ALG II: Keine Schonfrist für junge Mutter
Nach dem Zwangsumzug sitzt Heike Neumann auf ihren Kisten und Schulden. --- Bericht in Westfälische Rundschau vom 04.05.05
Seit dem 1. Januar, seit es die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) im JobCenter gibt, "haben wir keinen einzigen ALG II-Bezieher aufgefordert, sich eine neue Wohung zu suchen", so ARGE-Sprecherin Daniela Karlic. Ausnahmen bestätigen die Regel.
54 863 ALG II-Bezieher verzeichnet die ARGE. Ihnen wurde eine "Schonfrist" bis 2006 versprochen. Eine Frist, innerhalb derer niemand wegen zu großer oder zu teurer Wohnungen umziehen müsse, so Peter Bartow, Leiter des Sozialamtes. Selbst 2006 könnten die ALG II-Bezieher ruhig entgegen sehen, werde es doch um Einzelfälle gehen. Lösungen mit Augenmaß.
Faktum ist: Heike Neumann (31) bekam am 25. Januar Post von der ARGE mit der Aufforderung, sich in den nächsten drei Monaten eine neue Wohnung zu suchen. Die bisherige Wohnung der Alleinerziehenden mit einem 10-jährigen Sohn hatte 57,3 qm, kostete warm 431 Euro. Laut ARGE war die Wohnung zu groß. Und um 60 Euro zu teuer. Der Höchstpreis pro Quadratmeter läge bei 6,15 Euro. Heike Neumann, die bis zum 13. Januar eine Umschulung zur Bürokauffrau machte, bevor sie ALG II-Bezieherin wurde, machte sich auf die Suche nach einer Wohnung und stieß auf Ablehnung: "Wer will schon eine ALG II-Em-pfängerin?" Beim Spar- und Bauverein wurde sie endlich fündig. Packte Kisten. Zog auf eigene Kosten um. Jetzt zahlt sie warm rund 360 Euro.
Doch der Umzug kostete die 31-Jährige mehr als nur die 800 Euro für Kaution, Leihwagen, Renovierung und Telefonummeldung, für die sie Schulden machen musste. Er kostete Nerven. "Wegen 60 Euro musste ich meinen Sohn aus seiner gewohnten Umgebung reißen", sagt sie. Jetzt wolle der Vater ihres Kindes das Sorgerecht, weil sie dem Sohn kein "solides Umfeld" bieten könne ... Daniela Karlic von der ARGE bleibt bei ihrer Aussage. Sie verweist darauf, dass es schon vor Gründung der ARGE einen mündlichen Hinweis auf den Zwangsumzug seitens des Sozialhilfedienstes der Stadt gegeben habe. Das sieht auch Sozialamtsleiter Peter Bartow so. Heike Neumann hätte während der Umschulung Sozialhilfe bezogen. Der Hinweis auf den Umzug sei vor diesem Hintergrund gegeben worden. Darauf basiere auch das ARGE-Schreiben vom 25. Januar. Für Kosten, die durch den Umzug entstanden sind, werde man aber nun aufkommen. Nur eines versteht Heike Neumann nicht: "Ich habe überhaupt keine Sozialhilfe bekommen." Ihr Antrag auf einmalige Unterstützung sei abgelehnt worden. Für die junge Mutter seien nur zwei Dinge sicher: Die ARGE habe sie zum Umzug gezwungen. "Und ich will endlich wieder arbeiten, damit das alles aufhört ..."
Von Peter Ring
Quelle: Westfälische Rundschau vom 04.05.2005