Manche Zahl wird sich an der Realität messen lassen müssen
Es gibt Aussagen, die werden von der Wirklichkeit ad absurdum geführt - und doch sind sie richtig. Zumindest nicht ganz falsch. "Industrie hat wieder Zukunft in Dortmund" ist so ein Satz. Gesagt hat ihn am Dienstag Udo Mager, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung. Der Satz ist richtig, zumindest nicht ganz falsch.
Die Zahlen bestätigen das - und Zahlen lügen nicht. 1600 neue Stellen sind in den Jahren 2006 und 2007 in der industriellen Produktion entstanden. Einer von vielen am Himmel über der Arbeitswelt, der lange Zeit nicht nur bei Nacht stockfinster war.
Und doch führt die Wirklichkeit Magers Aussage ad absurdum. Jene Wirklichkeit, die 1200 Beschäftigte des Dorstfelder Automobil-Zulieferers VDO schon lange und jetzt wieder ganz besonders schlecht schlafen lässt. Der Mutterkonzern, einst Siemens, heute Continental, plant den großen Umsatzsprung: von 16,6 auf 26,4 Mrd. Euro. Wichtiger noch als Umsatz ist Gewinn. Den steigert man am schnellsten, Nokia lässt grüßen, indem man Teile der Produktion ins preiswertere Ausland verlagert und andere verkauft. Renditeoptimierung nennen Manager das. Gewerkschafter und Betriebsräte haben ganz andere Begrifflichkeiten für solches Tun.
Fakt ist: Geht VDO den Bach herunter, wären die mühevoll gewonnenen 1600 Arbeitsplätze in der Produktion auf einen Schlag wieder von der Habenseite getilgt. Mager müsste das ohnmächtig mit ansehen, denn das ist auch klar: Auf die Entscheidungen von Konzernzentralen haben städtische Wirtschaftsförderer null Einfluss.
Positiv in Sachen Arbeit, die um den 1. Mai zwangsläufig eine zentrale Rolle spielte: Immer weniger Menschen haben keine. Die Arbeitslosenquote sank im April 2008 auf 13,9 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahresmonat waren in Dortmund fast 2000 Menschen (4,7 %) weniger ohne Job. In vielen Branchen, gerade in den zukunftsträchtigen, legt die Stadt sogar überdurchschnittlich zu. Weshalb Oberbürgermeister Dr. Gerhard Langemeyer nach "Das neue Dortmund ist das schnelle Dortmund" und "Der Strukturwandel in unserer Stadt ist abgeschlossen" mal wieder eine neue markige Aussage formulierte: "Dortmund", sagte er, "ist die Stadt der Dynamik!" Bleibt zu hoffen, dass die Wirklichkeit ihn nicht ad absurdum führt.
In die Zukunft brach Dortmund auch verkehrlich auf. Mit der Freigabe des Ost-West-Tunnels tauchte die letzte City-Stadtbahn unter der Erde ab. Innerhalb der Wälle ist Dortmund jetzt Straßenbahn-frei. Kaum 24 Stunden später gaben die Verantwortlichen das Startsignal für die oberirdischen Arbeiten: den Umbau der Kreuzung Westentor sowie von Kampstraße/Brüderweg zum Boulevard.
Was fast ein wenig unterging - wohl, weil die Heizperiode gerade vom Frühling abgelöst wird: DEW21 erhöht zum 1. Juli die Gaspreise um rd. 10 %. Dafür mag es nachvollziehbare Gründe geben. Wirtschaftliche natürlich. Doch auch die ändern nichts daran, dass Otto-Normal-Bürger sich fragt: Wer soll das bezahlen? Wer kann das alles noch bezahlen. Heizung immer teurer. Strom teurer. Benzin teurer. Lebensmittel teurer. Alles immer teurer. Tarifrunden selbst mit 5 oder 6 % mehr Gehalt sind da nicht mehr als Peanuts. Irgendwann fliegt uns das alles um die Ohren - am Tag, an dem die Wohlstandsgesellschaft implodiert.
Quelle: WR vom 02.05.08