1-Euro-Jobs beim Konzern Stadt Dortmund
Rede von Wolfgang Richter (Linkes Bündnis Dortmund – Parteilose Linke, DKP und SDAJ) auf der Montagsdemo in Dortmund am 5. September 2005
1-Euro-Jobs sind heute unser Thema. Die anderen nennen es Arbeitsgelegenheiten - ein klug gewähltes Wort der Politik und der Gesetzgebung. Da schwebt Menschlichkeit durch das Parlament und die Gerichtssäle – Menschen erhalten die Gelegenheit zu arbeiten, wie schön. Endlich Ende der Erwerbslosigkeit, endlich Ende des alltäglichen Elends, endlich Ende des Ausschlusses aus der Gesellschaft, was alles damit verbunden ist, endlich Förderung und Wiedereingliederung, endlich Perspektive.
Private und öffentliche Unternehmen werden nicht müde, diese Menschlichkeit zu betonen, wenn sie Arbeitsgelegenheiten erfinden und beantragen. Eine ganze Gutmensch-Industrie ist entstanden, die die Befassung mit der Menschlichkeit unter sich aufteilt: Wohlfahrtsvereine, gemeinnützige Klubs und Stadtämter und die von ihnen verwalteten Schulen, Kindergärten, Seniorenheime, Parkanlagen usw. Dazu wachsen eigens gebildete Gesellschaften zur Verwaltung dieser großherzigen Menschlichkeit und Einrichtungen zur Simulation immer weiterer Bildung der in diese Menschlichkeit hineingezogenen Frauen und Männer. Und es bildet sich eine Schicht von Kontrolleuren, die die in Arbeitsgelegenheiten zu zwingenden und gezwungenen Menschen beobachten, ihnen behilflich sind, den Zwang auszuhalten und sie ggf. aus dem System schicken, wenn sie stören. In solchem Fall muss leider an den schon unzureichenden Zuwendungen weiter gekürzt werden, sagen die Gutmenschen.
Die soziale und gesellschaftliche Lage der Menschen unter ALG II hat mit der menschelnden Ideologie der politischen Macher nichts zu tun. Da muss ich Euch hier nicht viel erzählen. Das so hoch gehaltene Fördern der Dienstverpflichteten kann getrost vergessen werden – viele sind beruflich qualifiziert und alle sind in sozialer Kompetenz so entwickelt, wie es ihrem Alter entspricht. Ja, es gibt Ausnahmen. Aber das Prinzip deprimiert die Menschen in Arbeitsgelegenheiten mehr als es sie mobilisieren kann für eine freie Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung.
Die so hoch gepriesene Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt findet nicht statt – wie denn auch, wo doch gerade die Arbeitsplätze vernichtet worden sind und noch weiter vernichtet werden, deren liegengebliebene und weiter liegen bleibende Arbeit nun in Gelegenheiten verrichtet werden soll. Ja, es gibt Ausnahmen. Aber das Prinzip gruppiert die Menschen dauerhaft in den Niedrigstlohnsektor und in die Dienstverpflichtung mit Aufwandsentschädigung ein.
Das System ist jetzt älter als ein halbes Jahr. Zwischenbilanzen können und müssen gezogen werden. Ich plädiere dafür, dabei die menschelnde Propaganda beiseite zu schieben und zum harten Kern der Sache vorzudringen. Es geht um Geld, es geht um Abschöpfen öffentlicher Gelder. Und es geht um das Einüben von Dienstverpflichtungen in großem Maßstab.
Ich habe einen Versuch gemacht, das für die Stadt Dortmund als dem öffentlichen Sektor in dieser Stadt zu untersuchen. Und bin zu einfachen Ergebnissen gekommen. Darüber will ich kurz berichten. Ich möchte damit Mut machen, dies auch in den anderen, versteckt oder offen privaten Bereichen zu tun, in denen von Menschlichkeit geredet wird, wo es um Reibach geht. Die Analyse ist einfach zu machen, versucht es überall, wo Arbeitsgelegenheiten eingerichtet sind.
Ich habe die Aussagen des Oberbürgermeisters in der Sitzung des Rats vor der Sommerpause benutzt, also belastbare offizielle Daten und nicht etwa Produkte linker Spinner. Der OB hat folgendes gesagt:
"Zielsetzung bei der Durchführung von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung ist es nicht, bestimmte Werte, Wertzuwächse, Einnahmen oder Überschüsse zu erzielen. Vielmehr sollen ... die Beschäftigungsfähigkeit und Motivation von Maßnahmeteilnehmern erhalten und schrittweise die individuelle Belastbarkeit und Arbeitsfähigkeit erhöht werden. Zudem soll insbesondere die soziale Integration gefördert und die Heranführung von Langzeitarbeitslosen an den allgemeinen Arbeitsmarkt erreicht werden." Auf Nachfrage erläuterte er, dass in den Arbeitsgelegenheiten in seinem Verantwortungsbereich keine Werte geschaffen würden und diese deshalb auch nicht bezifferbar seien!
Im Gegensatz zu dieser Aussage wird in den Arbeitsgelegenheiten real gearbeitet und selbstverständlich wird das Arbeitsergebnis verwertet. Ich mache auf zwei ökonomische/betriebswirtschaftliche Aspekte aufmerksam:
1. Die Arbeitsergebnisse:
Es ist sicher nicht zu hoch angesetzt, wenn als nicht gezahlter Lohn für das Arbeiten in Schulen und Kitas, im Tief- und Grünbau, in der Stadtreinigung und in Stadtämtern, im Klinikum und in Seniorenheimen das eingesetzt wird, was dem Lohn einer Hauswirtschafter/in entspricht. In der für vergleichbare Untersuchungen des Statistischen Bundesamtes benutzten Position "Hauswirtschafter/in" wurden zuletzt für 2001 abgerundet 7 Euro netto/Stunde ausgewiesen, brutto mehr als das Doppelte.
Bei Benutzung des Nettolohns als Berechnungsgrundlage stellt sich im ersten Halbjahr 2005 eine Lohnsumme von ca. 3,1 Millionen Euro dar, die die in den Gelegenheiten Arbeitenden wertmäßig eingebracht haben und die vom "Konzern Stadt Dortmund" vereinnahmt wurden. Vereinfachend habe ich für die Berechnung bei 863 eingerichteten Plätzen durchschnittlich 20 Stunden/Woche in 26 Wochen und 7 Euro/Stunde angesetzt. Dabei habe ich auf alle Wertsteigerungen verzichtet, die über die verausgabte Arbeit im Arbeitsergebnis und in seiner weiteren Verwertung realisiert werden. Ich habe auch nicht das Einsparen tariflich geregelter Arbeit in den Einsatzgebieten der Arbeitsgelegenheiten berücksichtigt. Da die Mehraufwandsentschädigung und der Minibeitrag zur Sozialversicherung aus Mitteln der ARGE übernommen werden und damit die Arbeitsleistung der Dienstverpflichteten kostenlos bereitgestellt wird, kann der "Konzern Stadt Dortmund" aus den Arbeitsergebnissen in Arbeitsgelegenheiten also aufs Jahr 2005 hochgerechnet mehr als 6 Millionen Euro Gewinn verbuchen.
2. Die Träger von Arbeitsgelegenheiten erhalten je eingerichtete Gelegenheit monatlich 500 Euro Bundesmittel von der "ARGE Job Center". Davon werden durchschnittlich 200 Euro für die Mehraufwandsentschädigung benutzt - den bekannten einen oder eineinhalben Euro pro Stunde. Neben diesen durchlaufenden Mitteln verbleiben also 300 Euro beim Träger. Diese Mittel sollen nach dem Gesetz "für Qualifizierungsmaßnahmen und für Verwaltungsaufgaben" eingesetzt werden. Hierzu sagte der Dortmunder OB am 30. Juni im Rat der Stadt: "Bis Mitte Juni 2005 sind im Rahmen von Arbeitsgelegenheiten Qualifizierungsaufwendungen von insgesamt ca. 60 T€ angefallen. Die Aufwendungen für Verwaltungsaufgaben und sonstige Aufwendungen können in der Gesamtheit noch nicht genau beziffert werden. Für die Dortmunder Dienste GmbH gilt, dass sie derzeit ihre Infrastruktur nach dem zu erwartenden künftigen Maßnahmeumfang der 'Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung' ausrichtet und die von der Arbeitsgemeinschaft im JobCenter Dortmund finanzierte Trägerpauschale zur Deckung ihrer künftigen Aufwendungen heranzieht und diese Trägerpauschale zur Finanzierung sonstiger Sachaufwendungen ausschöpft."
Der "Konzern Stadt Dortmund" hat im ersten Halbjahr 2005 für Qualifizierungsmaßnahmen und für Verwaltungsaufgaben also ca. 1,5 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt erhalten, sofern die 863 Arbeitsgelegenheiten in den 6 Monaten voll ausgeschöpft wurden. Davon sind lediglich 60.000 Euro für Qualifizierungsmaßnahmen ausgegeben worden – das sind ganze 11,50 Euro pro Arbeitsgelegenheit und Monat! So sieht das Fördern der Menschen aus!
Dem "Konzern Stadt Dortmund" verbleiben also aufs Jahr hochgerechnet weitere ca. 3 Millionen Euro. Der Oberbürgermeister weiß, wo sie sind - bei DoDi, das alle Arbeitsgelegenheiten für den Konzern managt: ".. die Dortmunder Dienste GmbH zieht die Trägerpauschale zur Deckung ihrer künftigen Aufwendungen heran und schöpft sie zur Finanzierung sonstiger Sachaufwendungen aus". Offenbar bleibt einiges "kleben". Das ist schlicht gesetzwidrig, weil die auf die konkreten Arbeitsgelegenheiten bezogene öffentliche Leistung nicht für die Förderung der in ihr dienstverpflichteten Menschen verwendet, sondern zweckentfremdet wird – für Sonstiges und für Künftiges. Dies ist auch nach bürgerlichem Gesetzbuch unzulässig – für "ungerechtfertigte Bereicherung" (§§ 812 ff BGB) dürfen die Arbeitsgelegenheiten nicht herhalten.
Die DoDi – sie wird zur Zeit noch als Betrieb im "Konzern Stadt Dortmund" geführt – kann also mit ca. 3 Millionen Euro jährliche Einnahmen rechnen, sofern die Zahl der Arbeitsgelegenheiten etwa gleich bleibt. Sie soll allerdings radikal erhöht, nach Möglichkeit verdoppelt werden. Zur Zeit werden diese Mittel statt zur Förderung der Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsgelegenheiten rechtswidrig zum Aufbau und zur Entwicklung der städtischen Gesellschaft benutzt. Ihre Herauslösung aus dem "Konzern Stadt Dortmund" und Zusammenlegung mit der "ARGE Job Center" wird bereits vorbereitet. So wird aus dem Betrug an den Menschen in Arbeitsgelegenheiten eine schöne finanzielle Abfederung für die Privatisierung ihres Managements.
Über den Daumen gerechnet macht der "Konzern Stadt Dortmund" also bei den Arbeitsgelegenheiten mehr als 9 Millionen Euro Überschuss im Jahr, bei einer Verdoppelung der Arbeitsgelegenheiten mehr als 18 Millionen Euro. Wir erinnern uns sehr gut, was das Null-Ticket für den ÖPNV zum Sozialticket die Stadt kosten sollte – 7 Millionen Euro im Jahr. Die waren nirgends zu finden. Hier sind sie und es bleibt noch einiges übrig.
Die Durchführung der Arbeitsgelegenheiten ist gesetzlich geregelt. Die Analyse der tatsächlichen Verhältnisse belegt, dass ihre Einrichtung und ihr Management dem Gesetz in weiten Teilen schlicht widersprechen. Eine Förderung findet nicht wirklich statt, eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt kann so nicht hergestellt werden, die bereitgestellten Mittel werden zweckentfremdet. Neben den Aufsichtsbehörden gibt es auch Staatsanwaltschaften. Wann werden pflichtgemäß Ermittlungen aufgenommen?