Dortmund: “Unsozialticket” brannte. Der Rat aber hatte kein Erbarmen
Die Gemeinde der Protestierenden gestern Nachmittag vorm Dortmunder Rathaus auf dem Friedensplatz war klein und somit überschaubar. Das Problem indes, weshalb es diesen Protest gab, ist riesengroß. Jedenfalls für die Betroffenen.
Interimslösung gefordert
Das Dortmunder Sozialticket nämlich - bisher zum Preis von 15 Euro für Bedürftige erhältlich - kostet ab Februar saftige 30 Euro! Dieser Preis ist für den darauf angewiesenen Personenkreis nicht mehr zu stemmen. Aus diesem Grund haben, wie Heiko Holtgrave vom Dortmunder Bündnis “Hände weg vom Sozialticket” auf der gestrigen Demo erklärte, bereits 13.000 von ehemals 24.000 Sozialticket-Nutzern in Dortmund ihr Ticket gekündigt. Das Aktionsbündnis hatte nun nicht mehr, aber auch nichts weniger, als eine Übergangslösung (das Sozialticket weiter zum Preis von 15 Euro) zum 31. Juli 2010 gefordert. Ab August nämlich will der Verkehrsverband Rhein-Ruhr (VRR) ein verbandsweites
Sozialticket einführen. Dass dessen künftiger Preis sozialverträglicher wie der momentane Dortmunder Preis sein möge, hofft Heiko Holtgrave (auf dem Photo links neben Utz Kowalewski, Fraktion DIE LINKE). Allzu große Hoffnungen darauf aber dämmte Holtgrave gleichzeitig gestern auf dem Friedensplatz. Schließlich seien am 9. Mai Landtagswahlen. Und könnten CDU und FDP dann abermals eine Landesregierung bilden, dann lösten sich vielleicht auch die Hoffnungen auf ein bezahlbares Sozialticket rasch in Luft auf. Weil es dann vielleicht hieße: Für so etwas ist angesichts leerer Kassen kein Geld da.
Verzweiflung bei den Betroffenen - Desinteresse bei den meisten Parteien im Rat
Holtgrave betonte auf den Rathaustreppen, zur ungewöhnlichen Aktion DAS UNSOZIALTICKET SOLL BRENNEN habe man sich nur schweren Herzens entschlossen. Aber es solle eben drastisch die Verzweiflung derjenigen widerspiegeln, welche sich das Ticket nun nicht mehr leisten könnten. Während er das sagte, kreiste eine mit Protestierenden besetzte Straßenbahn aus Stoff um die den kleinen Kreis der Kundgebungsteilnehmer. Das “Gefährt” hatten Mitarbeiter des Caritasverbandes gebastelt.
Mario Krüger von den Grünen trat ans Mikrofon, um zu verdeutlichen, warum seine Partei keinen neuen Antrag für ein Interimslösung fürs Sozialticket in den Rat eingebracht hat. Dieser habe schlicht keine Chance, weil die Fraktionen von CDU, SPD und FDP kein Interesse daran hätten. Das zeige schon die Tatsache, dass das Thema Sozialticket für die gestrige Ratssitzung auf Punkt 6 und somit ganz nach hinten gesetzt wurde.
Helmut Manz (DIE LINKE): Öffentlichkeit ist in der Demokratie die Luft zum Atmen
Helmut Manz (DIE LINKE) kam noch einmal auf die Aktion des Bündnisses “Hände weg vom Sozialticket”, kürzlich im Rat der Stadt, zurück. Da hatten die Aktivisten von der Zuschauertribüne mit Operngläsern - ein, wie Manz herausstrich, auch in höheren Kreisen als kultiviert anerkanntes optisches Gerät - verfolgt wer im Sozialausschuss welches Votum betreffs des Sozialtickets abgab. Der Ausschussvorsitzende Taranczewski (SPD) hatte hernach den LINKEN wegen dieser Aktion (dabei waren sie gar nicht dafür verantwortlich) “Nazimethoden” vorgeworfen. Dafür hat sich der SPD-Mann bis heute nicht entschuldigt. Manz aber verteidigte die “Opernglas-Aktion”. Es sei doch nur ganz natürlich, dass man auch in einer Demokratie Volksvertretern genauestens auf die Finger schauen müsste. Dazu gehöre doch auch, dass bekannt gemacht werden müsse, wie wer in der Sache abgestimmt habe. Dazu müsse man eben dann auch in der Öffentlichkeit stehen. Überhaupt sei “Öffentlichkeit für die Demokratie so etwas wie die Luft zum atmen”, sagte Manz.
Guido’s (Un-)Geist und das Gegeneinander-Ausspielen
Obgleich er freilich gestern auf dem Dortmunder Friedensplatz nicht persönlich anwesend war, dessen (Un-)Geist schwebte wohl dennoch im Verborgenen über den Köpfen der leider viel zu wenigen Kundgebungsteilnehmer: Demagoge Guido Westerwelle (FDP). Schließlich gehören die Dortmunderinnen und Dortmunder um deren (bezahlbares) Sozialticket es gestern ging, ganz gewiß nicht zu den “Leistungsträgern”, um es im Westerwell’schen Jargon auszudrücken. Und das ist vielleicht auch schon an manchem Stammtisch angekommen. Wo sich dann Normal-Ticket-Inhaber darüber aufregen, dass anderen (die doch nichts dafür leisten) überhaupt ein günstigeres Sozialticket zugestanden werden soll. Auch daran erinnerte Heiko Holtgrave gestern: Stets - im Großen wie im Kleinen - werden eben die einen Benachteiligten (etwa die abrutschende Mittelklasse gegen die noch Schwächeren, Ärmeren ausgespielt). Das hat seit jeher Methode. Und das geht wohl auch so weiter. Erst vor kurzem hat auch das DIW festgestellt: die Armut in Deutschland ist weiter gestiegen.
Übrigens: Der Dortmunder Rat hat gestern kraft seiner Wassersuppe beschlossen, keinen niedrigeren Sozialticket-Interimspreis zuzulassen. Es bleibt also vorerst beim geharnischten Preis von 30 Euro pro “Sozial”-Ticket. Am Rande wurde bekannt, dass das (von der Sache her lobenswerte) Prestigekulturprojekt “U-Turm” (Kulturhauptstadt 2010) insgesamt wesentlich teuer wird als ursprünglich geplant. Auch die späteren jährlichen Betriebskosten werden saftiger als gedacht zu Buche schlagen. Aber auch dafür hat man schon eine “Lösung” parat. In der früheren Bierstadt-Nr.1-in-Europa- und Stahlstadt Dortmund, die wohl nun die nächsten Jahre über verstärkt als “Millionen-Haushaltsloch-Stadt” firmieren dürfte, werden ganz sicher dafür die schon bestehenden Kultureinrichtungen finanziell bluten müssen. Schließlich: Es ist ja kein Geld da!
Höchstens für den defizitären Flughafen kratzt man vielleicht noch Kohle zusammen. Jemand forderte sogar kürzlich noch dessen [sic!] weiteren Ausbau! Der Flughafen am Rande der Stadt, welcher der miesen Zahlen wegen, in die dieser Jahr für Jahr mehr abrutscht, müsste eigentlich jetzt schon roter leuchten (und zwar Tag und Nacht), als es die Dortmunder SPD als “Herzkammer der Sozialdemokratie” (Herbert Wehner) jemals gewesen ist…
Quelle mit Fotos: www.readers-edition.de vom 19.02.10