Dezernentenriege im Verhör
Erklärung Linkes Bündnis Dortmund zur alljährlichen Dortmunder Dezernentenrunde mit den mittelständischen Unternehmern (Medieninformation vom 20.01.04)
Dass die komplette Chefriege des Rathauses sich jedes Jahr den mittelständischen Unternehmern Dortmunds „zum Verhör stellt“, wie es in der Presse genannt wurde, wirft ein deutliches Licht auf das Verhältnis zwischen den Partnern dieser sogenannten Dezernentenrunde. Haben doch Verhö-re meist einen recht autoritären Charakter.
So mußte sich denn auch die Dezernentenriege während des Verhörs nervende Fragen zum Bahnhofsprojekt „3do“ samt Einkaufszentrum und befürchteter Verödung der City gefallen lassen. Obwohl nur fünf Prozent von 161 befragten Firmenchefs „ganz sicher“ daran glauben, dass „3do“ noch Wirklichkeit wird, ist OB Langemeyer "vom ersten Spatenstich noch in diesem Sommer über-zeugt".
Auch bei anderen Themen waren die Dortmunder Firmenchefs mit den Dezernenten aus der Riege des Doktor Langemeyer nicht zufrieden. So fragen sich die Dortmunder Unternehmer, "weshalb die Stadt ständig ihre finanzielle Notlage beklage, aber längst nicht so einschneidend spare, wie das in Firmen geschehe". Hätte die Dezernentenriege auch nur ein wenig Mumm in den Knochen, so hätten sie den Damen und Herren Unternehmern an dieser Stelle kräftig die Leviten gelesen und deutlich gesagt, welches die Ursachen und Folgen der Finanznot der Gemeinden sind.
Denn die Finanznot der Gemeinden ist auf die Milliardengeschenke an die deutschen Unternehmer in Form von Steuersenkungen zurückzuführen. Allein in den Jahren 2001 und 2002 haben die Unternehmen zusammen etwa 40 Milliarden Euro weniger an Gewerbesteuer, Körperschaftssteuer und Kapitalertragssteuer gezahlt als im Jahr 2000. In der Hoffnung darauf, dass die Unternehmer mehr investieren und neue Arbeitsplätze schaffen würden, wenn sie weniger Steuern zahlen müs-sen, hat ihnen die Schröder-Regierung dieses gigantische Geschenk durch die Steuerreform ge-macht. Die Unternehmer aber sagten Dankeschön und schufen im Übrigen keinen einzigen neuen Arbeitsplatz, sondern haben fleißig entlassen und zum Wachstum der Arbeitslosigkeit beigetragen.
Steuersenkungen für Unternehmer bedeuten Ausgabenkürzungen in den Städten und Gemeinden. Und zwar Kürzungen bei Schulen und Kindergärten, beim Sport, bei Kultur und Freizeitmöglich-keiten für Jugendliche, beim öffentlichen Nahverkehr und beim Straßenbau, bei Grünanlagen und Spielplätzen, bei sozialen Diensten für Verschuldete, Wohnungslose, Drogenabhängige und Alte.
Steuersenkungen für Unternehmer bedeuten die Verschlechterung der Lebensverhältnisse der Lohnabhängigen, denn sie sind auf die billige kommunale Infrastruktur angewiesen. Um Ausgaben zu streichen und Steuersenkungen für Unternehmer zu finanzieren, nehmen die Gemeinden den Substanzverfall ihrer Infrastruktur hin. Die kommunale Infrastruktur fault vor sich hin. Schulen, Straßen, Kanalisation, öffentliche Gebäude sind sanierungsbedürftig. Aber dafür ist kein Geld vor-handen, weil es ja in die Taschen der Unternehmer geflossen ist.
Um Steuersenkungen für Unternehmer finanzieren zu können, müssen Gemeinden zukünftig ihre Gebühren weiter erhöhen. Gemeindliche Einrichtungen arbeiten nicht kostendeckend, eine grau-same Sache für jeden Betriebswirt. Werden keine Steuern mehr eingenommen, so rücken kosten-deckende Gebühren in den Mittelpunkt. Wenn Kindergartenbeiträge steigen, die Preise für Busse und U-Bahn steigen und kostendeckende Gebühren für das Ausstellen einer Bescheinigung, eines Passes oder Ausweises erhoben werden, dann bekommen die Lohnabhängigen auch diese Aus-wirkung der Steuerreform zu spüren.
Der größte Ausgabenposten der Gemeinden sind die Personalkosten. Um Steuersenkungen für Unternehmer finanzieren zu können, müssen Gemeinden ihre Personalkosten verringern. Das haben sie in der Vergangenheit kräftig getan. Die Gemeinden hatten 1991 noch 1,59 Millionen Vollzeitbeschäftigte. Im Jahre 2001 waren es nur noch 978.000. Und da meinen die Unternehmer, dass die Kommunen "nicht einschneidend sparen!" Personalabbau heißt Arbeitsverdichtung für die verbliebenen Beschäftigten. Das fördert zwar nicht deren Gesundheit und Motivation, aber es freut die Unternehmer.
Aber Schuld an der Krise der Gemeindefinanzen tragen nach gängigen Vorurteilen nicht nur die Beschäftigten der Gemeinden, sondern auch die Arbeitslosen und Armen, die von der Sozialhilfe leben. Deshalb gilt es, die Steuersenkungen für die Unternehmer nicht nur durch Senkung des Arbeitslosengeldes, sondern auch der Sozialhilfe zu finanzieren. Hier treffen sich die Interessen der Kommunalpolitiker und der Unternehmer, die Sozialhilfe zusammenzustreichen.
Die Kommunen verlangen ständig Rechenschaft von den arbeitslosen Sozialhilfebeziehern, ob sie es wirklich verdienen, mit ein paar Euro unterstützt zu werden. Man hält ihnen ständig ihre Pflich-ten und das Allgemeinwohl vor. Doch die Dortmunder Dezernentenriege verlangte keine Rechen-schaft von den Unternehmern darüber, was sie eigentlich mit den 40 Milliarden Euro gemacht ha-ben, die sie sich insgesamt in zwei Jahren eingesackt haben. Wo ist die Bilanz? Wo ist das Con-trolling? Wo bleibt die „Kosten-Nutzen-Rechnung“, für wen sich die Steuersenkungen gelohnt ha-ben?
Man fragt sich, warum die Riege des Herrn Doktor Langemeyer diese Fakten nicht auf den Tisch gelegt hat und sie auch ansonsten verschweigt. Aber wer wird schon ernsthaft von dieser Dezer-nentenriege verlangen, dass sie sich für die Interessen derjenigen einsetzt, die unter der Steuer-senkung für Unternehmer zu leiden haben?
Ganz zu schweigen davon, dass diese Herren zu sagen wagen, was notwendig ist, um die Finanz-not der Gemeinden zu beheben. Kein Wort davon, dass sowohl eine konsequente Unternehmens-besteuerung, das Wiederbeleben der Vermögensteuer und eine Gemeindefinanzreform, die den Gemeinden eine eigenständige, stabile Einnahmequelle sichert, notwendig sind.
Kein Wort
- von der notwendigen Entschuldung der Kommunen (Sofortmaßnahme: Zinsmoratorium, d.h. die Einstellung der Zinszahlungen an die Banken) - vom Stopp der Privatisierung öffentlicher Betriebe und Einrichtungen, und des Verkaufs städti-schen Vermögens, dem Ende windiger Cross-border-leasing-Geschäfte - vom Stopp von Kürzungen zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung - von einer notwendigen aktiven Beschäftigungs- und Ausbildungspolitik und - von der Reform der Steuer- und Finanzpolitik, damit die Banken, Konzerne, die Unternehmen und Vermögenden endlich entsprechend ihrer finanziellen Möglichkeiten be-steuert werden!
Ja, es war schon eine bemerkenswerte Veranstaltung, die sich trotz des Kommunalwahljahres an keiner anderen Stelle wiederholen lassen dürfte. Denn die Chefriege des Rathauses wird kaum Lust darauf haben, sich von Vertretern u.a. der 40000 Arbeitslosen, der Sozialhilfeempfänger, der Alten, Kranken, Jugendlichen, Obdachlosen, Verschuldeten, Drogenabhängigen dieser Stadt ver-hören zu lassen.
gez. Wolfgang Richter, Medien-Sprecher von "Linkes Bündnis Dortmund"