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WR Dortmund 17.2.2004

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Auswertung der Diskussionsrunde "Tacheles - Dortmunder Streitgespräche" von Westfälischer Rundschau und Radio 91,2 vom 16. Februar

[ aus: Westfälische Rundschau Lokalausgabe Dortmund 17.02.2004 ]

 88 Mio. Euro zusätzliche Last für Stadt Dortmund?

 42 Mio. Euro Entlastung hatte sich die Stadt Dortmund für ihre maroden Kommunalfinanzen erhofft. Statt dessen kommen durch die neue Sozialgesetzgebung Mehrbelastungen von grob geschätzt 88 Mio. Euro auf sie zu. Das war ein Thema der WR-Diskussionsveranstaltung "Tacheles". Niemand kennt einen Ausweg. Gibts eine neue Runde von Kürzungen?

Das Mutterglück bedeutet Armut

(har-) Der Berliner Kompromiss schlägt nach Darstellung von Eberhard Weber aber auch ganz konkret und mit erheblichen Verschlechterungen bei den Hilfeempfängern durch. Nach seinen Worten gibt es im Zuständigkeitsbereich der Dortmunder Agentur für Arbeit (früher Arbeitsamt) 24 000 Menschen, die Arbeitslosenhilfe empfangen. 60 bis 70 Prozent davon müssten mit erheblichen Reduzierungen rechnen. Beträge von 530 Euro monatlich würden um bis zu 200 Euro gekürzt.

Finanziell schlechter gestellt werden pikanterweise auch die Organisationen, die gegen Arbeitslosigkeit und deren Folgen ankämpfen. 700 000 Euro bekommt die Arbeiterwohlfahrt von der Stadt als Zuschuss und kommt damit nicht aus. Andreas Gora sprach von Arbeitsplatz-Abbau und davon, dass "einzelne Maßnahmen eingestellt" worden seien. "Wir bemühen uns zurzeit, ein Grundraster - wenn auch ein gröberes - zu erhalten."

Im Widerspruch zur dramatisch hohen Arbeitslosigkeit von 15,3 % in Dortmund steht, dass die Mittel zur Bekämpfung zurückgefahren werden. In 2001 standen dafür nach Kenntnis von Eberhard Weber bei der Arbeitsvermittlungsbehörde 123 Mio. Euro bereit, in diesem Jahr nur noch 86 Mio. "Dass die Chancen der Langzeitarbeitslosen dadurch nicht wachsen, dürfte klar sein."

Was hat die Stadt für Möglichkeiten?

Und was hat die Kommune für Möglichkeiten, der Entwicklung entgegenzutreten? Frank Hengstenberg, CDU-Fraktionsvorsitzender und OB-Kandidat, verwies auf die kommunale Beschäftigungsförderung. Mit Ausgaben von 15 Mio. Euro läge die Stadt ganz vorne. "Aber ohne einen Arbeitsmarkt, der die Mitarbeiter nach Qualifizierung aufnimmt, sind wir nichts."

Daniela Schneckenburger plädierte für eine Anhebung der Gewerbesteuer, "um die Arbeitgeber mit in die Pflicht zu nehmen." Damit handelte sie sich allerdings sofort den Widerspruch von Frank Hengstenberg ein: "Das wäre der falsche Weg." Auch Andreas Gora sagte: "Es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass wir damit mehr Arbeit bekämen."

Gora ist für die Einrichtung eines kommunalen zweiten Arbeitsmarktes. Nach dem Vorbild der Dortmunder Dienste ("Dortmund, eine saubere Stadt") ließen sich Langzeitarbeitlose auch im pflegerischen Bereich einsetzen: bei der Betreuung von alten und kranken Menschen. Sie könnten sich um diese kümmern, könnten für sie Besorgungen machen oder putzen.

Auch Eberhard Weber bezeichnete den zweiten Arbeitsmarkt als "letztlich unverzichtbar". Es bedürfe "intelligenter Verschränkungen" mit der Agentur für Arbeit. Er wisse zwar, sagte Weber, dass viele Arbeitslose, die durch besondere Maßnahmen qualifiziert worden seien, letztendlich doch keine Stelle bekommen hätten. Zumindest sei aber dann dem "Qualifizierungsverlust" entgegengetreten worden, der nach einigen Jahren der Arbeitslosigkeit einsetze. Siegfried Pogadl hat die Idee von einer Arbeitsgemeinschaft mit der Agentur für Arbeit, sofern die "monitären Folgen bei der Agentur bleiben".

Bedenken, dass Billigkräfte des zweiten Arbeitsmarktes Arbeitsplätze des ersten gefährden könnten, hat Andreas Gora nicht. "Wieso sollte ich den ersten Arbeitsmarkt schützen." Sobald ein Unternehmer einen Vorteil sehe, wenn er aus Deutschland verschnwinden könne, um woanders bessere Geschäfte zu machen, "dann tut er das".

Widerspruch von Frank Hengstenberg: "Alle sozialen Sicherungssysteme bauen darauf auf, dass jemand arbeiten geht." So meinte denn auch Daniela Schneckenburg: Beim zweiten Arbeitsmarkt müsse der Qualifizierungseffekt im Vordergrund stehen. Und zwar mit der Perspektive der Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt."

Bringt Konjunktur bald die Wende?

Ob dies mit dem Anspringen der Konjunktur gelingt? Alle warten darauf. Eberhard Weber warnt: "Die Vergangenheit habe gezeigt, dass die Sockelarbeitslosigkeit von Konjunktursprung zu Konjunktursprung immer größer geworden ist."

Das Streitgespräch, dass die WR zusammen mit Radio 91,2 veranstaltete, hatte zahlreiche Zuhörer in das Holiday Inn gelockt. Auch solche, die sich kritisch mit der kommunalen Sozialpolitik auseinandersetzten. Die Stadt müsse eben Prioritäten setzen. Die Millionen, die durch das Verleasen des Stadtbahnnetztes an amerikanische Anleger eingenommen worden seien, hätten ja auch für Sozialpolitik ausgegeben werden können. Den See in Hörde werde es sowieso nicht geben. Und das Konzerthaus und der Bahnhofsneubau? Natürlich rieben sich Zuhörer auch daran.

Siegfried Pogadl widersprach indes, dass die Stadt "mal eben" Millionenbeträge hin- und herschieben könne, um sie in die Sozialpolitik zu stecken. "Seit 10 Jahren haben wir keinen ausgeglichenen Haushalt." Es sei richtig gewesen, Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammenzulegen. "Aber was in Berlin dabei herausgekommen ist, ist konfus."

Daniela Schneckenburger verwies darauf, dass den freiwilligen Wohlfahrtsverbänden nach erheblichen Kürzungen noch 2,5 Mio. Euro aus der Stadtkasse zufließen. "Das sind Peanuts".

Ein Zuhörer forderte strengere Steuerprüfungen, dann würden Milliardenbeträge eingenommen werden können. Frank Hengstenberg konzidierte, dass die personelle Situation in den Finanzämtern es nicht mehr zuließen, dass sie in vollem Umfang ihrem Prüfauftrag nachkämen. Dass es aber nur noch wenige Gewerbesteuerzahler in Dortmund gebe, läge allerdings an der ganz legalen Verrechnungsmöglichkeit von Gewinnen und Verlusten. Da kenne ja auch die Stadt was von.

Alleinerziehend und arm

Betroffen machte die Schilderung einer jungen Frau. Sie berichtete, sie habe 15 Jahre gearbeitet und Sozialbeiträge gezahlt. Dann habe sie ein Kind bekommen, sei alleinerziehend und nun auf Sozialhilfe angewiesen, weil sie für die Arbeitsbehörden als nicht vermittelbar gelte. Sozialhilfe setze voraus, dass sie ihr Auto habe verkaufen und auch Rücklagen hätte aufzehren müssen.

Daniela Schneckenburger: "Das Kinderkriegen wird zum Risiko, was alle sozialen Sicherungssysteme zusätzlich in Schieflage bringt." Schneckenburger sprach sich für den zügigen Aufbau von Kinderbetreuungseinrichtungen aus. Denn alleinerziehende Frauen stellten einen hohen Anteil der Arbeitslosen und unter den Sozialhilfeempfängern.

Andreas Gora forderte dazu auf, die "Grundfragen nach Solidarität zu stellen". Reichtum und Armut hätten zugenommen.

Es war von vornherein klar, dass das Thema im Rahmen einer zweistündigen Diskussion nur angerissen werden konnte. Bei den von Armut und Kürzungen Betroffenen rumort es. Gora animierte das Publikum: Der weitere Abbau sozialer Leistungen sei nur zu stoppen, wenn sie sich einmischen. Und eine Frau kündigte schon mal an: "Es wird nicht immer so ruhig bleiben in dieser Stadt. Das kann ich ihnen versprechen."

Fortsetzung von Lokalseite 1

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