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Armut und Armutsrisiken in Dortmund

Fakten und Zahlen zum Thema

> 37.000 Personen lebten Ende April in Dortmund ganz oder teilweise von laufender Sozialhilfe (=6,3% der Bevölkerung) und damit in - oder hart am Rande von - Armut, Menschen in Heimen noch gar nicht mitgezählt.

(Nach der Kriterien der UN und der EU zur Bestimmung von Armut wären nicht nur die aktuell im HLU-Bezug stehenden Personen, sondern mindestens 120.000 weitere Dortmunder als arm zu bezeichnen. Vgl hierzu die Ausführungen von Wolf Stammnitz unter Armut in Dortmund )

Die größte Altersgruppe, mit fast 7.600, stellen Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 17 Jahren (vgl. RN v. 25.5.04).

Nach einer aktuellen Studie der Organisation Creditreform sind derzeit mehr als 27.000 Dortmunder (=4,6%) überschuldet. Im letzten Jahr haben knapp 9.200 Dortmunder Offenbarungseide (eidesstattliche Versicherungen) abgegeben, deutlich mehr als in den vorausgehenden Jahren. Die Zahl der in 2003 beantragten Konkurserklärungen belief sich auf mehr als 21.000.

Hausbesitzer, Mietervereine und Schuldnerberater beklagen unisono einen rapiden Anstieg von Mietschulden. Waren früher Eigenbedarf oder Ruhestörungen Hauptgründe für Wohnungskündigungen von Vermieterseite, so seien es jetzt in erster Linie Mietrückstände, bedingt durch Arbeitslosigkeit und/oder private Überschuldung. (vgl. z.B. Bericht der WAZ v. 30.4.04: „Vielen fehlt das Geld für Miete„)

,1.000 Armenspeisungen in Dortmund täglich, mit wachsender Tendenz. Vor wenigen Wochen wurde zusätzlich eine ‚Dortmunder Tafel’ gegründet, die überschüssige Lebensmittel an Bedürftige ausgeben will, z.B. Lebensmittel in beschädigten Verpackungen, Lebensmittel kurz vor dem Ende der Haltbarkeitszeit, Fehlabfüllungen etc. (vgl. Bericht in den RN v. 24.4.04)

Schulspeisungen in der offenen Ganztagsbetreuung: Soeben haben einige Schulleiter zusammen mit den Wohlfahrtsverbänden Alarm geschlagen, weil sich etliche Eltern den Zusatzbeitrag für das Mittagessen (um die 2 € täglich) nicht mehr leisten können (einige bei den Schulen sogar schon dick in der Kreide stehen), und manche ihre Kinder nicht mal ersatzweise mit Butterbroten ausstatten (vgl. Berichterstattung RN v. 25.5.04 und die dazu in den Folgetagen eingegangenen Leserzuschriften)

Mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe (Alhi) zum Beginn des kommenden Jahres wird die Armut in Dortmund (wie natürlich auch in anderen Städten mit ähnlich hoher Arbeitslosigkeit) rapide anwachsen. Viele der derzeit rd. 21.000 Alhi-Empfänger und ihrer Familien sind sich noch gar nicht im Klaren darüber, was da auf sie zukommt. Die Bedürftigkeitskriterien nach dem SGB II (für den Bezug der neuen Fürsorgeleistungen Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld) sind wesentlich enger gefasst als die bislang in der Arbeitslosenhilfe geltenden Kriterien, mit folgenden Konsequenzen (aktuelle Schätzungen Akoplan):

  • Erwartet wird, dass bundesweit mehr als 35 % der Langzeitarbeitslosen, die aus dem Alhi-Bezug kommen, das wären in Dortmund bis zu 7.800 Personen, zunächst keinen Cent mehr erhalten, weil zuviel an sonstigem Einkommen oder an Vermögen im Haushalt vorhanden ist, das erst verbraucht werden muss. Allein aufgrund der verschärften Anrechnung von laufenden Einkünften des/der Arbeitslosen bzw. auch anderer Personen, die zu seiner Haushaltsgemeinschaft gehören, soll die Zahl der Anspruchsberechtigten bundesweit um rund 23 % abschmelzen.
  • Auch die übrigen 13.000 heutigen Alhi-Empfänger und –Empfängerinnen in Dortmund werden mehrheitlich Federn lassen müssen. Die Bundesregierung erwartet aus der Einführung des Arbeitslosengelds II allein bei den Transferzahlungen unter dem Strich eine Ersparnis i.H.v. mind. 3,5 Mrd. € jährlich (gleich 33% des gesamten Alhi-Transfervolumens). Für die Betroffenen bedeutet das, sofern sie nicht frisch aus dem Arbeitslosengeld I kommen, ein Leben zu Sozialhilfekonditionen: 345 € plus Zuschuss zu den Unterkunftskosten, für jedes weitere Haushaltsmitglied einen abgestuften Zuschlag, je nach Alter
  • Ein großer Unsicherheitsfaktor: Die Gewährung der Unterkunftskostenzuschüsse nach SGB II. Übernommen werden sollen nur Kosten bis zu einer angemessenen Höhe. Was als angemessen betrachtet werden wird, wird sich aller Voraussicht nach an dem orientieren, was heute in der Sozialhilfe üblich ist: 45 qm für den Haushaltsvorstand (bzw. Alleinstehenden), für jede weitere Person 15 qm dazu. Andere Städte haben stattdessen absolute Obergrenzen für die Kaltmiete eingeführt. In Bochum beispielsweise akzeptiert das Sozialamt derzeit nur Mieten zwischen 270 € (Single) und 335 € (Mehrpersonenhaushalte). Die Möglichkeit, zusätzlich Wohngeld zu beantragen, wurde für Erwerbslose mit gleichem Gesetz abgeschafft (Art. 25 des Hartz IV-Gesetzes). Für etliche Betroffene wird das bedeuten, dass sie innerhalb der ersten 6 Monate des kommenden Jahres ihre angestammte Wohnung verlassen müssen.
  • Im gleichen Zuge abgesenkt werden auch die Sozialversicherungsbeiträge, die von der Bundesagentur für Arbeit für die Leistungsbezieher abgeführt werden. So wird beispielsweise statt der gegenwärtig durchschnittlich gezahlten 111,18 € (Basis: Im AA-Bezirk Dortmund im März 2004 durchschnittlich ausgezahlte Arbeitslosenhilfe 570,17 €) ab kommenden Jahr nur noch pauschal 78 € pro Monat an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt werden. Mit entsprechenden Abzügen bei der späteren Altersrente.
  • Allein der Kaufkraftverlust, der sich aus der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe ergibt, wird sich in Dortmund auf etwa 48 Mio. € p.a. belaufen.

Unter Einbeziehung der als erwerbsfähig eingestuften Sozialhilfeempfänger werden nach unseren Schätzungen im kommenden Jahr insgesamt rund 35.000 Bedarfsgemeinschaften, das sind Alleinstehende als auch ganze Familien, Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben und in ihrem Lebensunterhalt von diesen staatlichen Fürsorgeleistungen abhängig sein – das wäre immerhin jeder achte Dortmunder Haushalt. Einige Tausend Menschen werden mangels Erwerbsfähigkeit im Sozialhilfebezug verbleiben.

Bei den Zahlen, die jüngst von der Stadt Dortmund genannt wurden (bis zu 80.000 hilfsbedürftige Arbeitslose, die „Kunden„ der beiden Dortmunder Jobcenter werden könnten, vgl. die Berichterstattung in der Lokalpresse v. 26.5.04), handelt es sich hingegen um eine andere Grundgesamtheit: Um Arbeitssuchende eben, und nicht um Anspruchsberechtigte nach SGB II. Das SGB II ist da - leider - eindeutig: Wer aufgrund verwertbaren eigenen Vermögens oder von Einkünften des Haushalts keinen Anspruch auf finanzielle Unterstützung nach dem SGB II hat, der kann auch nicht auf andere Leistungen nach diesem Gesetz hoffen. Er/sie gilt nicht als hilfsbedürftig und muss im wesentlichen selber zusehen, wie er/sie zurechtkommt.

Auf längere Sicht gesehen dürfte die Zahl der Haushalte, die auf die kargen Unterstützungsleistungen nach SGB II zugreifen müssen, aber anwachsen - sofern sich die lokale Arbeitsmarktsituation nicht grundlegend verbessert, wovon nicht auszugehen ist. Irgendwann sind eben auch die letzten privaten Rücklagen aufgebraucht. Außerdem wird sich ab 2006/2007 auch die Tatsache bemerkbar machen, dass die Bezugsdauer für die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld z.T. drastisch reduziert wurde (s. hierzu auch die entsprechenden Ausführungen in unserer Studie v. Juni 2003).

Zur Einschätzung der mit den Hartz-Gesetzen verbundenen Armutsrisiken verweisen wir auf die Schlussfolgerungen in der genannten Akoplan-Studie vom letzten Jahr sowie auf einen aktuellen Artikel, den wir auf unserer website www.akoplan.de unter downloads eingestellt haben.

Dortmund, 18. Juni 2004

zusammengestellt von Heiko Holtgrave

AKOPLAN – Institut für soziale und ökologische Planung e.V.

Huckarder Str. 8-12, 44147 Dortmund

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