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Davon kann kein Kind leben - Gericht gab Dortmunder Familie Recht

Diese Familie gibt nicht nur den rund 20.000 Hartz IV Familien in Dortmund neue Hoffnung. Katrin K. weiß, dass man kein Baby für 8 Euro im Monat wickeln kann und dass 1,02 Euro am Tag, um ein Kind zu ernähren ein Witz sind. Mit ihrem Mann Joachim ging sie zum Anwalt und wehrte sich gegen die mangelnde Unterstützung für Kinder.

Und endlich, nachdem das Sozialgericht die Klage abwies und das Landessozialgericht keine Entscheidung traf, gab das Bundessozialgericht Familie K. endlich Recht. Das Urteil: Hartz IV ist für Kinder verfassungwidrig. 211 Euro, von denen arbeitslose Eltern ihr Kind aufziehen, ernähren, kleiden und versorgen sollen, verstoßen gegen den Gleichheitsgrundsatz. Bildung, Kultur und Freizeit bleiben dehalb heute für rund 30.000 Dortmunder Kinder und Jungendliche auf der Strecke.

Noch wird jeden Monat jedem Kind bis 13 Jahren, welches von Sozialleistungen lebt, ein pauschaler Betrag zugestanden. Dies sind 211 Euro im Monat - egal ob zweijährig oder zwölf - Kinder bekommen 40 Prozent weniger, als Erwachsene. Dieser Bedarf sei willkürlich festgelegt, urteilten die Richter. Ob ihnen auch die Kollegen des Verfassungsgerichtes zustimmen, wird abschließend im März geklärt.

Doch was bedeutet Armut für Kinder und wieviel brauchen sie zum Leben? Der Stadt-Anzeiger sprach mit jungen Müttern, die sich eine gesicherte Zukunft für ihre Kinder wünschen.

Eine Witwe erzählt, wie schwer es ist mit ihrem Sohn, der einen Ausbildungsplatz sucht, von Hartz IV zu leben. Helfer vom Arbeitslosenzentrum, Sozialforum und Akoplan berichten von ihrem täglichen Kampf mit dem unübersichtlichen Formular-Dschungel von Hartz IV.

Man muss jeden Cent 10-mal umdrehen

Mütter: Allein Windeln kosten 30 Euro jeden Monat und Kinder wachsen bis zu vier Größen pro Jahr

"Ich kann mit meiner Tochter nicht nach Wischlingen schwimmen gehen und das Überraschungs-Ei an der Kasse ist auch nicht drin", sagt Bianca G. offen. Für ihre kleine Tochter Amira erhält sie 211 Euro Hartz IV im Monat, das Kindergeld wird ihr davon abgezogen.

"Es reicht hinten und vorne nicht", sagt die Alleinerziehende, "klar, dass es hier so wenig Kinder gibt." Liebevoll kümmert sie sich um ihre Tochter, die in zwei Monaten 2 wird. Spielen die beiden, ist Mutter Bianca abgelenkt vom Konto, das in den Miesen steckt. Der Sorge, dass sie nicht arbeiten kann, weil sie niemanden hat, der auf Amira aufpasst.

"Baby-Gläschen, das kann sich keiner leisten", sagt sie, nachdem sie kostenlos beim Krabbeltreff des Kinderschutzbundes gegessen hat.

"Ich komme auch wegen des Essens", gibt Nicole A. offen zu. Ihr Mann verlor den Arbeitsplatz, sie hat einen Job und versucht sparsam über die runden zu kommen. "Sakuras Hose habe ich für 2 Euro gefunden, neu kostet die 30", erzählt sie. Auch, dass man zwar viel Nudeln und Kartoffeln kochen kann, aber an Windeln sparen, ginge nicht. 30 bis 40 Euro gehen so für Windeln drauf, jeden Monat. Einmal pro Woche kommt Fleisch auf den Tisch. Von 211 Euro im Monat kann man kein Kind aufziehen, sind sich die Mütter einig. Vier Größen wuchsen ihre Kinder in einem Jahr. Wachsen ist schön, aber auch teuer.

Und wieder bleibt zuviel Monat übrig

49 Cent müssen fürs Kinderfrühstück reichen

"Die meisten Kinder leben in Dortmund dort, wo die schlechtesten Wohnungen und die höchste Arbeitslosigkeit ist", zitiert Gisela Tripp, Leiterin des Arbeitslosenzentrums den zweiten Armutsbericht.

Viele Familien seien überfordert von den hochkomplizierten, sich ständig ändernden SGB-II-Regelungen und zermürbt davon, permanent zum Amt zu gehen, weiß sie aus der täglichen Arbeit. Dringend müsste etwas in den besonders betroffenen Vierteln pasieren. "Materielle Entbehrungen grenzen Kinder aus, isolieren sie und führen zu Lernbarrieren und Fehlernährung", nennt Gisala Tripp Folgen niedriger Kinder-Regelsätze.

"Kinder bekommen mit Hartz IV täglich nur 2,60 Euro für Lebensmittel. Zieht man die Getränke ab, bekommt man dafür Nahrungsmittel mit gerade mal 1000 Kalorien. Doch laut einer Studie des Instituts für Ernährung brauchen 7- bis 9-Jährige schon 2000 Kalorien täglich", rechnet Christel Wieloth im Arbeitslosenzentrum vor. Mit der Preissteigerung wären knapp 5 Euro angemessen. Denn heute hat ein 12-jähriger Junge laut Hartz-IV-Liste den gleichen Bedarf wie ein Säguling. Auch wenn er zehnmal so viel wiegt.

Wie schaffen es Eltern ihren Teenies ein gesundes Frühstück für 49 Cent und ein Abendessen für 98 Cent zuzubereiten? Christel Wieloths Meinung nach gar nicht. Es sei denn, sie knapsen an jedem Ende. "Jede Position ist zu knapp bemessen", übt Gisela Tripp Kritik, "und am Ende des Geldes ist noch viel Monat übrig", hört sie immer wieder von Familien.

"Für Kinder müsse eine eigener Warenkorb errechnet werden", fordert Heiko Holtgrave von Akoplan. "Es ist traurig was wir auf Stadtteilebene erleben", berichtet er. Für das Projekt "Soziale Stadt" nehme die Stadt selbst kaum eigenes Geld in die Hand. "Wir hören immer wieder, dass Familien auch bei der Jobcenter ARGE keinen festen Ansprechparner haben, so können sie schneller abgewickelt werden", meint Beatrice Apker vom Sozialforum. Es fordert mit Arbeitslosenzentrum und ver.di eine Regelsatzerhöhung von mindestens 500 Euro. Unverständlich sei ja auch, warum 14- bis 17-Jährige mit 281 € (80%) monatlich auskommen müssen, obwohl sie mehr essen als Ältere und wachsen. Und Maria D. weiß, was das heißt: "Versuchen sie mal Schuhe für 10 Euro zu kaufen."

Satz wird erhöht

Im Rahmen des Konjunkturpakets 2 ist geplant, einen neuen Regelsatz im SGB II einzuführen. Für Alg-II-Empfänger mit Kindern zwischen 6 und 13 Jahren wird ab Juli der Regelsatz von 60 auf 70 Prozent erhöht. So bekommen Kinder statt 211 € dann 246 €.Außerdem will der Bund jedem Kind eine einmalige Leistung von 100 € auszahlen - und zwar anrechnungsfrei. Das Geld stünde Alg-II-Familien in voller Höhe zur Verfügung.In NRW sind heute rund 132.000 Kinder bis zu 13 Jahren auf Sozialgeld angewiesen. In Dortmund waren 24.206 Kinder und Jugendliche im Januar auf die Hilfe der JobCenterARGE angewiesen.20.578 davon waren unter 15 und erhielten Sozialgeld. 3.628 junge Dortmunder zwischen 15 und 17 Jahren leben vom Arbeitslosengeld II.

Einfach abgehängt: Kinder in Armut

Jeder fünfte Dortmunder ist von Armut bedroht oder betroffen. 30 Prozent der Kinder unter 15 Jahren sind existenziell abhängig von Fürsorgeleistungen. 24.000 Kinder leben in sozialer Armut. Sie grenzt und schließt aus. Über das Elend des Kinderregelsatzes und die Frage "Was sind Kinder dem Sozialstaat wert" lädt das ALZ zum Vortragsabend mit Diskussion am 11. März um 19 Uhr ins Reinoldinum am Schwanenwall ein. Prof. Helga Spindler spicht darüber, ob der Kinderregelsatz reicht, um Kinder gesund zu ernähren und aufzuziehen und berichtet von Kampagnen gegen Kinderarmut.


Quelle: Stadt-Anzeiger vom 18.02.09

 

 

 

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