Hilfe für arme Schüler steckt im Stau
Beschlossen hat der Rat seinen Lernmittelfonds schon im Juni - jetzt ist er in aller Munde. Nach der CDU stellen auch die Linken dieser Art Hilfestellung für arme Schüler miese Noten aus.
Ratsherr und Gesamtschullehrer Hannes Fischer sieht die Schulen "schier in Verwaltungsarbeit ersaufen". Die Linken waren die ersten, die rügten, dass in den Hartz-4-Regelsätzen zu wenig Geld vorgesehen sei, um arme Schüler mit Tornistern, Heften, Malkästen oder Turnschuhen "wettbewerbsfähig" zu machen. Dem schloss sich die rot-grüne Ratsmehrheit gerne an. Stocke der Bund seine Regelsätze nicht auf, springe die Stadt ein, legten sich SPD und Grüne bereits im letzten Dezember fest.
Berlin blieb eisern auf Sparkurs. Am 19. Juni gab der Rat 400 000 Euro frei. Die Schulbudgets werden aufgestockt um 60 Euro pro Schüler, der von Hartz 4, Sozialgeld oder Sozialhilfe lebt. Die Hilfe sollte "unbürokratisch, ohne großen Verwaltungsaufwand, direkt vor Ort" geleistet werden. Aber nur als Sachleistung. Lehrer also als verlängerter Arm des Sozialamts?
"Die Idee, bedürftigen Schülern zu helfen, finden wir gut", sagt Willibald Jöhren, Leiter des Käthe-Kollwitz und Sprecher der Direktoren der 14 staatlichen Gymnasien. Im gleichen Atemzug fügt er aber hinzu: "Bei der Umsetzung hat sich die Stadt vieles einfallen lassen, was an weiterführenden Schulen nicht praktikabel ist. Ich kann doch meine Lehrer nicht losschicken, um ein paar Hefte oder Knetgummi einzukaufen." Zudem sei der Bedarf in den Jahrgängen 5 bis 13 "so verschiedenartig, dass ich keine Sammelbestellung abgeben kann". Am Käthe-Kollwitz kaufen arme Eltern wie bisher ein, was ihr Kind braucht. Belege und Kontodaten reichen sie bei der Schulsekretärin ein, die überweist das Geld.
Auch Peter Brekau hat sich über den Zuschuss aus der Stadtkasse zunächst gefreut. Und doch spart der Sprecher der Realschulen nicht mit Kritik am Verfahren: Zu kurzfristig eingeleitet, kaufmännisch zu kompliziert, logistisch schwierig. An den meisten Realschulen habe daher noch niemand Mittel aus dem Fonds erhalten. Dabei läuft das Schuljahr seit eineinhalb Wochen. "Wer macht die zusätzliche Arbeit?", fragt Brekau, Leiter der Albert-Schweitzer-Realschule. Die Sekretärinnen weigerten sich zum Teil - eine so buchhalterische Arbeit gehöre nicht zu ihren Aufgaben. Noch fehlt ein Konzept, wie das Geld verteilt wird. Brekau: "Nochmal machen wir das nicht mit."
Von der Stadt allein gelassen fühlt sich Hauptschulleiter Joachim Eckardt. Mit den Kollegen habe es noch keinen Austausch gegeben, so dass bei den Hauptschulen die Mittel wohl vorerst noch auf Eis liegen. Eckardt sieht die Sekretärinnen in der Pflicht, appelliert aber an die Stadt, deren zusätzliche Arbeit angemessen zu vergüten.
Der Fonds sei sehr überraschend gekommen, als die Planung für das Schuljahr schon abgeschlossen gewesen sei, sagt Peter Seger, Sprecher der Gesamtschulen. So hätten viele Eltern die nötigen Anschaffungen längst getätigt. Jetzt gebe es ausnahmsweise das Geld zurück. Doch wer hebt alte Quittungen von Schulheften auf?
Den bürokratischen Teil hat Segers Heinrich-Böll-Gesamtschule an einen Buchhändler ausgelagert, der Materialien besorgt, an Schüler ausgibt und direkt mit der Schule abrechnet. "Diese Arbeit möchte ich von den Lehrern fernhalten", sagt Seger.
Andere Schulen sind derweil schon dabei, ganze Lager für Lernmittel anzulegen.
Quelle: WAZ vom 20.08.08
"Richtige Politik"
Jahrelang konnten sich Ratsmehrheiten des öffentlichen Beifalls (sogar von der Opposition) sicher sein, wenn sie Herz zeigten für all jene, die "mühselig und beladen" sind (um den heutigen SPD-Unterbezirks-Chefs Franz-Josef Drabig zu zitieren).
Doch irgendwas hat sich verändert: Gleich mit den ersten Segnungen des Wahlprogramms "Soziale Stadt" läuft Rot-Grün auf: mit der Hartz-4-Korrektur Sozialticket und mit der Hartz-4-Korrektur Lernmittelfonds.
Das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens ist längst kein Geld mehr da, den Gesetzgebern in Berlin und Düsseldorf mal vorzuexerzieren, wie man "richtige Politik" macht. Alle Lehrstücke laufen entweder auf Pump oder auf dem Rücken der Beschäftigten.
Zweitens: Die Reformen der Arbeitsmarktreformen sind schlecht gemacht. Damit, 400 000 Euro auf die Konten der Schulen zu pumpen, ist es ja nicht getan.
Wer macht denn die damit verbundene Arbeit? Die Lehrer etwa? In der Unterrichts- oder in ihrer Freizeit? Wer kontrolliert, ob das Geld zweckentsprechend und korrekt verwendet wird? Landesbedienstete werden sich von Kommunen wohl kaum Mehrarbeit aufs Augen drücken lassen. Vermutlich bleibt der Schwarze Peter bei den Schulsekretärinnen hängen. Trifft es nicht immer die Schwächsten?
Quelle: WR vom 20.08.08