Ob mit oder ohne: Jeder darf zum Arzt
Es gibt sie. Menschen, die sich die Beiträge für eine Krankenversicherung sparen. Häufig Selbstständige. Weil sie kein Geld haben, weil sie sich gesund fühlen und nicht an morgen denken. Oder wie 2800 Dortmunder, die Sozialhilfeleistungen beziehen und noch nie krankenversichert waren.
Und trotzdem: sie alle werden medizinisch versorgt. Sie müssen nicht sterben, weil sie arm sind. Wer später für die Kosten aufkommt, wird von Fall zu Fall entschieden.
Der aktuelle Dortmunder Fall, in dem sich ein Nichtversicherter mit der Krankenversicherungskarte eines Fremden eine Herz-OP erschlich, gehört dazu. Im Falle der 2800 Sozialhilfeempfänger zahlt das Sozialamt. Auch bei 600 Asylbewerbern kommt das Sozialamt für ärztliche Behandlungen auf. Laut Stadtsprecherin Anke Widow betrug der finanzielle Aufwand dafür im vergangenen Jahr 21 Millionen Euro.
"Abtrünnige" werden wieder aufgenommen "Meistens bleiben die Krankenkassen auf den Kosten sitzen", berichtet Karl-Josef Steden, Sprecher der AOK Westfalen-Lippe. Steden verweist allerdings auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes, was die Krankenhäuser nicht aus der sorgfältigen Überprüfung entlässt. "Ohnehin könnte jeder Arzt durch gezielte Fragen an den Patienten herausfinden, ob dieser tatsächlich Inhaber der Versicherungskarte ist".
Das sieht die Kassenärztliche Vereinigung anders. Deren Sprecherin Ina Retkowitz erklärt, dass die Vorlage der Krankenversichertenkarte zur Behandlung berechtige. Der Arzt müsse sich keinen Personalausweis vorlegen lassen. Es sei denn, die Daten auf der Karte wichen stark von der Person ab, die sie abgebe (Alter, Geschlecht). Bei Missbrauch mit der Versicherungskarte stehe die Krankenkasse für das Geld ein.
Doch was passiert mit Menschen, die sich behandeln lassen müssen, aber zu diesem Zeitpunkt nicht versichert sind? Karl-Josef Steden spricht für die "Gesetzlichen". Klopft ein "Ehemaliger" bei seiner alten Kasse an, wird er wieder aufgenommen. Muss aber rückwirkend zum 1. April 2007 Beiträge zahlen. Seit diesem Tag besteht für gesetzliche Krankenkassen nämlich der Zwang, abtrünnige Schäfchen wieder aufzunehmen. "Abtrünnig wurde man schnell. Ein-, zweimal die Beiträge geschlabbert und man war draußen", sagt Steden. Doch die rückwirkenden Zahlungen bereiten den meisten Leuten Probleme. Individuelle Ratenzahlungen werden vereinbart.
Das alles hat die Gesetzesänderung mit sich gebracht. Bevor die Wiederaufnahme Pflicht wurde, mussten die Sozialämter für diese Menschen aufkommen. Heute ist das Dortmunder Sozialamt Kostenträger für Männer, Frauen und deren Kinder, die noch nie in ihrem Leben krankenversichert waren.
Obwohl alle Krankenkassen zur Wiederaufnahme Ex-Versicherter verpflichtet sind, heißt das nicht, dass diese auch Beiträge zahlen. Nicht, weil sie nicht wollten, sondern weil sie kein Geld haben. Bei der AOK Westfalen-Lippe sind das von 3017 Menschen, die seit dem 1. April 2007 wieder unter den Versicherungsschirm geschlüpft sind, 560 Personen. Sie haben einen Anspruch auf "notwendige" medizinische Versorgung.
Quelle: WR vom 3.3.09