Leben in einer eigenen Welt
Morgens zur Arbeit, später Lebensmittel besorgen. Wenn eine neue Jacke oder Hose nötig ist, noch in den Kleiderladen. Gelegentlich geht's ins Kaufhaus, für neue Stühle oder andere Möbel. Soweit ein bekannter Ablauf, alles ganz normal. Nur, dass die Arbeit ein Ein-Euro-Job ist, der Laden ein "Tafel-Laden" und das Kaufhaus Sozialkaufhaus heißt. Alles besondere Einrichtungen, geschaffen für Dortmunderinnen und Dortmunder mit wenig Geld.
Ein fast geschlossenes System hat sich herausgebildet, in dem von Arbeitslosigkeit und Armut betroffene Menschen leben - leben können und müssen. Ein richtiges Netz ist entstanden an zusätzlichen Hilfen. Zuletzt wurde vor zwei Jahre die "Dortmunder Tafel" gegründet, die Lebensmittelspenden sammelt und gegen geringes Entgelt an bedürftige Menschen weitergibt. Allein zehntausend Dortmunder nutzen dieses Angebot.
Das ist richtig und wichtig, denn jede Hilfe und Unterstützung tut gut. Schließlich lebt immerhin jeder Siebte in unserer Stadt von Sozialleistungen. (Hauptursache, wie bekannt: Arbeitslosigkeit.) Auch das ehrenamtliche Engagement und die Spendenbereitschaft hierzu sind beeindruckend.
Aber das Ganze ist irgendwie auch zwiespältig. Weil es zeigt, dass die Armut in der Stadt gewachsen ist und sich verfestigt hat (wie im ganzen Land). Weil so etwas wie eine eigene Armutswelt in der Stadt entstanden ist.
Einige Menschen bewegen sich irgendwann nur noch in dieser eigenen Welt. Unfreiwillig. Zum Mitmachen in der "normalen Gesellschaft" fehlen schlicht die Mittel. Und vielleicht auch der Mut. Parallelgesellschaft einmal anders.
Armut bedeutet immer auch Ausgrenzung. Das gilt leider auch für die Kirche, wie vor einigen Tagen in einer kirchlichen Erklärung festgestellt wurde. Darum wird dort die gerechte Teilhabe der Armen gefordert. Was kann das für Dortmund heißen?
Kirchen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände beschäftigen sich in der Dortmunder Armutskonferenz mit diesem Thema. Im Herbst ist dazu auch eine Aktionswoche geplant. -
Verfasser der Kolummne ist Friedrich Stiller - , am 31. Januar 1961 in Bielefeld geboren, verheiratet, zwei Kinder. Seit 1996 leitet der Pfarrer in der evangelischen Kirche in Dortmund-Lünen das "Referat für Gesellschaftliche Verantwortung".