Rechte Szene macht in NRW mobil
Die rechte Szene verstärkt ihr Auftreten. Neun Monate vor den NRW-Kommunalwahlen plant sie massive Demonstrationen, Großveranstaltungen und hat das Ziel, in möglichst viele Stadträte einzuziehen.
Ein Vorgeschmack davon bekommt Samstag Dortmund: Hier wollen die „Autonomen Nationalisten” mit NPD und DVU und 1200 Teilnehmern aus ganz Europa durch die City ziehen. Zeitgleich werden Gegner protestieren - erstmals unter einer Regie und dem Motto „Bunt statt braun”.
Spektakulärer wird es am 20. September in Köln. 1000 Teilnehmer der rechtspopulistischen Szene veranstalten auf Einladung der Partei „pro Köln” einen „Anti-Islam-Kongress”. Prominente Rechte wie der Franzose Le Pen werden erwartet, Redner der FPÖ, von Italiens Lega Nord und Belgiens „Vlaams Belang”. 40 000 Gegendemonstranten sind gemeldet.
Die Polizei ist in Sorge. In Dortmund bereitet sie sich auf den bisher größten Neonazi-Aufmarsch der Stadt vor. „Wir nehmen die Sorgen der Bevölkerung ernst”, sagt auch Kölns Polizeichef Klaus Steffenhagen. Denn bundesweiten mehren sich Hinweise, dass die rechte Szene gewalttätiger wird. Nach Angaben des Deutschen Anwaltvereins wendet sich körperliche Gewalt zunehmend auch gegen Frauen. Der Anteil weiblicher Opfer liegt bei 23,3 Prozent, 2006 waren es nur acht.
Rechte Gruppierungen verfügen über immer mehr Geld. Es sind Einnahmen aus den Mandaten in 30 Kommunalparlamenten in NRW. Rechte und rechtspopulistische Parteien in Nordrhein-Westfalen haben 2008 800 000 Euro Einnahmen - Tendenz steigend.
Fragen und Antworten
Bei den rechtsextremen Parteien in den Stadträten und Kreistagen in NRW klingelt es in diesem Jahr kräftig in der Kasse. Dies ist vor allem Folge der geänderten Gemeindeordnung. Füttert der Staat die Rechtsextremen?
Wievield Geld steht extrem rechten Parteien in Kommunalparlamenten in NRW zu?
Rund 800 000 Euro können die Vertreter von NPD, DVU, Republikanern, pro Köln und der rechten Kleinstpartei „Ab jetzt - Bündnis für Deutschland” in diesem Jahr in den knapp 30 Kommunalparlamenten, in denen sie seit 2004 vertreten sind, für sich beanspruchen, etwa eine Viertelmillion Euro mehr als im Jahr 2006.
Wofür erhalten sie das Geld?
Mehr als 310 000 Euro müssen die Kommunen und Kreise allein für Aufwandsentschädigungen ihrer Rechtsausleger aufbringen. Hinzu kommen manchenorts noch weitere Sitzungsgelder. Die betroffenen Kommunen rechnen einer WR-Recherche zufolge außerdem damit, dass sie 2008 für die Fraktions- und Gruppenarbeit extrem rechter Parteien knapp 480 000 Euro ausgeben müssen - beinahe doppelt soviel wie vor zwei Jahren. Obendrauf gibt's in einigen Städten noch Büros oder Sachmittel.
Wie kommt es zu den Steigerungen der Zuschüsse?
Zum größten Teil sind die zusätzlichen Ausgaben eine Folge der im Herbst 2007 in Kraft getretenen Gemeindeordnung. Sie vereinfachte für kleine Gruppierungen in den Räten die Bildung von Fraktionen, außerdem wurden Einzelabgeordnete und Gruppen finanziell bessergestellt.
Welche Folgen hat dies im konkreten Fall?
Von der Neuerung profitiert unter anderem die DVU mit ihren drei Stadträten in Dortmund, die neben den Aufwandsentschädigungen von mehr als 30 000 Euro in diesem Jahr erstmals eine Fraktionsförderung von 41 000 Euro beanspruchen kann. Um gleich 60 000 Euro können die beiden Republikaner-Stadträte in Essen verglichen mit 2006 zulegen. Im Märkischen Kreis, wo sich ein NPD-Vertreter mit einem für die Republikaner gewählten Kreisparlamentarier zusammen tat, kann diese neue NPD-Gruppe jährlich 24 512 Euro beanspruchen. Am kräftigsten aber sahnt die sogenannte „Bürgerbewegung pro Köln” ab: Die Rechtspopulisten kassieren 2008 mehr als 170 000 Euro: rund 80 000 Euro für Aufwandsentschädigungen und fast 94 000 Euro für die Fraktionsarbeit.
Bleibt es nun bei den Zuschüssen für die Rechten in dieser Höhe?
Gut möglich, dass die kommunale Finanzierung von Rechtsextremisten nächstes Jahr noch üppiger ausfällt: In einigen Kreisen und Städten haben NPD und REP noch gar keine Förderung beantragt. Anderswo, so etwa im Kreis Siegen, im Hagener und im Hattinger Stadtrat, wurde über die Anträge noch nicht entschieden. Auch könnten letztlich Gerichte entscheiden: Die NPD in Witten etwa, die für die Fraktionsarbeit jährlich 6000 Euro bekommen soll, zog vors Verwaltungsgericht. Sie will weitere 20 000 Euro für einen Fraktionsmitarbeiter.
Wie beurteilt die Landesregierung diese Konsequenzen aus ihrer Gemeindeordnungs-Reform?
NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) betont, er halte die „neue Finanzausstattung für Gruppen und Einzelratsmitglieder weiter für richtig”. Tatsächlich sind besonders seit der Kommunalwahl 2004 zahlreiche Vertreter unabhängiger Wählergruppen in den Räten vertreten, die mit rechtsextremen Gedankengut nichts zu tun haben. Wolf betont: „Es darf keine unterschiedliche Behandlung von Gruppierungen und Einzelratsmitgliedern nach politischer Beliebigkeit geben.”
Und was sagt die Opposition?
Die SPD hält die Reform für falsch. Ihr Landtagsfraktions-Vize Ralf Jäger kritisiert, es könne nicht sein, „dass politische Splittergruppen, die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen, mit Steuermitteln unterstützt werden”. Jäger vermutet: „Die Reform wurde auf Druck der FDP durchgesetzt.” Die Liberalen hätten ihre eigenen Leute, die in vielen Räten mit ein oder zwei Leuten vertreten sein, stärken wollen.
Quelle: WR vom 02.09.08
Ein großes Bündnis gegen Neonazis
Dortmund entwickelt sich immer mehr zum Knotenpunkt der rechtsextremen Szene. Am Samstag steht der nächste große Aufmarsch an - mit Teilnehmern und Rednern aus halb Europa. Die Polizei rechnet mit über 1000 Rechtsextremen.
Dagegen mobilisieren die demokratischen und antifaschistischen Kräfte: Unter dem Motto „Bunt statt braun” rufen erstmals alle großen Bündnisse zum gemeinsamen Protest gegen die Neonazis und ihren so genannten „Nationalen Antikriegstag” auf. „Sie missbrauchen den Antikriegstag. Die Neonazis haben nichts mit dem internationalen Antikriegstag der Friedensbewegung, der Gewerkschaft und Antifaschisten zu tun” heißt es im Aufruf der Demokraten. Gegen diesen Missbrauch will Dortmund ein friedliches und deutliches Zeichen setzen.
Großaufgebot der Polizei im Einsatz
Um 12 Uhr sammeln sich die Neofaschisten in der südlichen Innenstadt. Ab 13 Uhr wollen sie ihre Demonstration mit insgesamt vier jeweils einstündigen Kundgebungen bis in den östlichen Ortsteil Körne treiben, wo der braune Spuk um 19 Uhr beendet sein soll. Zu erwarten sind - wie in den Vorjahren - volksverhetzende, rassistische und antisemitische Parolen, die allerdings bislang juristisch folgenlos blieben. Zu hören sein wird daher wohl wieder die faschistische Parole zum Antikriegstag: „Nie wieder Krieg - nach unserem Sieg.” Eben dem „Sieg des nationalen Sozialismus”.
Dortmund setzt auf die Demokraten
In der Stadtmitte - auf dem Platz der alten Synagoge - wird sich das demokratische Dortmund sammeln. Erstmals rücken dabei alle gesellschaftlichen Gruppen - das Spektrum reicht von Gewerkschaften, Kirchen, Parteien über Friedensbewegung und Antifaschisten bis hin zu autonomen Organisationen - zusammen. „Jeder und jede, die sich gewaltfrei beteiligen möchte, ist willkommen”, macht Hartmut Anders-Hoepgen, Koordinator für Toleranz, Vielfalt und Demokratie deutlich. Dortmund setzt darauf, dass sich viele Demokraten auch aus dem Umland beteiligen, um ein deutliches Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen.Die Dortmunder Polizei rüstet sich für einen massiven Einsatz. „Wir müssen von einer besonderen Dimension ausgehen - sowohl von der extremen Linken und der extremen Rechten”, betont Polizeiführer Dieter Keil. „Die können einem schon die eine oder andere Sorgenfalte auf die Stirn treiben.”
Denn die Polizei ist skeptisch, ob die große Koalition der demokratischen und antifaschistischen Kräfte hält. Die Autonomen vom „Bündnis 28.3.”, nach der Ermordung des Punkers „Schmuddel” durch einen 17-jährigen Neonazi gegründet, wollen am Samstag ab 10 Uhr unter der Leitung der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke („Die Linke”) zu ihrem Demonstrationszug unter dem Motto „Kein Frieden mit Neonazis” starten. Anschließend wollen sie nach Auflösung der Demo an der zentralen Kundgebung am Platz der alten Synagoge teilnehmen. Doch genau das ist für die Polizei die Frage: Am 1. Mai 2007 hatten dieselben Anmelder ihre Demo frühzeitig aufgelöst und Teilnehmer hatten auf den Bahngleisen brennende Barrikaden errichtet, um so die Anreise der Neonazis zu stoppen.
Die Veranstalter der autonomen Demo rechnen mit 300 Teilnehmern. „Das wird deutlichst überschritten. Wir rechnen mit dem Fünffachen”, so die Polizei. Mit entsprechend vielen Kräften sind sie im Einsatz - auch von der Bundespolizei. „Wir sind am 1. Mai 2007 von der Vehemenz der Gewalt überrascht worden und sind jetzt darauf eingestellt”, so Polizeipräsident Hans Schulze.
Kommentar:
Fehlendes Vertrauen
Vom "Dortmunder Konzept", welches die Demonstrationszüge von Links und Rechts bis auf wenige Meter aneinander heran führte und ein verbales (und dabei gewaltfreies) Abreagieren erlaubte, ist nichts mehr zu sehen.
Die Eskalation der Gewalt sei der Grund, warum dies nicht mehr versucht werde. Allerdings waren gerade die Demonstrationen friedlich, die die Gruppen auf Hör- und Rufweite aneinander brachte. Allerdings entlud sich die Gewalt erst, als die direkte Konfrontation nicht mehr möglich war - und Polizisten wurden zum Ziel der Gewalt.
Den Demokraten sei es nicht mehr gelungen, einvernehmlich gegen Rechts zu demonstrieren. "Das war der Grund zur Trennung", begründet der Polizeipräsident. Dass es aber erstmals wieder eine Einheit unter der Federführung von Hartmut Anders-Hoepgen gibt, reicht Schulze nicht. "Ich kann nicht erkennen, dass es einen Veranstalter gibt, der die Interessen zu bündeln versteht." Harte Worte - und ein Zeichen fehlenden Vertrauens.
Quelle: WR vom 03.09.08