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In den Stadien auffällig unauffällig

Die Neonazis rekrutieren ihren Nachwuchs auf den Tribünen der Fussball-Bundesliga. Zugeschlagen wird anderswo. Rechtsextremismus im deutschen Fussball wurde gerne auf eine Erscheinung im Osten des Landes reduziert – als Problem unterklassiger Klubs in maroden Stadien. Regen Zulauf verzeichnet aber ausgerechnet der Bundesliga-Leader Dortmund.

Am Freitag werden sie wieder auf der grössten Stehplatztribüne Europas stehen. So wie immer bei den Heimspielen von Borussia Dortmund, dem Tabellenführer der ersten Fussball-Bundesliga. Neonazis der neuen Generation, die sich selber Autonome Nationalisten nennen – eine Gruppierung, die der Verfassungsschutz in Deutschland als «äusserst gewaltbereit» einstuft und die für eine Zunahme von Straftaten aus dem rechtsextremen Spektrum verantwortlich ist. Ihre Zahl wird bundesweit auf 800 geschätzt, die Ruhrgebietsstadt Dortmund ist ihre Hochburg. Das grösste Problem für die Sicherheitsbehörden ist, dass diese jugendlichen Aktivisten nur schwer als Neonazis zu erkennen sind. Sie tragen schwarze Basecaps, Allwetterblousons und Turnschuhe. So wie die Ultras, die erlebnisorientierten, besonders radikalen Fussballfans, die beim BVB für eine einzigartige Stadionkulisse sorgen. Auf der Tribüne stehen die Ultras und die Neonazis Schulter an Schulter.

«Sieg Heil»

Rolf-Arnd Marewski kennt viele der zahlreichen Ultras, und er kennt die Neonazis unter ihnen. Der Sozialarbeiter leitet das Dortmunder Fanprojekt und schätzt, dass sich «bestimmt sechzig Rechte aus der ganzen Region» im Stadion unter die Ultras mischen. So wie jener Aussteiger aus der militanten Szene, der bis vor eineinhalb Jahren mit anderen Autonomen Nationalisten in Dortmund gelebt hat. An den Wochenenden sei man mit der Ultra-Gruppe Desperados ins Stadion gegangen. «Diese Gruppe ist nicht zwangsläufig rechts drauf, aber auf jeden Fall rechtsoffen.» Gemeinsam habe man mit den rechtsextremen BVB-Hooligans der Northside den Strassenkampf trainiert. Angeleitet von einem Kampfsportler, der zu dieser Zeit auch als Ordner im Stadion des BVB eingesetzt war. Bei den Kämpfen der Northside sei dieser jeweils in der ersten Reihe gestanden. Bei diesen sogenannten Matches in Wald und Wiese treffen 20 Mann auf 20 Mann eines anderen Klubs. Nach diesen Kämpfen schreien die Dortmunder bis heute «Sieg Heil, Sieg Heil, Sieg Heil» und recken die Arme zum Hitlergruss. Vorausgesetzt, die anderen liegen am Boden. Das ist ihr Siegritual.

Auch die Mitglieder der Northside stehen diesen Freitag auf der Tribüne, manche behaupten gar, Mitglied des Vereins zu sein. Etwa ein Landesvorsitzender der inzwischen verbotenen rechtsextremen Heimattreuen Deutschen Jugend, die sich in der Tradition der Hitlerjugend sieht. Im Stadion jedoch verhalten sie sich politisch weitgehend neutral und unauffällig.

Keine Straftaten, keine verfassungsfeindlichen Symbole, keine Neonazis, kein Problem. So sehen es die Polizei und der Klub. Der Bielefelder Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer kommt allerdings zu einem ganz anderen Urteil. Der Soziologe hat im Auftrag der Stadt Dortmund im vergangenen Jahr eine Studie über den Rechtsextremismus in Dortmund erstellt. «Selbst wenn die Neonazis im Stadion nicht offensichtlich agitieren, ist es für sie der ideale Ort, um neue Leute anzuwerben», sagt Heitmeyer. Er hält es für einen Fehler, die Neonazis beim BVB zu ignorieren; das erlaube ihnen, sich unbemerkt auszubreiten.

Fahrten zu KZ-Gedenkstätten

Auf Anfrage heisst es bei Borussia Dortmund, dass man von «solchen Umtrieben noch nichts bemerkt» habe. Grundsätzlich ist der Verein allerdings sensibilisiert für das Thema. So veranstaltet der BVB über das Fanprojekt regelmässig Fahrten mit jungen Ultras zu KZ-Gedenkstätten. Rolf-Arnd Marewski sagt, dass die Neonazis vor allem ausserhalb des Stadions ein Problem darstellten: «Das sind ganz junge, extrem gewaltbereite Leute, ihre rassistischen und antisemitischen Parolen skandieren sie meist auf den Fahrten zu den Auswärtsspielen.»

Wie zuletzt Ende September bei der Partie gegen den Aufsteiger St. Pauli in Hamburg. Dort überfielen zwei Dutzend Angreifer im Ultra-Dress die Fankneipe der St.-Pauli-Anhänger, das «Jolly Roger». «<Kommt doch raus, ihr Juden>, haben die uns zugebrüllt», berichtet ein Augenzeuge. Dann kam es zu einer Schlägerei, die von der herbeigeeilten Bereitschaftspolizei aufgelöst wurde. Erst einen Monat zuvor war es zu einem ähnlichen Überfall auf eine linke Szenekneipe in der Dortmunder Innenstadt gekommen. Die Angreifer trugen Sturmhauben und warfen Steine und Flaschen auf eine Gruppe Kneipenbesucher. Drei von ihnen wurden verletzt. Unter den Angreifern war auch Falk W., ein Hooligan und militanter Neonazi von Alemannia Aachen. Er sitzt nun wegen des Verdachts auf Vorbereitung von Sprengstoff-Straftaten in Untersuchungshaft.

Nicht nur in Ostdeutschland

Wenn in den vergangenen Jahren im deutschen Fussball die Rede von rechtsextremistischen Anhängern war, dann ging es stets um Ostdeutschland. Um Lokomotive Leipzig oder den Halleschen FC. Unterklassige Vereine, die in maroden Stadien spielen, in Gegenden, wo die Menschen eine rechtsextreme Partei wie die NPD für normal halten. «Im Stadion trifft man eben auch junge Leute, von denen man glaubt, die gehören zur nationalen Bewegung», erzählt der NPD-Sprecher Klaus Beier, der selber seit seiner Jugend Fussballanhänger ist. «Die spricht man dann an, die lädt man ein zur nächsten Veranstaltung.»

So geschehen im Oktober vor einem Heimspiel des Bundesligaklubs 1. FC Kaiserslautern, wo die NPD massiv Flugblätter verteilt hat. Beim FCK gibt es rechtsextreme Hooligans, die mit der Partei paktieren. Und in der modernen Münchener Allianz-Arena versammeln sich lokale Parteifunktionäre gemeinsam mit Autonomen Nationalisten und Mitgliedern von Rechtsrockbands im Fanblock des Traditionsvereins 1860 München zu einem ganzen Pulk prominenter Neonazis. Auch dort verhalten sie sich weitestgehend unauffällig. Aber gelegentlich passiert es dann doch, dann intonieren sie ihr «Sieg Heil in Weiss und Blau» und beschimpfen gegnerische Fans als Volksverräter.

Rechtsextreme im Schweizer Fussball

Die Szene der Rechtsextremisten im Schweizer Spitzenfussball hat sich in den letzten Jahren verändert. Noch in den 1990er Jahren traten im Umfeld von Nationalliga-A-Spielen Gruppierungen auf, die «Hier marschiert der nationale Widerstand» intonierten. Hans Stutz, Experte für Rechtsextremismus, hat damals auch Fahnen mit Hakenkreuz gesehen. «Rechtsextreme, und damit auch Neonazis, gibt es im hiesigen Fussball noch immer. Nur sind ihre Auftritte jetzt ohne politischen Anspruch», sagt er.

Gleiches beobachtet Thomas Gander: «Die Skinheads brauchen den Fussball nicht mehr als politische Plattform», sagt der Geschäftsführer von Fanarbeit Schweiz. Daran ändert offenbar auch der Umstand nichts, dass es etwa bei GC, YB oder dem FC Sion immer noch Fangruppen mit rechtsextremem Gedankengut gibt. «Doch heute gilt unter den Fans der Kodex, wonach die Kurve frei von Politik ist», sagt Gander. Dass die rechtsextreme Partei national orientierter Schweizer in der Fussballszene Mitglieder rekrutiere, halten beide Fachleute für unwahrscheinlich. «Die haben gar nicht die personelle Kapazität dafür», sagt etwa Stutz.

Quelle: NZZ vom 11.11.2010

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