Das Leben am Automaten verzockt
Wie gewonnen, so zerronnen. Das "zerronnene" Sümmchen beläuft sich immerhin auf 27 Millionen Euro im Jahr. 27 Mio., die von Spielern in Dortmund verzockt werden. Und ihr Gewinn.
"Süchtige Spieler gewinnen üblicherweise nicht, weil sie das Geld sofort wieder reinvestieren", klärt Jürgen Güttel auf. Der Diplom-Psychologe in der Caritas-Suchtberatung weiß aus seiner früheren Arbeit in Herne: Ein Spielsüchtiger aus seiner Gruppen-Therapie hatte sich mit 200.000 Euro in der Schuldenfalle verfangen.
Stadt verdient mit
In wenigen Tagen startet das Hilfsangebot für süchtige Glücksspieler auch in Dortmund: Die Caritas erweitert ihre offene Sprechstunde von derzeit zweieinhalb auf dann viereinhalb Stunden. "Wir wollen so schnell wie möglich eine Gruppe anbieten und Therapie in Form einer ambulanten Rehabilitation, die von den Rentenversicherungsträgern bezahlt wird. Dazu Einzelgespräche mit Bezugstherapeuten", fasst Norbert Quinting zusammen. Der Dipl.-Sozialpädagoge leitet die Caritas-Suchtberatung.
Wie überfällig das bislang fehlende Angebot für Dortmund ist, belegen Zahlen: Nach bundesweiten Erhebungen des Arbeitskreises gegen Spielsucht in Unna ist Dortmund überdurchschnittlich mit Glücksspielangeboten belastet. Nur neun Kommunen (über 100.000 Einwohner) in Nordrhein-Westfalen verfügen über mehr Geldspielgeräte in Spielhallen und Gaststätten " bezogen auf die Einwohnerzahl. Ohne die Automaten im Spielcasino finden sich in der Stadt 2.166 Geräte in Spielhallen und Gaststätten (Zahl stammt aus dem Jahr 2002).
Die Stadt verdient nicht schlecht daran: Auf über 4 Millionen Euro belief sich 2001 die Vergnügungssteuer aus diesen Geldspielgeräten, weitere 11,7 Mio. Euro sprudelten aus dem Casino (2004).
Auf ca. 5.000 wird die Zahl der behandlungsbedürftigen, pathologischen Glücksspieler in Dortmund geschätzt. Der "typische Spieler" ist männlich, um die 30 und ist abhängig vom Automatenspiel (94 %). Auf jeden Süchtigen kommen zwei bis 5 Betroffene aus dem familiären bzw. sozialen Umfeld. Die Caritas-Beratung will sie mit einbeziehen.
Beziehungsersatz
Folgen von Spielsucht können verheerend sein: Trennung, Jobverlust, Privat-Insolvenz, Abrutschen in die Kriminalität bis hin zum Suizid. Nicht jeder, der mal Geld in einen Automaten wirft, wird süchtig: "Es gibt eine gewisse Anfälligkeit, psycho-soziale Hintergründe", so die beiden Experten. Der Geldautomat sei als Beziehungsersatz zu sehen. - Ulrike Böhm-Heffels
Näheres unter Tel. 1848145
Quelle: RN vom 21. November 2005