Debatte um den Haushalt 2005 der Stadt Dortmund - Dokumentiert: Haushaltsrede des Vertreters der PDS-OL
Hauptgegenstand der Ratssitzung vom 21.04.05 war die fast dreistündige Propagandaschlacht um den von SPD und Grünen vorgelegten "Weiter-so"-Haushalt 2005. Dazu hier dokumentiert die erste Haushaltsrede der PDS-OL. Die zugebilligte Redezeit war auf max. 12 min. begrenzt.
Stellungnahme von Wolf Stammnitz (PDS-OL) zum Haushaltsentwurf 2005:
"Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,
Sie wissen ja, es gibt keine dummen Fragen, sondern nur dumme Antworten. Also Vorsicht bei der Frage, die ich Ihnen jetzt stelle: Für wen wurde dieser Haushalt eigentlich gemacht, so wie er gemacht ist?
Von selbst versteht sich die Antwort deshalb nicht, weil es ein Wunder wäre, wenn die immer tiefere Spaltung unserer Gesellschaft in Reich und Arm, Privilegierte und Benachteiligte, Gewinner und Verlierer des Strukturwandels ausgerechnet vor Dortmund Halt machen würde.
Bevor Sie das gleich wieder als "Neiddebatte" abtun, will ich Sie an Ihre eigenen Aussagen vor der Kommunalwahl erinnern und frage so: Was würden die 19 % Erwerbslosen in Dortmund wohl zu diesem Haushalt sagen, wenn sie die fiskalische Geheimsprache verstehen könnten? "Jawohl, dieser OB, dieser Kämmerer, diese Ratsmehrheit nehmen ihre Wahlversprechen ernst, so muß heute ein Haushalt zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aussehen" - ja,
würden sie das sagen?
Dazu drei kritische Punkte.
- Erstens Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung:
Wenn in den letzten Jahren in Dortmund 3.000 Existenzgründungen
erfolgten, ist das sicher ein gewisser Erfolg. Wenn aber zugleich 5.000 sozialversicherungspflichtige Jobs verschwanden und die Arbeitslosenzahl um 5.000 anstieg - wohlgemerkt vor Hartz IV - dürfen wir dann die Wirtschaftsförderung nach dem alten Strickmuster weiterstricken? Daraus müssen wir doch schließen: Mit der Konzentration auf Neuansiedlungen und Ich-AG's kriegen wir die Beschäftigungskrise nicht in den Griff.
Schief ist seit Jahren die Branchenausrichtung der Dortmunder Wirtschaftsförderung. Das haben wir am Dortmund-Project von Anfang an kritisiert, und diese Kritik wurde inzwischen von vielen Seiten bestätigt.
Schief ist das Herunterfahren der kommunalen Investitionen.
Schief ist der Vorzug der Wirtschaftsförderung vor der Beschäftigungsförderung. So einfach ist es leider nicht, wie die SPD auch in Dortmund inzwischen den Wirtschaftsliberalen nachredet: "Arbeitsplätze muß die Wirtschaft schaffen." - Natürlich, da lassen auch wir die Wirtschaft nicht aus der Pflicht. Aber in Zeiten, da die Wirtschaft das trotz aller Förderung so ungenügend tut, wird kommunale Beschäftigungspolitik immer wichtiger.
Aber statt aus den Fehlentwicklungen der letzten Jahre zu lernen, schiebt man nun die ganze Beschäftigungsförderung auf die Arbeitsagentur ab. Das ist grundfalsch. Dagegen protestierte im Ausschuß für Wirtschafts- und Beschäftigungs-Förderung der Gewerkschaftsvertreter mit Nachdruck, und im Sozialausschuß legte sich der Geschäftsführer der ARGE, Neukirchen-Füsers sehr ins Zeug, um die Befürchtungen der Wohlfahrtsverbände zur Fortführung des Kommunalen Arbeitsmarkt-Fonds zu zerstreuen, aber er konnte sie keineswegs ausräumen. Ehrlich wäre es, wenn Sie WBF-DO jetzt umtaufen in "Wirtschaftsförderung Dortmund", denn mit kommunaler Beschäftigungspolitik hat dieser Haushalt nichts mehr am Hut.
Insofern begrüßen wir den einzigen vernünftigen unter den CDU-Anträgen zum Haushalt, der die Fortführung des Kommunalen Arbeitsmarkt-Fonds (KAF) fordert. - Zweitens Einnahmen und Steuerpolitik:
Darf ein Haushalt zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit es einfach hinnehmen, daß trotz steigender Ausgaben die Einnahmen um 52 Millionen Euro schrumpfen? Darf man trotz der dramatischen Haushaltskrise der Kommunen den Hebesatz der Gewerbesteuer weiterhin nicht antasten? Der OB und der Kämmerer sagten bei der Einbringung des Haushalts, Steuererhöhungen wären "das falsche Signal". In diesem harmlosen Satz steckt sozusagen die volle Dröhnung Neoliberalismus.
Was für ein Signal gibt denn dieser Haushalt? Wenn in einer kommunalen Finanzkrise mit anhaltend hohen Haushaltsdefiziten, rückläufigen Zuweisungen und Zuschüssen, schrumpfenden Investitionen, schrumpfender Bautätigkeit, zugleich expansiven Sozialtransfers trotz brutaler Kürzung von Fürsorgeleistungen, mit explodierenden Kassenkrediten, die kommunalen Steuersätze nicht steigen sollen, dann signalisiert das den vermögenden Bürgern: "Mit euch hat unsere Finanznot nichts zu tun, euch wollen wir mit den Sorgen und Nöten der Allgemeinheit nicht belästigen."
Wenn dann noch chronische Massenerwerbslosigkeit die Ursache der Finanznot ist, signalisiert dieser Haushalt den Unternehmern, den Verursachern der Arbeitslosigkeit: "Für euch soll das Verursacherprinzip nicht gelten, eure Rationalisierungsgewinne tasten wir nicht an, die Rationalisierungsopfer sollen sehen, wie sie ohne euch mit dem Elend klar kommen, in das ihr sie gestürzt habt."
Das ist das Signal, das Dr. Langemeyer und Herr Pehlke heute für richtig halten. Es ist das genaue Gegenteil eines solidarischen Gemeinwesens. - Drittens droht dem Haushalt eine weitere Schieflage durch Hartz IV.
Die ganz große Hartz-IV-Koalition in Dortmund entschied sich für "Augen zu und durch", weil sie sich davon eine Entlastung des Haushalts versprach.
MDuH, die Rechnung wird nicht aufgehen. Die 181 Mio Euro Wohnkostenzuschüsse reichen noch nicht mal für die als "angemessen" bezeichneten Wohnkosten, aber nie und nimmer für die tatsächlichen Wohnkosten von 40.000 Bedarfsgemeinschaften. Schon zum 1. Januar war der Ansatz um mindestens 12,8 Mio Euro zu niedrig, und mit je 1.000 zusätzlichen Bedarfsgemeinschaften steigt der städtische Zuschußbedarf um 3,4 Mio, im 1. Quartal stieg er um weitere 10 Mio über den Planansatz. Jetzt erleben wir, daß Hartz IV zur Absenkung der Kaufkraft und Lebensqualität von Tausenden führt - im 2. Halbjahr werden wir erleben: Wer hier zur Durchsetzung von Hartz IV heilige Eide schwor, in Dortmund werde es keine größere Umzugswelle geben - nicht wahr Herr Pogadl? - hat mit diesem Haushalt seinen Wortbruch programmiert.
Oder aber Sie müßten gemeinsam mit den betroffenen Menschen gegen die Regierung und die Billiglohnspekulanten Front machen. Dieser Haushalt, der die Probleme beschönigt und vertuscht, signalisiert jedenfalls nicht Ihre Bereitschaft dazu.
Übrigens, zum Thema Hartz IV und Arbeitsplätze gab es im Sozialausschuß eine aufschlußreiche Kontroverse. Neukirchen-Füsers von der ARGE schloß mit den Worten, Hartz IV sei eine Arbeitsmarktreform, keine Wirtschaftsreform. Womit er meinte, wir dürften keine zusätzlichen Arbeitsplätze erwarten. Worauf Herr Giese von der SPD widersprach, er sei weiterhin überzeugt, Hartz IV werde Investitionen auslösen. Ich denke, greller kann man die Falle kaum ausleuchten, in der sich die Neoliberalen selbst gefangen haben. Der eine wäscht seine Hände vorbeugend in Unschuld, weil er wohl ahnt, wie schnell der Schwindel seiner obersten Dienstherren auffliegen wird. Der andere, und zwar ausgerechnet der sozialpolitische Sprecher der Dortmunder SPD, bekennt sich öffentlich zu dem Zynismus, durch Ausweiten des Niedriglohnsektors Investoren anzulocken. Dabei weiß die Mehrheit inzwischen aus Erfahrung, daß durch Absenken der Masseneinkommen, Lohndumping, bis zum Arbeiten ganz ohne Lohn, 1-Euro-Jobs usw. zwar die Unternehmergewinne steigen, die aber kaum noch re-investiert werden in Deutschland. Das ist so schwer auch nicht zu verstehen, wenn man weiß, daß etwa 70 % der Umsätze
in Dortmund an der Binnennachfrage hängen.
Kurz und schlecht:
Mit Ihrem Haushalt bauen Sie keine Brücke über den Graben, der quer
durch unsere Stadt läuft, sondern vertiefen ihn noch und legen
nachträglich mit Ihren Ergänzungsanträgen ein paar dünne Bretter drüber.
Den Brettern werden wir zustimmen - dem Graben nicht.
MDuH, wir haben noch mehr Kritik an diesem Haushalt (jetzt nur noch im Telegrammstil):
- Etwa die mangelnde Bürgerbeteiligung bei der Aufstellung. Es paßt zur technokratischen, wirtschaftshörigen Linie dieser Stadtspitze, daß Dortmund zwar in Sachen NKF (Neues Kommunales Finanzmanagement) die Nase vorn hat, aber nicht in Sachen Bürgerhaushalt.
- Etwa die unbelehrbare Hoffnung, mit Großprojekten Dortmunds Probleme lösen zu können - dabei hat uns noch jedes Ihrer Großprojekte nur zusätzliche Probleme eingebrockt, siehe Flughafen, siehe Konzerthaus, siehe 3do. Jetzt also noch so ein Großabenteuer: das "Dortmunder U".
- Oder die bedenkliche Tatsache, daß die vermehrte Tilgung von Haushaltskrediten um ein vielfaches übertroffen wird durch die Explosion der Kassenkredite.
- Oder das angeblich so erfolgreiche Zinsmanagement, das mittelfristig die Zinslast steigert, also genau der Logik der Kapitalmärkte folgend, die Gegenwart auf Kosten der Zukunft erkauft. Statt endlich diese Marktlogik zu durchbrechen und, bis der Haushalt wieder ausgeglichen ist, von den Gläubigern ein Zinsmoratorium zu verlangen.
- Wegen dieser Markthörigkeit glauben wir auch Ihrem optimistischen
Finanzplan bis 2008 ungefähr soviel wie dem Baron von Münchhausen.
Schlußfolgerung:
Da die PDS ihrem Ziel eines "solidarischen Dortmund" verpflichtet bleibt und gemessen daran dieser Haushalt grundlegende Mängel aufweist; da Sie andererseits für seine Verabschiedung unsere Stimmen nicht brauchen und wir folglich keine Chancen für Verbesserungsvorschläge sehen, bleibt uns nichts anderes übrig als ihn abzulehnen.
Ich danke für's Zuhören."