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"Dr. Müde" verließ das Krankenbett

Wieder wehten die blau-gelben Fahnen der Schweden durch Dortmund. Passanten schauten aber nicht in lachende Gesichter, sondern in müde. "Dr. Müde" zog durch die Stadt, und fast 150 Mediziner zogen mit. Die Ärzte des Klinikums trugen ihren Protest gegen die Arbeitsbedingungen in die Öffentlichkeit.

Ihr Protest richtet sich gegen Marathon-Dienste von 30 Stunden oder mehr, gegen arztfremde Tätigkeiten, gegen Kurzzeitverträge, die Ärzte zwingen, unerträgliche Arbeitsbedingungen wehrlos zu erdulden. Sie demonstrieren für eine angemessene Vergütung der ärztlichen Arbeit und für ein faires Grundgehalt. Schweden erscheint da nur als eine von mehreren europäischen Alternativen, in denen Ärzten der rote Teppich ausgelegt wird.

Den roten WM-Teppich ließen sie links liegen auf ihrem Zug vom Klinikum Mitte über Hansaplatz, Katharinentor, Hauptbahnhof und zurück: "Mehr Zeit für unsere Patienten - bessere Arbeitsbedingungen", "Ärztefinale 0:2 für England", "Ärzte im Überstundenfinale" - dies ist nur ein Auszug aus der plakativen Vielfalt des Protestes. "Man kann mal ein halbes Jahr so arbeiten. Ewig am Anschlag, aber doch nicht Jahre oder gar Jahrzehnte", stöhnt Hermann Kamleiter, Radiologe aus der Strahlenklinik. In seiner Freizeit protestierte er gestern Vormittag, gemeinsam mit Oberärzten, Stations- und Assistenzärzten aus fast allen Bereichen des Klinikums. Auch Kollegen der Westfälischen Klinik in Aplerbeck zogen mit durch die Stadt.

Die Medizinmänner und -frauen wissen noch die Solidarität der Patienten auf ihrer Seite: "Wir wurden schon gefragt, warum wir keine Unterschriftenlisten auslegen", berichtete eine Ärztin.

Nichts von dem ganztägigen Streik bemerkt haben dürften gestern Tumorpatienten oder Kinder, bei denen eine Operation anstand. Auch der Kreißsaal, die Intensivstationen und die Notfall-Ambulanzen waren durchweg normal besetzt.

"Hier sind viele Leute dabei, die haben 24 Stunden Dienst hinter sich. Keiner von uns redet von Prozenten, uns geht's um die Arbeitsbedingungen", fasst Hermann Kamleiter zusammen.

Es stinkt den Ärzten, dass noch immer nicht die Europäische Arbeitszeitrichtlinie umgesetzt wird. Danach ist Bereitschaftsdienst Arbeitszeit, "die aber nicht als Arbeitszeit bezahlt wird", beklagen sie sich. In kürzester Zeit müsste immer mehr erledigt werden: "Die Fallzahlen steigen seit Jahren, die Liegezeiten sind permanent rückläufig", beklagen die Mediziner ihre Arbeitsdichte.

"Dr. Billig" will nicht mehr

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Einen nackten Mann packt bekanntlich niemand in die Tasche. Auch Ärzte wissen, dass die wirtschaftliche Lage der kommunalen Krankenhäuser dramatisch ist. Über 40 Prozent dieser Kliniken in Deutschland schreiben rote Zahlen.

Nur eine finanziell bessere Ausstattung der Krankenhäuser könnte auch in Zukunft einen leistungsstarken Gesundheitsdienst gewähren, glauben die Mediziner: "Hochwertige Forschung und Lehre kann unter den derzeit gültigen Arbeitsbedingungen nicht betrieben werden."

Die Ärzte des Klinikums kennen das Flugblatt der VKA. Dahinter steckt die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, die Patienten aus ihrer Sicht aufklärt. Viele Punkte des Flugblattes bleiben nicht unwidersprochen bei den Ärzten.

VKA: Die Arbeitszeit an kommunalen Krankenhäusern beträgt 38,5 bzw. 40 Stunden im Tarifgebiet Ost.

Mediziner beim gestrigen Protestzug hielten dagegen, wenn sie in Wirklichkeit nur 42 Stunden betragen würde, würde niemand von ihnen auf die Straße gehen.

VKA: Überstunden an kommunalen Krankenhäusern werden entweder in Freizeit ausgeglichen oder mit Überstundenzuschlägen bezahlt.

Nach Auskunft von Ärzten (an beiden Klinikstandorten des Klinikums), die 60 Überstunden und mehr im Monat angehäuft haben, werden die Stunden erst nach Ablauf eines Jahres bezahlt und nur bei Nachweis der Notwendigkeit.

VKA: Berufsanfänger verdienen nach dem Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD) 3200 Euro brutto monatlich inclusive Jahressonderzahlung.

"Sie verdienen exakt 3060 Euro. Das Weihnachtsgeld wird ab kommenden Jahr auf 60 Prozent gekürzt", widerspricht eine Ärztin aus der Anästhesie.

Bei den Arbeitszeiten beruft sich der VKA auf den Mikrozensus, einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes: Danach kommen alle Ärzte zusammengenommen auf 46,1 Stunden einschließlich Bereitschaftsdienst.

In der nächsten Woche wird es nach Auskunft der Gewerkschaft verdi auch "Aktionen" beim Pflegepersonal geben. Die Angestellten verlangen Nachbesserungen beim TVöD. - bö

Quelle: Ruhr Nachrichten vom 06. Juli 2006


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