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Punks auf der Brückstrasse

Hier dokumentiert: die Berichterstattung der Ruhr-Nachrichten vom 23.04.07

Brückstraße wird zum Sauftreff

Das Problem ist bekannt, aber die Lösung nicht zur Hand: Die Brückstraße, die auf bestem Wege war, ihr Schmuddel-Image loszuwerden, entwickelt sich zunehmend zum Sauftreff der Punkerszene.

Vor allem am Wochenende fliegen in der Nacht Bierflaschen, die es im Viertel zum Billigstpreis von 50 Cent am Kiosk zu kaufen gibt, wird an Schaufenstern uriniert und sich auch schon mal geschlagen.

Zwischen 50 und 100 Punker steuern regelmäßig das Szene-Viertel an. Polizei und Ordnungsamt reagieren mit Kontrollen und Platzverweisen. "Wir sind aber nicht immer im Dienst", sagt Jürgen Walter vom Ordnungsamt. Die Polizei will nun die Gangart verschärfen, die Stadt mit Straßensozialarbeit auch vorbeugend tätig werden.

Doch was bringt die Punker in die Brückstraße und mit ihnen Meter für Meter das Schmuddel-Image zurück? Für manche scheint es klar: die autonome Szene-Kneipe "Hirsch-Q" gegenüber der Straße Helle. "Das Lokal muss weg", forderten Anwohner und Geschäftsleute, von denen die ersten das Handtuch geworfen haben.

Billigbier

"Die ,Hirsch-Q' ist nicht das Problem", meint dagegen Rechtsdezernent Wilhelm Steitz, sondern das Billigbier an zwei Kiosken. "Da werden die versorgt." Man habe versucht, mit den beiden Kiosk-Betreibern zu reden, bisher aber ohne Erfolg. Rechtlich sei es kaum möglich, das zu unterbinden, so Steitz.

"Die autonome Szene und die Punker sind zwei unterschiedliche Dinge", meint der Rechtsdezernent, "die Punks sitzen da auch noch, wenn die ,Hirsch-Q' zu hat." Auch dem Wirt seien die alkoholisierten Punker auf der Straße ein Dorn im Auge: "Der lässt sie nicht auf die Toilette", weiß Steitz. Und seitdem sich Anwohner über den Lärm aus dem Lokal beschwert hätten, würden dort die Fenster zugemacht.

"Die Punker sind eine Belästigung für die Anwohner, aber deshalb kippt das Viertel nicht", sagt Steitz. Ordnungsrechtlich werde man der Sache nicht Herr. "Es macht keinen Sinn, sie nur wegzuschicken. Wir müssen denen etwas anderes bieten." Daran arbeite man zusammen mit dem Jugendamt.

Früher gab es mal ein Haus für Punker in Asseln. Das musste allerdings geschlossen werden, weil sich irgendwann die Szene aus ganz Nordrhein-Westfalen dort traf. - Gaby Kolle


Pinkeln durch den Zaun

Neun Männer, eine Frau zwei Hunde, eine Gitarre und ein Lied, lautstark, aber nur schwer verständlich, weil die Zungen schwer sind.

Es ist 1 Uhr nachts. Es ist die Nacht von Freitag auf Samstag auf der Brückstraße. Die Gruppe sitzt auf dem Boden. Es ist kalt, gerade mal fünf Grad. Dennoch singen sie, Bierflaschen in der Hand und auf dem Boden.

Flasche Bier für 68 Cent

Nebenan stehen sie Schlange vor dem Kiosk, die Flasche Oettinger Export gibt's hier für 68 Cent. Vor dem Kiosk stehen ein paar Tische und Bänke. Plötzlich ein Krachen, der Typ mit den blonden Haaren ist mitsamt seiner Bierflasche von der Bank gefallen. Kurze Unruhe, dann wird die nächste Flasche verkauft und getrunken. Das kleine Schild am Kiosk interessiert hier keinen. Darauf steht: "Der Verzehr von alkoholischen Getränken vor dem Kiosk ist verboten."

Verkaufen ja gerne, Betrunkene nein danke. Die ziehen dann in kleinen Gruppen immer "ein Häuschen weiter", wer sich erleichtern muss, pinkelt durch den Zaun, der das benachbarte Brachgelände absperrt.

Die sangesfreudige Truppe sitzt immer noch auf dem Boden, schräg gegenüber der Gaststätte "Hirsch-Q", wo es heute Nacht eher ruhig ist, auch drinnen ist es längst nicht voll. Ansonsten normaler Kneipenbetrieb, auch wenn an der Tür "aus Tradition asozial" steht.

Hier und da liegen ein paar Glasscherben auf der Straße, es scheint keinen zu stören. Die Gruppe an der Ecke zur Straße "Helle" singt immer noch. Dann legt einer eine kurze Pause ein, steht auf, hilft einem Kumpel wieder auf die Beine, den der Alkohol umgehauen hat. Neben ihm steht ein Einkaufswagen mit seiner persönlichen Habe.

Ludwigsplatz

Die eher ruhige Straße Helle führt zum Ludwigsplatz. Hier ist's wieder laut. Ein Pulk junger Männer streitet sich lautstark. Dann plötzlich gehen sie auseinander, bilden zwei Gruppen, es wird klar, wer zu wem gehört, wer der "Gegner" ist. Hier sind alle optisch durchgestylt, in der Wortwahl sind die Jugendlichen weniger wählerisch. Wäre die Wirkung des lautstarken Palavers nicht so bedrohlich, die Szenerie wäre beste Satire.

Auch wenn das billige Bier viele anlockt, für manche scheinen die Finanzen gar kein Problem: Sechs Taxen parken direkt in der Brückstraße, das Geschäft scheint sich zu lohnen - und wie zum Beweis entsteigen dem siebten Wagen zwei junge Männer und ziehen davon, rein ins Nachtleben. - blf

In dieser Nacht machten sich auch Mitglieder der FDP-Ratsfaktion auf den Weg zur Brückstraße, um sich selbst einen Eindruck von der nächtlichen Szenerie zu verschaffen. Auch wenn es da gerade eher ruhig zuging, sehen die Freien Demokraten aber dringenden Handlungsbedarf.


Schadensbegrenzung

Da mag der Rechtsdezernent Recht haben, wenn er sagt, dass die Punkerszene weiter die Brückstraße unsicher machen würde, wenn es die "Hirsch-Q" nicht mehr gäbe. Doch das linke Lokal hat sie erst ins Viertel gezogen; denn viele Punker sind ein Teil der Autonomen-Szene, wie zuletzt bei der Demo für den toten Punker Schmuddel zu beobachten war.

Das Kind ist in den Brunnen gefallen. Bleibt nur die Schadensbegrenzung, wenn nötig bis an die Grenze des rechtlich Möglichen, flankiert von Straßensozialarbeit und einem professionellem Quartiersmanagement, das 2005 aus Geldmangel eingestellt wurde. Sonst kippt das Viertel doch noch, das mit viel Geld und Engagement von Stadt und Privatleuten zu einem jungen Szene-Quartier aufpoliert wurde.

Die Polizei hat die Dringlichkeit erkannt. Die Stadtspitze hoffentlich auch. - Gaby Kolle


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