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Kaltes Wasser, schlechtes Essen

Nach der Inhaftierung des 17-jährigen Marcos war es immer wieder zu hören: Im Vergleich zu der Türkei seien deutsche Gefängnisse reine Luxusherbergen. Davon kann im Lübecker Hof keine Rede sein...

In einem aus dem Knast geschmuggelten Brief an unsere Zeitung beschwert sich ein Insasse über Zustände: "Hier ist es wie im alten Rom!"

So müssten sich vier Häftlinge eine 18 Quadratmeter große Zelle teilen, das WC stehe mitten im Raum, an dem 20 Zentimeter breiten Waschbecken gebe es nur kaltes Wasser. "Dort müssen sich vier Personen waschen, ihre Zähne putzen, rasieren und das Geschirr abwaschen", schreibt der Häftling. Trotz sommerlicher Hitze könnten sich die Gefangenen nur zweimal in der Woche duschen.

Bei Regenwetter haben die Straftäter (die zum Teil noch nicht verurteilt sind und sich in Untersuchungshaft befinden) ein anderes Problem: Wenn sie einmal am Tag für eine Stunde ihre Zelle verlassen und nach draußen dürfen, werden sie "nass bis auf die Knochen". Im engen Innenhof gebe es nur für die Wachen Unterstellmöglichkeiten.

Um 5.30 Uhr müssen alle aufstehen, um 12 Uhr gibt es Mittag, bereits um 16 Uhr Abendessen. Über die schlechte Qualität des Essens könne man Bücher schreiben, heißt es in dem Brief ("Suppe schäumt wie Waschpulver!"). Justizmitarbeiter seien selten zu sprechen, fällten willkürliche Entscheidungen.

Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter sagte im Juni bei einem Besucher im Lübecker Hof: "Ich war beeindruckt von der Enge, die hier herrscht. Baulich ist das eine schwierige Anstalt ..." Leiterin Reina Blikslager - (Foto) widerspricht einigen Vorwürfen: Die Waschbecken seien viel breiter, in den Zellen für vier Männer wären Toilette und Waschbecken räumlich abgetrennt, anders als in den 48 Zweier-Zellen: Derzeit würden den Gefangenen dort "Schamwände" zur Verfügung gestellt, Umbauten seien aber schon geplant. Durch Baumaßnahmen, die in diesem Monat beginnen, sollen auch die Duschmöglichkeiten ausgeweitet werden.

"Die Angaben zur Qualität des Essens weise ich entschieden zurück, täglich nehmen der Amtsarzt und Bedienstete Kostproben - Beanstandungen ergaben sich bisher nicht." Willkür gebe es nicht, über Sprechanlagen seien die Mitarbeiter rund um die Uhr zu erreichen.

Mehr Gefangene als Haftplätze

Im über 100 Jahre alten "Lübecker Hof" sind derzeit 437 Gefangene untergebracht, dabei sind die 293 Zellen nur für 421 ausgelegt. Deutsche sind dort für max. 18, ausländische Gefangene für max. 48 Monate untergebracht. Im Vollzugs- und Werkdienst arbeiten 134 Justizmitarbeiter.

 

Arbeitslosigkeit im Knast problematisch

Regina Merkel (49) engagiert sich seit 1983 in der Gefangenen-Initiative Dortmund. RN-Redakteur Andreas Wegener sprach mit ihr.

Wie ist die Situation der Gefangenen im Lübecker Hof?

Merkel: - Es ist für mich etwas schwierig, mich zu den ganz konkreten, alltäglichen Schwierigkeiten der Gefangenen zu äußern, da ich selber die Erfahrung der Haft nicht gemacht habe.

Allerdings führen Sie viele Gespräche mit den Inhaftierten. Was für Klagen tauchen denn immer wieder auf?

Merkel: - Über das Essen beschweren sich fast alle. Ich finde das verständlich, denn Essen gehört zu den wenigen "Befriedigungen", die eine eingesperrte Person haben kann, und Großküchen können nicht den Geschmack aller zufrieden stellen. Ich vermute, dass die Mittel zur Beschaffung von Essen sehr knapp bemessen sind. Die Unsitte, Lebensmittel in den Hof zu werfen, zeugt vom Frust der Gefangenen.

Viele Probleme scheinen auch baulich bedingt zu sein.

Merkel: - Die JVA Dortmund ist ein Altbau, und die Zellen sind dementsprechend unmodern, auch die Gänge wirken düster und muffig. Durch die permanente Überbelegung ist es nicht möglich, jedem Gefangenen eine Einzelzelle zuzuweisen. Das ist eine sehr belastende Situation.

Die Gefangenen beklagen auch die mangelnden Kommunikationsmöglichkeiten...

Merkel: - Dass Gefangene oft sehr lange warten müssen, wenn sie die Gegensprechanlage betätigen, habe ich schon von vielen Betroffenen gehört. Viele sind tatsächlich meist 23 Stunden eingesperrt.

Arbeits- und Sportmöglichkeiten sind eingeschränkt...

Merkel: - Stimmt. Ich finde die Arbeitslosigkeit in der JVA problematisch und wundere mich, dass das niemand angesprochen hat. Sicher gibt es einzelne Gefangene, die nicht arbeiten wollen, aber meiner Erfahrung nach sind sie die Ausnahme. Die Alternative ist 23 Stunden Einschluss und nur ein geringes Taschengeld für den Einkauf. Von verschiedenen Gefangenen habe ich gehört, dass das Freizeitangebot nicht ausreichend ist, was die Situation von arbeitslosen Gefangenen sicher noch einmal verschärft.

Was müsste aus Ihrer Sicht dringend geändert werden?

Merkel: - Die Zahl der Inhaftierten müsste verringert werden. Wer suchtkrank ist oder nur Geldstrafen absitzt, gehört eigentlich nicht ins Gefängnis. Wünschenswert wären mehr Sozialarbeiter, die sich um kriminelle Jugendliche kümmern.

 

"Es ist viel schlimmer"

Anfang des Monats berichteten wir von einen geheimen Brief über schlechte Haftbedingungen im Dortmunder Gefängnis. Jetzt meldeten sich weitere Insassen: "Es ist alles noch viel schlimmer."

Die schlimmsten Vorwürfe - und was die Anstaltsleiterin Reina Blikslager dazu sagt.

1. Essen

Am Montag gibt es Brot für die ganze Woche, das ist am zweiten Tag schon trocken. Fast alle schmeißen es für die Tauben auf den Hof. Dazu gibt es ein Mini-Pöttchen Margarine und Marmelade, dass muss für die ganze Woche als Frühstück reichen. Und wer um 6 Uhr nicht an der Tür steht, um die Ration anzunehmen, bekommt gar nichts. Das Essen am Mittag schmeckt nach nichts, alles ist verkocht. Zweimal die Woche gibt es Suppe. Sie schäumt wie Waschpulver. Fast alle schütten sie in die Toilette, einmal in der Woche gibt es ein Bockwürstchen dazu, darauf freuen sich alle. Die meisten leben von dem, was Verwandte mitbringen. Zum Glück kann man zweimal im Monat einkaufen.

Blikslager: - Brot und Margarine werden täglich frisch ausgeteilt. Die Marmelade wird als Wochenration verteilt. Diese wird ausreichend zur Verfügung gestellt. Die Angaben zur Qualität des Mittagessens weise ich entschieden zurück. Es werden täglich Kostproben genommen.

2. Trinken

Morgens gibt es einen halben Liter Muckefuck, der nach dem undefinierbaren roten Gebräu vom Vorabend schmeckt. Das wird als "Tee" (1/2 Liter) bezeichnet. Für eine Woche bekommt man noch zwei Liter Milch, Mineralwasser gibt es nicht. Wer mehr trinken will, muss den Wasserkran nehmen.

Blikslager: - Zum Frühstück gibt es Kaffeeersatz, zum Abendessen Tee. Mineralwasser wird in der Tat nicht zur Verfügung gestellt.

3. Hygiene

Die hygienischen Zustände sind katastrophal. Die Waschbecken sind alt und rissig, die Kloschüsseln völlig eklig. Zur Reinigung gibt es einmal in der Woche ein Scheuerpulver, mit dem man auch das Geschirr säubern soll. Für eine Woche gibt es eine Rolle Klopapier, einen Einwegrasierer und zwei Unterhosen. In den Duschen bekommen viele Fußpilz.

Blikslager: - Die Gefangenen sind für die Reinigung der Toiletten und Waschbecken in den Hafträumen selbst verantwortlich. Reinigungsmittel werden ausreichend zur Verfügung gestellt. Wenn im Einzelfall eine Toilette "eklig" sein sollte, kann es nur daran liegen, dass der oder die Bewohner nicht geputzt haben. Toilettenpapier sowie Einwegrasierer werden nach Bedarf ausreichend zur Verfügung gestellt. Gefangene erkranken nicht öfter an Fußpilz als Menschen außerhalb des Vollzuges. - weg

Quelle: Ruhr Nachrichten vom 22.08.07

 

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