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Wieder mehr Erwerbslose in Dortmund

Auch die Arbeitsmarktenwicklung im Juli beweist mal wieder, dass Hartz IV keine Arbeitsplätze schafft. Berichte aus der WAZ.

Nach der erfolgreichen Ausbildung wartet die Arbeitslosigkeit

Die Negativ-Schallmauer ist wieder durchstoßen: Ende Juli sind in Dortmund mehr als 50 000 Menschen ohne Beschäftigung. Die Arbeitslosenquote sprang in nur einem Monat um 0,2 Prozentpunkte auf 18,3 Prozent hoch. 50 488. Statt 49 882. Nach der leichten Beruhigung zur Jahresmitte geht die Tendenz auf dem Arbeitsmarkt derzeit wieder in die falsche Richtung. Allerdings: Von Juni auf Juli 2004 nahm die Arbeitslosigkeit noch deutlicher zu - allerdings auf vergleichsweise etwas geringerem Niveau.

Die Gründe: in beiden Jahren dieselben, wie Christiane Claes, stellvertretende Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit, weiß: Die Ferienzeit schlägt durch. Was die Agentur hoffen lässt, dass in den nächsten Monaten die Arbeitslosigkeit wieder ein wenig zurückgeht, weil Betriebe wieder mehr einstellen.

Was Claes jedoch nach eigenem Bekunden "Sorge bereitet": dass viele unmittelbar nach einer erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung in die Arbeitslosigkeit fallen. Seit Anfang des Jahres meldeten sich 4662 junge Männer und Frauen nach der Lehre arbeitslos, allein im Juli waren es über 1000 Jugendliche. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich der Trend, dass immer weniger Betriebe ihre Auszubildenden auch übernehmen, verstärkt.

In diesem Zusammenhang gibt es auch die fatale Entwicklung, dass die Jugendarbeitslosigkeit - unter jugendlich im Sinne der Statistik fallen alle Arbeitslosen unter 25 Jahren - wieder deutlich zugenommen hat (5520 Personen), obwohl sich gerade auf diesen Personenkreis die besonderen Vermittlungsbemühungen der Dortmunder Agentur für Arbeit konzentrieren.

Zwei Zahlen zeigen jedoch, dass sich auf dem Arbeitsmarkt auch ein paar Indikatoren positiv entwickelt haben: Im Vergleich zum Vorjahr wurden in den ersten sieben Monaten dieses Jahres über 5000 offenen Stellen mehr von den Arbeitgebern gemeldet. Und es konnten im gleichen Zeitraum etwa 600 Personen mehr als im Vorjahreszeitraum in Arbeit vermittelt werden. JAL

1803 warten auf eine Chance

Der Satz klingt nicht dramatisch. Ist aber vor dem Hintergrund der gepflegten Zurückhaltung der Dortmunder Agentur für Arbeit schon bemerkenswert: "Wir haben ein dringendes Problem." Noch präziser: fast 2000 Jugendliche. Es gibt viel zu wenig Lehrstellen.

Für Petra Neu, neue Geschäftsführerin Operativ der Agentur, war es gestern eine besondere Premiere: So schlecht die Zahlen vom Ausbildungsmarkt in den letzten Jahren auch immer waren - so schlechte Zahlen wie gestern musste die Agentur noch nie verkünden. Wenige Tage vor dem Start des Ausbildungsjahres in den meisten Betrieben (1. August) suchen noch 1803 Jugendliche eine Lehrstelle - die überragende Mehrzahl von ihnen ohne jegliche Chance, in den nächsten Wochen etwas anderes zu finden als: ein Plätzchen in einer Warteschleife. Schule, Lehrgänge, berufsvorbereitende Maßnahmen. Denn: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stehen in der Statistik der Agentur nur noch 399 nicht besetzte Ausbildungsstellen. Die rechnerische Schere zwischen Angebot und Nachfrage klafft weiter ausein-ander als je zuvor: Die Lücke beträgt dieses Jahr 1400 Stellen, 2004 waren es "nur" 1000.

Doch Petra Neu hatte nicht nur diese Zahlen, sondern auch eine weitere Botschaft im Köcher: Es seien eben nicht nur jene Jugendliche, die entweder keinen oder einen schlechten Schulabschluss haben, die keine Chance hätten - es seien auch zunehmend Jugendliche, die a) motiviert seien, b) gute Schulnoten hätten und c) mobil seien, die dennoch in die Röhre schauten. Wie bislang auch Svenia Ashauer und Dietrich Schnar.

Svenia ist 16, Fachoberschulreife mit einem Schnitt von 1,6. Wollte Reise- oder Bürokauffrau werden, hat sich auf Stellen bis nach Köln beworben. Nichts. Nur den Hinweis, "ich fiele ja mit 16 noch unters Jugendschutzgesetz..." Und Dietrich: 20 Jahre, Fachabitur, wollte was im elektrotechnischen Bereich machen - und wird wohl studieren, wenn nicht noch ein Lehrstellenwunder passiert. Was beide übereinstimmend berichten: Nur in den seltensten Fällen reagierten Betriebe auf Bewerbungen, korrekte Absagen oder zurückgeschickte Bewerbungsunterlagen seien selten.

Und genau an dieser Stelle wurde Petra Neu dann richtig deutlich: Erstens sei es erschreckend, dass auch Jugendliche mit guten Noten immer geringere Chancen hätten - "es fehlt einfach an Stellen". Und es sei ein "Skandal", wenn Bewerber von den Betrieben keine Antwort bekämen. "Die Gesellschaft nimmt die jungen Menschen nicht richtig ernst."

Melissa Loch, 16, Fachoberschulreife mit 1,9, hat eine Lehrstelle. Seit Mittwochabend. "Ich finde das total blöd, dass einige immer wieder verkünden, jeder, der eine Lehrstelle will und gut ist, kriegt auch eine." Sie hat 40 Bewerbungen geschrieben. Und lernt jetzt Friseuse. JAL

Die Zukunft fällt aus

Entschuldigungen und Vorwürfe sind ganz leicht zu finden. Etwa: die schlechte Konjunktur. Oder: die hohen Kosten. Und noch beliebter: die Unfähigkeit der Bewerber. Unternehmer, Meister und ihre Lobbyisten - in erster Linie in den Kammern - sind zumindest in einem einfallsreich: in Ausreden. In Ausreden, warum man keine Lehrstellen mehr anbietet.

Und selbst wenn es stimmen sollte, dass sich das Duale System längst überholt hat; und selbst wenn es stimmen sollte, dass jeder neue Bewerberjahrgang das deutsche Bildungsdefizit manifestiert: Dieser Staat kann und darf es sich nicht leisten, eine von Jahr zu Jahr wachsende Zahl von jungen Menschen mit den Etiketten "unbrauchbar", "überflüssig" und "perspektivlos" zu versehen. Und Staat meint: wir.

Eigentum verpflichtet. Steht im Grundgesetz - und keinen interessiert´s. Man möchte ergänzen: Unternehmertum verpflichtet auch - aber keiner nimmt´s ernst.

Die nicht Ausgebildeten von heute sind die fehlenden Facharbeiter von morgen. Das sollte sogar ein Betriebsinhaber begreifen. Doch mehr noch: Wer keine Chance auf Arbeit bekommt, wer von den Fleischtöpfen des Lebens fern gehalten wird, bildet den Nährboden des Aufstandes gegen jene, die ihre Fleischtöpfe sichern.

Jugend verdient eine Chance. Aus sozialer Verantwortung heraus. Die Zeit der Ausreden muss vorbei sein. Oder: Es knallt in diesem Staat. Heißt: bei uns.

Von Jörg A. Linden

Quelle: WAZ vom 28.07.2005

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