vor einer Spaltung des Arbeitgeberlagers stehen.
Es wird also weiter gestreikt?
Hüwel: - So lange, bis wir einen Tarifvertrag haben. Und den wollen wir noch in diesem Jahr.
Bisher haben Sie es nicht geschafft, durch Streiks die großen Häuser lahm zu legen.
Hüwel: - Das war schon immer schwierig. Dies ist aber auch nicht unsere eigentliche Zielsetzung. Die Arbeitgeber sollen die Streiks aber durchaus wirtschaftlich spüren.
Ist es nicht so, dass Ihnen die Mitglieder abhanden gekommen sind, um wirklich schlagkräftig zu sein?
Hüwel: - Wir haben tatsächlich in den vergangenen Jahren im Schnitt zwischen zwei und drei Prozent an Mitgliedern verloren. Seit eineinhalb Jahren geht es aber wieder aufwärts. Im Handelsbereich in Dortmund haben wir in diesem Jahr einen Mitgliederzuwachs von vier Prozent.
Worauf führen Sie den zurück?
Hüwel: - Das hat vor allem zwei Gründe: Zum einen haben wir in den Jahren zuvor schlicht unsere Mitgliederkartei bereinigt. Zum anderen hat uns die Diskussion um die Ladenöffnungszeiten Zulauf beschert.
Zurück zum Tarifkonflikt. Die Arbeitgeber argumentieren, dass es keine Spielräume für Gehaltserhöhungen gibt, weil die Umsätze im Handel rückläufig sind.
Hüwel: - Daran sind die Händler selbst schuld! In den Jahren 2000 bis 2006 ist die Einzelhandelsfläche in Deutschland, die im europäischen Vergleich bereits an der Spitze steht, nochmal um 7% gestiegen, die Zahl der Beschäftigten um 4% und die der Vollzeitstellen um 15 % gesunken. Wie soll das in der City mit dem Thiergelände und 30 000 zusätzlichen Quadratmetern Einzelhandel funktionieren? Die Kunden haben nicht mehr Geld und so müssen sich mehr Händler den gleichen Kuchen teilen. Und den Verdrängungswettbewerb durch die Geiz-ist-geil-Mentalität und die Rabattschlachten hat der Handel auch selbst erfunden.
Kajewski - : Die Positionen der Arbeitgeber sind sehr widersprüchlich. Zum einen profitieren sie davon, dass es in manchen Branchen Lohnerhöhungen von 3% und mehr gibt, weil dadurch die Kaufkraft steigt. Zum anderen will man den eigenen Beschäftigten nichts drauflegen.
Quelle: Ruhr Nachrichten vom 14. Dezember 2007