Kurzarbeit als Schuldenfalle
Immer mehr Dortmunder leben auf Pump. 14 Prozent – bundesweit: 9 Prozent – haben Schulden. In der Nordstadt 26 bis 28 Prozent.
Bald könnte dort jeder Dritte in den roten Zahlen stecken. Und es werden noch mehr, fürchtet Alexander Elbers, Dortmunds dienstältester Schuldnerberater. Nicht nur wegen der Krise. „Auch weil Verschuldung gesellschaftlich gewünscht ist.”
„Gehen Sie doch mal durch die Stadt, schauen Sie sich Zeitungsbeilagen an oder gucken Sie Fernsehen. Es soll doch munter konsumiert werden”, sagt Elbers. Die Hälfte seines Lebens berät der 51-Jährige Schuldner. Meist gleicht sich deren Ausgangslage: „Plötzlich ist kein Geld mehr da. Die Bank gibt nichts mehr. Das trifft die Leute wie ein Schlag. Das macht sie fertig.”
«Wer in die Beratung kommt, will raus aus den Schulden«
In dem Wort Schulden steckt Schuld. Dieses Gefühl plätte die Leute, grenze sie aus. Elbers räumt mit sozialen Klischees auf. Den allerwenigsten sei ihr Status egal. „Wer in die Beratung kommt, will raus aus den Schulden.” Reingeritten hätten sich die Betroffenen oft unbemerkt.
Etwa durch Konsum. Selbst in der Krise immer ein Thema, sagt der Berater. Bundesweit seien 300 000 Leute kaufsüchtig. „Die übernehmen sich einfach.” Vieles, was „meins” genannt wird, gehört der Bank. Überhaupt: die Banken. Fast jeder Kontoausdruck suggeriere: Ich hab's ja. Links der Ist-Stand, mittig der Dispo, rechts der verfügbare Betrag – „der leuchtet meist grün”. Auch, wenn der Kontoinhaber längst im roten Bereich ist. „Davon lebt die Wirtschaft. Aber davon stirbt manche Existenz”, so Elbers.
Und es werde noch enger. Beispiel: Kurzarbeit. „Für viele eine Falle, denn man hat ja noch einen Job.” Scheinbar laufe alles weiter wie bisher. „Dass später 400, 500 Euro fehlen”, realisieren viele erst nach dem Deal mit der Abwrackprämie und dem Schnäppchen mit Null-Prozent-Finanzierung. Bei Jobverlust drohe der Totalabsturz.
Im Planerladen gehen bis zu 40 Anfragen pro Woche ein. Rund 600 Insolvenzbetreuungen laufen dort derzeit, 150 neue kommen jährlich dazu. Der Schuldnerberg – er wächst und wächst. Allein in den aktuell betreuten Fällen wurde bisher mit 6500 Gläubigern verhandelt. Das darin regulierte Schuldenvolumen: 28 Millionen Euro.
Immer mehr Private gehen Pleite. Leute, von denen man es nie gedacht hätte. „Den klassischen armen Schlucker gab's vielleicht früher”, sagt Elbers. „Heute machen alle Schulden - geringfügig Beschäftigte und hoch Qualifizierte.” In der offenen Sprechstunde treffen Diplom-Kaufleute auf Schlosser, Ex-Ärzte auf Werbeexperten.
Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen in Dortmund explodierte in den letzten sieben Jahren. Zuwachs: fast 1000 (!) Prozent. Tendenz: steigend. „Wir befürchten, dass im nächsten Jahr ein ganz dicker Nachschlag kommt”, sagt Elbers mit Blick auf die Krise.
Jeder Schuldner findet im Planerladen ein offenes Ohr. Betreut werden kann aber nur, wer dies finanziert bekommt. Da stehen einige außen vor. Rentner und Alleinerziehende etwa haben keinen Anspruch.
Mehr Sicherheit
Auch der Planerladen hätte gern mehr Sicherheit. Für überschuldete ALG II-Bezieher gibt es einen Vertrag mit der Stadt. „Was fehlt, ist eine Finanzierungsvereinbarung, die eine Beratung für alle Ratsuchenden ermöglicht”, betont Alexander Elbers. Ein Topf biete sich dafür an: das Aktionsprogramm „Soziale Stadt”.
Quelle: WR vom 14.06.09