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Obdachlose im Winter

In Dortmund muss niemand bei Minusgraden unter freiem Himmel schlafen. Die Stadt garantiert Obdachlosen im Winter ein Dach über dem Kopf. Es werden sogar Einzelzimmer angeboten - aber dennoch es gibt Vorbehalte. Denn das Angebot geht an einigen vorbei.

Die wärmende Nachricht nach einer minus 8 Grad kalten Nacht: In Dortmund muss niemand unter freiem Himmel schlafen. Die Stadt garantiert Obdachlosen im Winter ein Dach über dem Kopf. „Das geht bis in den Einzelzimmerbereich”, sagt Sozialamtsleiter Peter Bartow. Doch es gibt Vorbehalte. Denn das Angebot geht an einigen vorbei. Auch an einigen Bedürfnissen.

Schnee, Eis, grimmiger Frost. Die Erzfeinde der Obdachlosen treiben ein grausames Spiel. Beim Übernachten unter freiem Himmel kann jede Nacht die letzte sein. Peter (Name geändert) ist vorbereitet. „Ich habe ein gutes Equipment, einen Daunenschlafsack”, sagt der Endvierziger. „Eine Dame hat ihn mir geschenkt.” Seit einem halben Jahr lebt Peter auf der Straße.

„Vorher habe ich zweieinhalb Jahre gewohnt, davor war ich zweieinhalb Winter draußen.” Jetzt sitzt er vor einem Parkhaus und – nein, er bettelt nicht, er sitzt da einfach, grüßt ab und zu freundlich und freut sich über jedes Geldstück, das in seinen Pappbecher fällt. Oder über die Winterjacke, die ihm ein Markthändler schenkte. Oder über einen Schlafplatz bei einem Bekannten, der eine Wohnung hat.

"Portmonee in den Hintern – sonst ist es weg"

Solche allerdings sind selten. Und um die Quartiere, die Stadt und Diakonie anbieten, macht nicht nur Peter einen Bogen. In den Übernachtungsstellen Prinz-Friedrich-Karl-Straße (Frauen) und Unionstraße (Männer) gibt es insgesamt 64 Plätze. Belegt sind 48. Der Ruf der Schlafzentralen ist schlecht. „Die kannste vergessen”, sagt Peter. „Da musst du dein Portmonee in den Hintern stecken, sonst ist es weg.”

Die Probleme sind bekannt. „In den Übernachtungsstellen gibt es Leute mit psychischen Problemen, auch Alkohol, Gewalt, Diebstahl”, weiß Bastian Pütter, Redaktionsleiter der Zeitschrift „Bodo”. Obdachlose meideten solche Quartiere, nähmen sie nur „die letzte Ausfahrt vor dem Asphalt”. „Die Leute sind aus gewissen Situationen geflüchtet. Sie haben verlernt, sich mit anderen auseinanderzusetzen. Damit sind sie überfordert. Deshalb bleiben sie da lieber weg.”

Auch Peter. Statt Stress zu kriegen mit Leuten, „die da abhängen”, schlägt er sich lieber alleine durch. Dass er auch ein Solo-Bleibe haben könnte, wusste er bis gestern nicht. Das gemeinsame „Winterprogramm” von Stadt und Diakonie macht es möglich. „Wer kein Dach über dem Kopf hat, dem besorgen wir eine angemessene Unterbringung”, sagt Sozialamtsleiter Bartow. „Wir halten eine Reihe von Einzelwohnungen in der Innenstadt für Obdachlose frei, in ganz normalen Wohnhäusern.” Mittellose, ALG 2-Bezieher und Sozialhilfeberechtigte bekommen die Unterkünfte zum Nulltarif. Die Kosten werden aus dem Sozialsäckel beglichen. Wer ein Einkommen hat, zahlt 8,95 Euro pro Nacht. „Die seit vielen Jahren recht entspannte Situation” habe drei Gründe, so Bartow: „Konsequente Prävention, um neue Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Gezielte Integration, um bestehende Wohnungslosigkeit abzubauen. Und ein konseqenter Abbau der Stadtsiedlungen.”

"Man muss nicht obdachlos sein"

Peter kennt einen vierten Dortmunder Trumpf. „Die meisten Bürger hier sind sehr nett. Sie geben Geld, Kleidungsstücke und andere Sachen.” Der Verein Gast-Haus e.V. hat das erfahren. Eine Spenderin beglückte den Vorsitzenden Werner Lauterborn mit einer Ladung hochwertiger Schlafsäcke. „Wir hatten keinen einzigen mehr. Und jetzt das. Damit kommen einige Bedürftige durch die bitterkalten Nächte”, freut sich der Gast-Haus-Vater. Schals, Mützen und Handschuhe könnte die Hilfsinitiative noch erwärmen, ansonsten ist sie im textilen Bereich gut bestückt.

Peter wird die nächsten Nächte unter freiem Himmel verbringen. „Der Schlafsack wärmt bis minus 15, 20 Grad.” Irgendwann will er auch in eine Perspektive schlüpfen. „Es ist ja so: Man muss nicht obdachlos sein, wenn man die Initiative ergreift, kann man auch wohnen. Ich hab nur den Dreh noch nicht raus, wie ich es mache.” Und wann. Nur eines weiß er schon jetzt: „In die Nordstadt will ich nicht.”

Quelle: WR vom 08.01.10

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