Eltern verzweifeln am "braunen Sumpf"
Sohn ist in der Neonazi-Szene aktiv - keine Hilfsangebote. Eine Mischung aus Sorge, Angst und Hilflosigkeit. Eltern, die gegen Windmühlen kämpfen. Es ist ein verzweifelter Kampf um ihren 16-jährigen Sohn. Er versinkt im "braunen Sumpf" - und ist sogar stolz darauf.
Der Junge aus dem Dortmunder Süden ist gerade 16 Jahre alt geworden. Vor anderthalb Jahren fing der Spuk an. „Er hat Mist gebaut und ist von der Schule geflogen”, erinnert sich die Mutter. „Die anderen Eltern wollten nicht, dass sich ihre Kinder noch länger mit Martin (Name geändert) treffen.” Schon damals war rechtes Gedankengut ein Anlass für den Rauswurf. Der 14-Jährige ist isoliert. Über das Internet suchte er sich neue Freunde. Rechte Freunde. Solche, die ihn verstehen und akzeptieren. Bei den autonomen Nationalisten wurde er fündig. „Du kannst ja bei uns mitmachen”, empfing ihn Dennis - Kopf der Autonomen Nationalisten und Organisator der heimischen Neonazi-Aufmärsche.
Eltern sind ein rotes Tuch
Seitdem geht er zu Flugblattverteilaktionen, Stammtischen und Demos. Zu Hause gibt's nur noch Streit: Sein Vater ist für Martin ein rotes Tuch, weil dieser sich selbst links von der SPD einordnet. Seine Mutter nimmt er politisch gar nicht ernst. Dauerstress: Denn die Eltern sehen nicht weg. Sie wollen nicht akzeptieren, dass ihr Sohn ganz in der Neonazi-Szene untergehen könnte. „Letztens ist er mit Linken aneinander geraten. Jetzt hat er ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung und Nötigung am Hals”, berichtet die Mutter. „Doch er will nicht aussagen, obwohl die Vorwürfe gegen ihn nicht stimmen sollen.”
"Das ist sein persönlicher Führer”
Die Eltern glauben, dass ihr Sohn damit seinen neuen Freunden imponieren will: „Dennis findet er total klasse. Das ist sein persönlicher Führer”, berichten die besorgten Eltern. Der Mitzwanziger ist bei der Polizei vielfach aktenkundig. Dennoch nimmt Martin ihn in Schutz: Er sei doch nicht gewalttätig - auch wenn die Strafakte eine andere Sprache spricht. Und mitmachen müsse man „bei sowas” nicht, beschwichtigt er.
"In der Schule soll es nicht bekannt werden"
Martin ist schlagfertig, gibt Kontra. Den Holocaust leugnet der 16-Jährige nicht. „Er findet es eher noch gut. Die Juden sind ja selbst schuld, was ihnen passiert ist”, bekommen die Eltern zu hören. „Wir haben damals ja nicht gelebt”, fertigt er seine Eltern ab. Sie machten das ohnehin „anders” als die Nazis von damals - „besser”.
"Exit" wollte nicht helfen
In seiner neuen Schule würde er diese Töne nie anschlagen. „Er will nicht, dass das dort bekannt wird”, weiß seine Mutter: „Er lebt zwei Leben” - das in der Schule und das bei seinen Neonazi-Kumpanen. Bei „EXIT”, einer Hilfsorganisation für Aussteiger aus der Neonazi-Szene, fanden die Eltern keine Hilfe. „Er will ja nicht aussteigen. Daher ruft Exit uns nicht mal mehr zurück.” Die Eltern fühlen sich alleingelassen. „Es ist ja ein Tabu-Thema. Mit Freunden oder Nachbarn spricht man nicht darüber.”
Der "Mythos Borussenfront" lebt weiter
Das Fanprojekt will Martins Eltern vernetzen. Betroffene können sich beim Fanprojekt melden, so Rolf-Arnd Marewski und Thilo Danielsmeyer: 0231-721 42 92.
Rechtsextremismus wird für das Fanprojekt wieder verstärkt ein Thema: „Wir stellen fest, dass 14 bis 18-jährige Jungs von organisierten Gruppen angesprochen werden, um sie in deren Kreise zu ziehen”, weiß Marewski. Seit den 80er-Jahren war die „Borussenfront” mit ihrer Gallionsfigur Siegfried „SS-Siggi” Borchardt für Randale zuständig. „Die Borussenfront ist aber heute nicht viel mehr als ein Mythos”, so Marewski. „Sie treffen sich noch ein Mal im Jahr an Karfreitag, um sich abzuschießen.”
Doch der "Mythos" lebt: So versuchen Jugendliche der „Nationalen Front Eving”, das Erbe anzutreten. darunter sind auch Söhne der Schläger von einst”, berichtet Marewski. „Auch sie haben schon Stadionverbot.” Europaweit sind Hooligans und so genannte „Ultras”, fanatische Fans, ein Problem, das zunehmend in untere Ligen verlagert wird.
Quelle: WR vom 27.11.08