1.Mai - Neonazis in Dortmund
www.pottkinder.de: Neonazis in Dortmund. Die gesammelte Rechte versucht wie schon einmal den 1.Mai als „Tag der deutschen Arbeit“ zu vereinnahmen. Ein umfangreicher Bericht von ganz nah dran.
Mannschaftswagen wohin man sieht; Pferde, Hunde, Hubschrauber. Männer mit Feuerlöscher auf dem Rücken, Wasserwerfer und technisches Gerät. Überall Polizei. Aber von den Rechten sieht man nichts. Schon weit vor dem angekündigten Aufmarschgebiet, demonstriert die Staatsmacht überall Präsenz, versucht die Gegendemonstranten fern zu halten und für Ruhe zu sorgen. Die Notlüge „Oma in der Kollwitzstraße“ funktioniert: Durch die erste Straßensperre werde ich durchgelassen. Ich laufe Richtung Wambel. - Polizei und Passanten, Ausflügler und spielende Kinder, allesamt ein wenig aufgeregt, aber immer noch keine Rechten weit und breit.
„Ja, die Sonne scheint auch für Nazis.“
Schon an der nächsten Sperre werde ich nicht durchgelassen, „Nein, S-Bahnen fahren heute nicht mehr“, die Antifa habe mit einem Brand die Gleise blockiert. „Wo ich denn mal Nazis sehen könne?“ frage ich gespielt naiv. Ein Polizist gibt mir einen Tipp, der sich mit meinem Plan des Aufmarsches aus dem Netz deckt. Ich laufe bei Hochsommer-Wetter durch Körne. Zwei Polizisten simulieren an einer Baustelle einen Angriff mit den herumstehenden, gestapelten Pflastersteinen. Ständig kein Durchlass, aber mit einem Umweg komme ich auf etwa hundert Meter an den ersten Sammelplatz heran.
Mit lauen Windböen weht Musik herüber, die an eine x-beliebige Jugenzentrums-Kellerband erinnert. Ich stehe vor einem Spalier von freundlichen Polizisten, die sich darüber streiten, ob sie die Demonstranten jetzt einfach „Nazis“ nennen dürfen oder „Menschen mit rechter Gesinnung“ nennen sollen. Rote Ballons erinnern an ein Gewerkschafts-Kinderfest. Ein paar Fahrradfahrer regen sich über die Umleitungen auf. Gespannt starren ganze Familien in die Richtung der Nazis, als ob sie einen Hirsch in einem Wildgehege suchen würden. Es fehlt nur ein Kind das freudig ruft: „Mama, Mama, guck mal da: ein Nazi!“
Zwei Mädchen, auf deren rechte Gesinnung man nur von der Laufrichtung her schließen kann und ein halb-nackter Skinhead der es sich auf einer anliegenden Wiese mit einem Bier bequem gemacht hat, sind dann erste Kontakte mit dem unbekannten Wesen Neonazi. Weiter auf dem Weg zur Marschroute sieht es so aus, als würde der ganze Stadtteil kollektiv umziehen wollen: Überall stehen Parkschilder „Parkverbot von 0.00-21.00“ - Hier werden sie also demonstrieren.
An einer Bus-Haltestelle finden sich halb-abgerissen Plakate. So zerfetzt sind sie kaum einem politischen Spektrum zuzuordnen: Rechts wie Links benutzt rot, schwarz und weiß. Auch die Ikonographie ist ähnlich und sogar den linken Tonfall machen sich die Rechten zu eigen. – „Gemeinsam Kapitalismus bekämpfen“ prangt auf dem Demonstrationsaufruf. Nur das Plakat der Gegendemo „Bunt statt Braun“ fällt mottogemäß aus dem Drei-Farben-Schema. Auf ihm erinnern psychedelisch anmutenden Schmetterlinge an die Hippi-Era.
„Den Gewerkschaftsbossen sollte man mal Schüppe und Handfeger geben.“
Auf der Paderborner Straße laufen die Anwohner aufgeregt herum. Einige diskutieren über die Gewerkschaftsführer, die die Interessen der kleinen Arbeiter verraten hätten. Neugierig schauen die Menschen auf Kissen gestützt aus ihren Fenstern, doch der Zug lässt auf sich warten. „Ich glaube ich komme in einer halben Stunde wieder.“ hört man eine Frau sagen und die Straße lehrt sich ein wenig. Der Rio-Reiser Song „Menschenfresser“ schallt in einer Cover-Version laut aus einem Wohnzimmer. Hier soll also gleich der Demonstrationszug vorbeilaufen, vorbei an „Foto Rüdiger“, „Güneş Grill“ und „ana`s eis“, wo sich Schaulustige, Gegendemonstranten wie Polizei Eis kaufen, um die Warterei zu verkürzen.
Die viralen Netzwerke der Bürger, die sich zum Protest eingefunden haben, werden durch einige Fahrradfahrer realisiert. Immer wieder hört man Gerüchte - von der Antifa, von der Gegendemo in der Innenstadt und von den rechten Demonstration, die offenbar durch die S-Bahn-Störaktion zweigeteilt wurde. Eine ältere Frau sinniert über das Enstehen des Nazitums aus fehlender Mutterliebe. Ein älterer Mann, der mit seinem Frau vor der Kette von Einsatzfahrzeugen steht, macht ein Foto mit seiner Handy-Kamera. Sofort kommt eine Polizistin aus dem Auto gesprungen – um die beiden darauf anzusprechen, dass sie doch in Mallorca im gleichen Hotel gewohnt haben. Hier und da entstehen hitzige Debatten unter den Passanten: Eine Demokratie brauche Volksentscheide. Ehemalige Gewerkschaftler beschweren sich über die zu zahmen Tarifforderungen und ihre Bezahlung im öffentlichem Dienst. Unter den ungefähr 80 Gegendemonstranten herrscht Uneinigkeit: Die einen hoffen die Nazis zu sehen, um ihre Veranstaltung lautstark zu kommentieren, die anderen hoffen, dass sie gar nicht loslaufen können. Da bringt eine Fahrradbotin die Nachricht: Sie kommen!
„Nationalistischer Sozialistischer Widerstand“. Ein Redner ist „mit der Politik der Demokraten nicht einverstanden“ und möchte „den Kapitalismus abschaffen“. Danach ziehen sie unter lauten Sprechgesängen „frei, sozial und national“ weiter. Während aus „Deutschland erwache“ „Europa erwache“ geworden ist, verwandelt sich die, wie so vieles, aus dem feindlichen Lager entfremdete Parole „Internationale Solidarität“ in nunmehr nur noch „Nationale Solidarität“. Natürlich wird genüsslich darauf hingewiesen, dass erst Adolf Hitler den 1.Mai in Deutschland zum gesetzlichen Feiertag gemacht hat. Gegen die mit Akzent aus der ersten Reihe gegrölten Parolen wohl niederländischer Skinheads, schreien couragierte Bürger den zu diesem Zeitpunkt vielleicht 400 Rechtsradikalen „Nazis raus“ und „Nazis von der Straße fegen“ entgegen. Sorgsam wird von den Ordnern das Fortschreiten der hinter Transparenten laufenden Phalanx um die Ecken choreographiert.
„Die Kameraden können jetzt zum Lautsprechwagen vorrücken“
Von einem LKW hält Christian Worch eine Rede. Währenddessen kommt es zu einer kleinen Rangelei mit einem Gegendemonstranten, der die Versammlung aus der Nähe filmen will. Langsam werden die Demonstranten an den Straßenrand gedrängt und doch gibt es Bereiche, in denen man nicht sicher ist, ob man neben einem Linken oder einem Rechten, einem Journalisten oder einem Schaulustigen steht. Die Rede ist eine Mixtur aus allgemeinen Plattitüden der Politikverdrossenheit, in Georg-Strasser-Manier adaptierten antikapitalistischen Forderungen und antiamerikanischer Zuspitzungen. Tenor: „Für einen sozialistischen Nationalismus“ - Wer das umdreht wird klüger. Es geht gegen „Gutmenschen und Gewerkschaftler“ als „Helfer des kapitalistischen Systems“. Fischer und Kohl kriegen wahllos Schelte, der eine wegen seiner Steinewerfer-Vergangenheit und seiner wohl dotierten Harvard-Professur, der andere wegen seines „Ehrenwortes“ in der Schmiergeldaffäre. Linker Populismus pur, Worch redet sich in [r]age. Trotz einzelner Versprecher, Reden halten kann er. Er adressiert seine Worte an „Kameraden, liebe Bürger und Bürgerinnen“. Zwischendurch scheint durch all die Anti-Globalisierungsfassade sein Geschichtsverständnis durch, so redet er von der Wiedervereinigung als dem Erreichen der „Klein-Deutschen-Lösung“. Nur bei seinem Exkurs über die neuen Bundesländer muss sich Worch kurz korrigieren: Natürlich sind das nicht die ostdeutschen, sondern die mitteldeutschen Lande. Und Ostdeutschland ist „ehemaliges Reichsgebiet, zur Zeit unter polnischer Verwaltung“. Zwischendurch will er sogar das ökologische Thema vereinnahmen, aber dann redet er wieder vom „Kapital ohne Heimat“ und von „gefährlich bevölkerungsreichen Weltgegenden“, von den „1% Ultra-Reichen“ die „99% des Weltreichtums“ besäßen. Aber auch in gebräuchlicheren Bildern von der „Schere zwischen Arm und Reich“, der „US-Armee als Weltpolizei“ und des „internationalen und modernen Raubtierkapitalismus“ zielt der Mann in weißem Hemd und Nietengürtel auf die linken Ideen der breiten Bevölkerung. Schließlich zitiert er in dieser unglaublichen Umarmungsstrategie auch noch ausgerechnet den Anti-Faschisten Brecht. Alles um die eigenen Leute als neuartige, antiautoritäre und dissidentenartige, neue deutsche Volks-Bewegung darzustellen. Der Weiterzug wird dann mit der Bemerkung, es gehe jetzt „ohne einen Musikbeitrag weiter zu den Kameraden“ eingeleitet.
Die Transparente der Demonstranten besetzen dagegen noch klar rechte Themen. Eines wendet sich gegen die Paragraphen §86 ( u.a. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) und §130 (Volksverhetzung) des Strafgesetzbuchs, ein Thema das Globalisierungskritikern wohl nicht wirklich am Herzen liegen wird. Andere Transparente tragen Gruppennamen wie „Russlanddeutsche in der NPD“ oder fordern „Nürnberg 1946 – Schandurteile revidieren“. Mehrer schwarzen Fahnen mit schwarz-weiß-roter Reichflaggen in einer Ecke komplettieren den Eindruck einer „normalen“ rechten Demo.
„We know our enemy“
Die rechten Demonstranten sind jung, man sieht typische Skinheads mit Tätowierungen, aber auch Menschen, deren Stil eher nach Antifa als Nazi aussieht. In lässigen Kapuzenpullis, halblangen Tarnfarben-Hosen, Chuks und Vans sprengen sie den klar identifizierbaren rechten Code. Manche sehen modisch vollkommen unauffällig aus. Ältere laufen in Shorts und weißen Socken in Birkenstocks mit, ein Greis (Otto Riehs?) lässt sich im Wagen von den Kameraden kutschieren. Frauen sind deutlich unterrepräsentiert, aber auch hier reicht das Spektrum von der wasserstoffblonden Dauerwelle bis zum jungen Mädchen in rotem Kleid.
Ruppig geht es zwischen den Demonstranten und den begleitenden Gegendemonstranten hin und her: „USA Völkermordzentrale“ vs. „Güle, Güle, Güle“ (Türkisch: Auf Wiedersehen). Aber auch die Gegendemonstranten haben Idioten unter sich - Vereinzelt werden provokante anti-deutsche Slogans wie „Jeder Schuss ein deutscher Soldat – Stalingrad“ gegrölt. Bei den Rechten wirkt der Sprechgesang „Ob Ost, Ob West - nieder mit der roten Pest“, ob ihrer neu-entdeckten eigenen Vorliebe für diese Farbe fast schon peinlich. Doch auch Neonazis haben ein gewisses sprachliches Kreativitätspotential. Die Sprechgesänge „Nazis raus“ werden mit „aus dem Knast“ gekontert.
Subtile Blickgefechte als beidseitige Einschüchterungsversuche werden probiert. Ständig werden Fotos vom feindlichen Lager gemacht. Ein Sweatshirt eines Neonazis illustriert das System. Darauf: „We know our enemy“ und eine unerfreulich dreinschauenden Bulldoge. Da fallen die Stinkefinger auf beiden Seiten schon gar nicht mehr auf. Per Megaphon wird dann auch noch das „Recht auf angemessene Selbstverteidigung gegen Systembürger“ propagiert. Zwischendurch hält die Polizei die Gegendemonstranten immer wieder an. Auf dem Marsch der Neonazis wird derweil von „neuen, freien und starken Menschen“ und einem sozialistischen Europa der Völker fantasiert. Von den weit abgeschotteten Antifas hört man ein „Bildet Banden, macht sie platt“.
Irgendwann gelangt der Zug dann dorthin, wo er hingehört: Auf einen „Mehrzweckplatz“ neben einem Abstellgleis. Dort treffen sich die getrennten Lager der Rechten zur Kundgebung. Die Polizei riegelt das Gebiet gründlich ab und als zivil aussehender Mensch ohne Presseausweis ist es nicht mehr möglich den Verlauf der Veranstaltung zu folgen.
„Ich möchte ein freies, weißes Deutschland“
Zwei Rechtsradikale, vielleicht gerade 18, die ihren letzten Zuge kriegen müssen, geben mir auf dem Rückweg nach ihren Zielen befragt bereitwillig Auskünfte über ihre Gesinnung. Ohne Propaganda-Schleier redet einer von ihnen Klartext: „Die JN ist so was wie die HJ nur in neu“, „die Juden haben vor dem Krieg für die Deutschen gearbeitet uns sind dann nach Amerika und England“ und „den Holocaust hat es nämlich gar nicht gegeben“. Derzeit ginge es in Deutschland ungerecht zu: „Wenn ein Neger 10 Frauen vergewaltigt kommt er frei“ und „deutsche Arbeiterinnen bekommen weniger Geld als türkische“. Er sieht seine Bewegung aber auch kritisch, schlimm findet er „die Pubertierenden, die mit ner Bomberjacke rumlaufen, und nicht wissen wofür die steht“, man müsse sich schon „auskennen mit der Geschichte und so“. Auf die Nachfrage, warum die Nazis ausgerechnet am 1. Mai demonstrieren, antwortet er: „Dass der erste Mai ein linkes Fest ist, wusste ich nicht, aber man kann ja nicht alles wissen.“. Ja, gegen den Kapitalismus wäre er, doch entschuldigend fügt er hinzu: „Die Termine der Demos erfahre ich vorher, aber die Themen, weiß ich dann erst vor Ort“. Schade findet er, dass die Demonstranten „hier ja keine richtigen rechten Lieder spielen dürfen“. Am Ende führt er äußerst beruhigend aus, dass wenn die Rechte an der Macht ist „auch Meinungsfreiheit herrscht, aber nicht so krass“. Meine Zweifel wischt er lapidar hinweg: „wenn Du länger dabei bist, verstehst Du das alles“.
Langsam laufe ich den Weg zurück zu meinem an der B1 abgestellten Auto, an einer Tankstelle lassen sich Rechte, Passanten und Polizei von einem indisch aussehendem Menschen bedienen, kleinere Gruppen der Antifa laufen neben irritiert wirkenden Joggerinnen durch den Ostfriedhof und ein einsamer „1.Mai“ Ballon der Rechten hängt in einem Baum. Die überall herumstehenden Polizisten fallen schon gar nicht mehr auf.
Quelle: www.pottkinder.de - dort gibt es auch Fotos und Kommentare zum Artikel