Ein Jahr Hartz IV - und Martin Pausch kämpft immer noch
Vor einem Jahr bekamen Millionen Arbeitslose zum ersten Mal Arbeitslosengeld II. Ein Jubiläum etwas anderer Art feiert der Dortmunder Martin Pausch. Zum 75. Mal organisiert er die "Montagsdemo" gegen Hartz IV und Sozialabbau.
Inzwischen kommen wieder mehr. "Beim letzten Mal so hundert bis zweihundert Leute", erzählt Martin Pausch. Zweihundert Menschen, die gegen Hartz IV auf die Straße gehen - im Januar 2006, ein Jahr nach der Einführung. "Das sind natürlich nicht mehr so viele wie damals, aber immerhin." Damals, das war im Sommer 2004. Die wohl aufregendste Zeit im Leben des 41-Jährigen. Denn Martin Pausch war es, der vor anderthalb Jahren zur Polizei ging und die erste "Montagsdemo" in Dortmund gegen Sozialabbau anmeldete - "und da war's mit der Ruhe vorbei."
Plötzlich war Pausch eine lokale Berühmtheit. Der schmächtige Mann mit den Wuschelhaaren stand in allen Zeitungen, gab Radio- und Fernsehinterviews. Doch der erste Rummel legte sich schnell. Schon ein halbes Jahr später, als Hartz IV dann tatsächlich kam, war die wöchentliche Demo auf ein paar hundert Teilnehmer geschrumpft. Martin Pausch machte trotzdem weiter, bis heute. Woche für Woche organisiert er die Veranstaltung an der Reinoldikirche, er pflegt die Internetseite der Hartz IV-Gegner und berät Betroffene. "Ich spüre Hartz IV am eigenen Leib. Ich mach weiter, und wenn ich der einzige bin, der hingeht."
Gabelstapler-Kurs in Dortmund-Oespel
Seit April 2004 ist Pausch arbeitslos. 18 Jahre lang war er vorher bei einer Firma für Medizintechnik angestellt. Der Betrieb ging pleite und seitdem ist Pausch auf Jobsuche. "Mit Hartz IV ist das nicht leichter geworden", sagt er. Von der "Arge", dem Dortmunder Jobcenter, habe er kein einziges Stellenangebot bekommen. "Nur eine Weiterbildung zum Gabelstapler-Fahrer in Dortmund-Oespel." Pausch ging ein paar Mal zu den Seminarstunden, aber die Fahrt dorthin war so teuer, dass er beschloss, die Prüfung einige Wochen vorzuziehen, "um das Fahrgeld zu sparen". Bestanden hat er trotzdem. Jetzt hat er den Schein - und ist seitdem nie wieder Gabelstapler gefahren.
"Nur noch das Allernötigste"
Von 311 Euro muss er im Monat leben, rechnet Pausch vor, "und wenn alle Fixkosten abgezogen sind, bleiben 4 Euro 20 pro Tag." Seine Hausrat- und die Haftpflichtversicherung hat er längst gekündigt, "jetzt geht nur noch das Allernötigste." Aber eigentlich sei das Geld gar nicht das größte Problem. "Schlimmer ist, dass man permanent kontrolliert wird." Bevor er die Stadt verlässt, muss er sich beim Jobcenter abmelden - "auch wenn ich nur für zwei Tage den Sohn meiner Freundin besuche." Wie im Überwachungsstaat sei das. Außerdem überprüft das Amt regelmäßig sein Konto - "wenn da mehr als 50 Euro auf einmal überwiesen werden, ziehen sie dir das Geld vom ALG II ab."
"Zwangsumzug": weniger Platz, mehr Miete
Und dann der "Zwangsumzug", wie Martin Pausch es nennt. Im Sommer ist er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin - ebenfalls Hartz IV- Empfängerin - nach Dortmund-Rahm umgezogen. Seine alte Wohnung in Werl war mit über 100 Quadratmetern zu groß, so die Arbeitsagentur. Jetzt leben die beiden auf 63 Quadratmetern. "Aber die Miete ist höher als in unserer alten Wohnung. Das ist doch verrückt!"
Alles, was er und seine Mit-Demonstranten vorausgesagt hätten, sei eingetroffen, davon ist Pausch überzeugt: "Hartz IV ist teurer als erwartet. Hartz IV hat keine Arbeitsplätze geschaffen, sondern vernichtet." Dabei würde Martin Pausch alles machen. "Lagerarbeiten, Hilfsjobs, egal." Auch die Idee, Arbeitslose als Erntehelfer einzusetzen, findet er nicht schlecht. "Ich würde das machen. Ich will endlich wieder kaputt nach Hause kommen." Hauptsache weg von Hartz IV. Ein Ein-Euro-Minijob kommt darum für Pausch nicht in Frage: "Da bleibt man doch abhängig."
Spenden aus der Wirtschaft
Über zu wenig Beschäftigung kann er sich trotz Arbeitslosigkeit nicht beschweren. Denn neben den Demos in der Dortmunder City pflegt Pausch die Website "Montagsdemo Dortmund". "Letzte Woche hatten wir mehr als 500 Klicks!" Auf der Seite tauschen sich Anti-Hartz-IV-Aktivisten aus. Für Betroffene gibt es Rat und Hilfe. "Wir arbeiten mit einem Anwalt zusammen, der die Leute kostenlos berät." Finanziert wird die Homepage von Spenden aus der Dortmunder Wirtschaft, sagt Martin Pausch, und seine Stimme klingt stolz dabei. "Gerade die, die noch Arbeit haben, unterstützen uns sehr." Dieser Kontakt sei wichtig, denn sonst verliere er als Hartz IV-Empfänger komplett den Bezug zur "normalen" Gesellschaft. "Einfach mal raus und mit Bekannten ein Bier trinken gehen, das sitzt halt nicht mehr drin." Eine Fahrkarte in die Innenstadt leisten sich Martin Pausch und seine Freundin nur noch einmal in der Woche. Montags, zum Demonstrieren.
Von Silke Wortel
Quelle: www.wdr.de vom 04.01.2006