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Billigticket: Wie teuer ist sozial?

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Wie teuer muss es sein? Wie günstig darf es sein? Am Sozialticket, das bisher 15 Euro kostet, scheiden sich die politischen Geister. Die Ratsfraktionen taxieren derzeit Preise.

Mit 28 Euro war die SPD in die Kommunalwahl gegangen. „Ob das angesichts des Haushalts noch realistisch ist, weiß ich nicht”, sagt Geschäftsführer Dr. Andreas Paust. Immerhin: Damit läge man „noch günstiger als andere”. Und die Zuzahlung der Stadt an die DSW – in 2008 knapp 5 Millionen Euro – sinke. „Nach den Haushaltsgesprächen mit den Grünen muss man sehen, wie sich das darstellt”, so Paust.

CDU hält höheren Preis für gerechter

Auch die CDU rechnet, ebenfalls im gehobenen Segment. „15 Euro sind nicht tragbar”, sagt Manfred Jostes, Geschäftsführer der Ratsfraktion. Ein höherer Preis sei gerechter, gerade mit Blick auf den Niedriglohnsektor. „Verkäuferinnen und Briefträger, die liegen 50 Cent über dem ALG 2-Satz und müssen sich ein normales Ticket kaufen. Das passt nicht dazu, dass sich Arbeit wieder lohnen sollte.”

Genau solche Sätze bringen die Grünen auf den Baum. „Menschen, die weniger haben, gegen solche auszuspielen, die noch weniger haben, das ist ungehörig”, sagt Fraktionsgeschäftsführer Stefan Neuhaus. 15 Euro seien „sozialpolitisch in Ordnung”. Eine Nachjustierung müsse sich nah an diesem Bereich bewegen. Das Ticket sei „kein sozialpolitisches Verlustgeschäft”. Fast 9 Millionen mehr Fahrgäste und zehn Prozent mehr Einnahmen sprächen für sich. „Mehreinnahmen und Minderausgaben werden von DSW überhaupt nicht berücksichtigt”, rügt Neuhaus.

Klotz am Bein des Kämmerers

Die Vorstellungen von FDP und Bürgerliste pendeln im Bereich derer der SPD. „In der letzten Wahlperiode hätten wir 30 Euro mitgemacht, die Bürgerliste 25. Dazwischen wären wir rausgekommen", sagt Dr. Annette Littmann. „Ob das heute noch reicht?” Die Ratsfraktionschefin zweifelt. Die Übergabe an den VRR stehe nicht umsonst im Raum, bei prognostizierten 3,8 Millionen Euro, die in diesem Jahr auf die Stadt zukommen. „Das ist ein Klotz am Bein des Kämmerers Stüdemann.”

Die Linke hält an 15 Euro fest – als Einstieg in den Nulltarif. „Aus sozialen, ökologischen und verkehrspolitischen Gründen” seien Busse und Bahnen die Zukunft, meint Wolf Stammnitz. Aber gratis? „Leisten können wir uns das ohne weiteres. Man braucht nur den Öffentlichen Nahverkehr gegen den Flugverkehr zu stellen. Der kommt nur einigen wenigen zugute, das Sozialticket potenziell einigen Hunderttausend."

Quelle: WR vom 07.11.09

 

Dazu ein Leserbrief

Dass die Parteien der bürgerlichen Mitte die Niedriglohn-Arbeitenden gegen die Hartz IV'ler in Stellung zu bringen versuchen, ist bezeichnend, sind sie es doch, die sich im Bundestag mit Händen und Füßen gegen die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne sperren.

Aber auch die Äußerungen der SPD entbehren nicht einer gewissen Tragik: Während jeder an Dortmunds Flughafen ein- und ausgehende Flieger mit mehr als 10 Euro pro Ticket aus der Stadtkasse subventioniert wird, soll bei den Einkommensschwächeren an der Basis-Mobilität innerhalb der Stadt gespart werden. Selbst die – als Eigenanteil - angepeilten 28 € seien u.U. nicht zu halten, heißt es vielsagend-drohend aus der Fraktionsgeschäftsstelle.

Wir empfehlen den Genossen dringend die Lektüre der einschlägigen Publikationen der parteinahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Eine der Studien, erst wenige Monate alt, trägt z.B. den völlig eindeutigen Titel „Teilhabe zu ermöglichen bedeutet Mobilität zu ermöglichen“ (WISO-Diskurs, hrsg. Bonn Juni 2009).

Mobilität ist Voraussetzung für Teilhabe, Teilnahme am sozialen, kulturellen und sport­lichen Leben in dieser Stadt. Selbst die Nutzung der „Dortmunder Tafel“ ist häufig genug nur durch eine Anreise mit Bus oder Bahn möglich. Mancher Kommunalpolitiker hat längst einräumen müssen, die Armut und ihre Auswirkungen in der Vergangenheit unterschätzt zu haben.

Niemand hat je behauptet, ein Sozialticket sei umsonst zu haben. Wie auch der ÖPNV insgesamt nie kostendeckend zu betreiben sein wird. Aber was sind schon 64 Mio. € an Jahresverlust bei insgesamt über 139 Millionen Fahrgästen (DSW-Zahlen für 2008)? 46 Cent Zuschuss pro Passagier - weniger als ein Zwanzigstel des Betrags, mit dem jedes Flugticket subventioniert wird!

Wir bezweifeln die Stichhaltigkeit der von den DSW gemachten Angaben zu den Kosten des Sozialtickets und haben den Ratsfraktionen deshalb dringend die Durchführung einer unabhängigen Begleitforschung empfohlen.
Aber auch die verbleibenden Ausgaben für das Sozialticket – vermutlich kaum mehr als 1 Mio. € pro Jahr - sind allemal eine sinnvolle Investition in die Mobilitätschancen jener Bürger und Bürgerinnen, bei denen das Geld nicht reicht, um sich mit normalen Fahr­scheinen oder gar einem PKW durch die Stadt zu bewegen.

Knapp 24.000 Sozialticket-InhaberInnen – diese Zahl spricht u.E. eine deutliche Sprache. Es gab und gibt diesen Bedarf an Mobilitätshilfen in Dortmund tatsächlich, und deshalb sollte auch schnell eine Anschlussregelung her. Statt aber über eine Anhebung des Preises zu diskutieren, sollte der Rat über eine Einbeziehung von Niedriglohnempfängern, Rentnern und anderen Menschen mit nur geringen Einkünften in die Regelungen zum Sozialticket nachdenken. So, wie es auch der DGB NRW und die großen Sozialverbände fordern. Das hieße, wirklich von den Kölnern und ihrem Sozialticket zu lernen!

Dortmund, 11.11.2009
AKOPLAN – Institut für soziale und ökologische Planung e.V.

 

Die angeführte FES-Studie (46 Seiten): http://library.fes.de/pdf-files/wiso/06482.pdf

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